Breakdance ist neue Olympia-Disziplin: 10 Fakten reichlich Breaking und B-Boys

A

wie Anfänge

Die Geburtsstunde von Hip-Hop wird auf den 11.8.1973 datiert. An dem Tag veranstaltete der New Yorker DJ Kool Herc eine Block Party, bei der nicht nur eine neue Musik entstand, in der Breaks aus zwei Schallplatten zu einem endlosen Groove live zusammengeschnitten wurden. Es entstanden auch die vier großen Disziplinen der Hip-Hop-Kultur: MCing, DJing, Breakdance und Graffiti. Hip-Hop war in der Bronx schon immer auch harter Wettbewerb, bei dem Menschen zeigen konnten, was sie drauf haben, ohne dabei körperliche Gewalt anwenden zu müssen. Daher konsequent, dass Breakdance, heute lautet die offizielle Bezeichnung Breaking, 2024 erstmalig olympisch ist. Nach Skateboard, 3×3-Basketball und BMX Freestyle ist es der nächste „urbane“ Sport, der es zum größten Athlet:innen-Treffen der Welt schafft. Damit will Olympia beweisen, dass sie den Bezug zur Jugend nicht völlig verloren hat. Mit HipHop-Kultur an sich hat das nicht mehr viel zu tun, aber das hat Superstar-Rap von heute auch nicht mehr. Ji-Hun Kim

B

wie Battle of the Year

Battle of the Year – kurz: BOTY – heißt ein jährlich stattfindender internationaler Breakdance-Wettbewerb. Die Teilnehmer am Turnier setzen sich aus den Gewinnern von Wettkämpfen zusammen, die in verschiedenen Weltreligionen stattfanden. Er fing 1990 im Freizeitheim Döhren in Hannover klein an und wurde zum international wichtigsten Wettbewerb – bevor die Olympischen Spiele kamen. Jährlich zieht das hauptsächlich in Braunschweig stattfindende Event Tausende Fans an. Dabei wird in Vorwettkämpfen die Einzelleistung der jeweiligen Crew bewertet, wobei besonderer Wert auf das Zusammenspiel verschiedener Stile gelegt wird. Die besten vier davon treten schließlich in sogenannten Battles direkt gegeneinander an, wobei nach Technik und Ästhetik bewertet wird. Aktueller Austragungsort ist das französische Montpellier. Tobias Prüwer

E

wie ESC

Je älter ich werde, desto größer ist mein Interesse an Schlager. Früher hab ich, zur Gitarre, Udo Jürgens’ Spießerhymne Ich war noch niemals in New York geschmettert. Oder Ein bisschen Frieden mitgehaucht beim ESC, der damals noch französisch hieß. Heute wird nicht mehr nur gesungen oder liebeskümmerlich bedeutsam die Hand gen Publikum gereckt – Tanzeinlagen sind dran. So wird der Schlager mega-inklusiv, er nimmt alle mit. Auch wer nichts hört oder weiß, versteht alles, den Glitter, das Drama, die ganze dauererigierte Behauptung von Emotion. Grotesk kostümierte Tänzer kreieren eine Kunstform für sich, wenn sie, Back-up-Breakdancer, der Sängerin, sie umzuckend, huldigen. Auf mich wirkt das hyperaktive Herumhibbeln so rührend wie metaphorisch: Das tanzt nicht mal ums goldene, sondern ums fehlende Kalb, um die Abwesenheit, um eine Hülle von, ich weiß nicht – Gefühl? Wahrhaftigkeit? Und genau deshalb funktioniert es, als totale Künstlichkeit wird der Schlager erst echt. Katharina Körting

J

wie Jahrmarkt

Breakdance gibt es nicht nur im Tanzstudio oder auf der Straße: Seit 40 Jahren stehen auf Jahrmärkten gleichnamige Fahrgeschäfte. Den ersten „Break Dancer“ weihte 1985 eine Bremer Schaustellerfamilie ein. Auf einer angeschrägten Fläche werden Sitzschalen an mehreren Armen umhergewirbelt. Ähnlich wie beim Tanzstil gibt es wilde und unvorhersehbare Bewegungen. Und auch hier kann einem schon beim Zusehen schwindelig werden. Falls Sie das Fahrgeschäft noch nie ausprobiert haben, essen Sie am besten erst hinterher etwas. Für einen neuen Break Dancer müssen Schausteller ein paar Millionen Euro hinblättern. Bis so ein Gerät sich amortisiert, muss es eine ganze Menge Jahrmarktsbesucher durch die Lüfte tanzen lassen: 4,50 Euro kostet ein Ticket für den Break Dancer zum Beispiel aktuell bei der Düsseldorfer Rheinkirmes. Ben Mendelson

K

wie Kultfilm

Der Film Beat Street über die Hip-Hop-Subkultur in der Bronx der 1970er-Jahre (Produzent Harry Belafonte) kommt 1985 in die Kinos der DDR. Und löst prompt einen Hype aus. Schnell geht jedoch die Street Credibility des B-Boying verloren. Breakdance wird als „akrobatischer Schautanz“ (→ Misstrauen) in Unterhaltungs- und TV-Shows integriert und steht hier zwischen der Jongleurs- und der Fakirnummer. Die artistischen Moves der Breaker schienen den DDR-Kulturfunktionären sympathischer zu sein als Headbanging, Pogo und das derwischhafte Kreiseln der Parka-gewandeten Blueser. Der Film Dessau Dancers (Regie: Jan Scharf, 2015) macht daraus eine Widerstandsgeschichte. Der Verleih liefert passende Lehrmaterialien dazu, die erklären, „weshalb Individualität in der DDR nicht erwünscht war“. Beide Filme zeigen, wie sich eine Subkultur irgendwann in etablierte Kultursysteme integriert. In Beat Street ist das ein normaler Prozess. In Dessau Dancers wird es als Verrat und Anpassung denunziert. Michael Suckow

M

wie Misstrauen

„Ohnmacht, Behexung, Gier, verzückter Krampf“. 1957 versetzte ein Rock’n’Roll-Tanzturnier die gutbürgerliche FAZ in verbale Ekstase. Aber auch in der DDR beäugte man den jugendlichen Bewegungsdrang mit Misstrauen und bot den jungen Menschen volkseigene Tanzmusik als Alternative – den Lipsi. Ohne Erfolg, wie der Historiker Bodo Mrozek berichtet. „Wir brauchen keinen Ulbricht und keinen Grotewohl – wir brauchen Elvis Presley mit seinem Rock’n’Roll“, skandierten 1960 Jugendliche in der Leipziger Innenstadt. Ein Vierteljahrhundert später war man schlauer. Der Breakdance wurde in dem Land systemtauglich gemacht. Und in den Kinos lief erfolgreich der US-Film Beat Street (→ Kultfilm). Doch so richtig domestizieren ließ sich die amerikanische Subkultur nicht. So etwas konnte und kann der Kapitalismus einfach besser. Joachim Feldmann

R

wie Rock Steady Crew

Wer erinnert sich noch? „Hey, you, the Rock Steady Crew / Show what you do, make a break, make a move / Hey, you, the Rock Steady Crew / B-boys, breakers, electric boogaloo / There’s a new headline, there’s a new sensation / Ev’rybody’s talking about the situation.“ 1983 waren sie auch in Deutschland die Sensation – und in aller Munde: die Rock Steady Crew, eine 1977 in der Bronx gegründete Breakdance-Gruppe um die beiden Gründer Jimmy D und Jojo. Sie wurden zu Popstars und zierten das Cover der Bravo. Ihre Geschichte ist indes eng verbunden mit der Breakdance-Historie New Yorks, doch bei uns kennt man sie mehr als musikalische Crew, als Band, deren Single-Hit Hey You, The Rock Steady Crew 1983 auf Charisma Records veröffentlicht wurde. Es folgten die zweite Single Uprock und ein Album. Doch dann wurde es still um die B-Boys und Breakers. Dass die Crew von den Single- und Album-Verkäufen kaum finanziell profitierte, ist ein trauriges Kapitel in der Geschichte des ersten und einzigen Breakdance-One-Hit-Wonders der Pop-Geschichte. Marc Peschke

S

wie Soundtrack

Im Herbst 1984 hatte es Breakdance endlich bis in unser Provinzkino geschafft. Im tiefschwarzen CSU-Oberbayern war der Film über die neue Tanzkultur der Afroamerikaner ein wahrer Lichtblick für mich. Umso größer die Überraschung, als plötzlich treibende Musik aus Düsseldorf erklang: Kraftwerks Tour de France, zu der Michael Chambers aka Boogaloo Shrimp seinen Tanz Electric Boogaloo zeigte. Zu den hämmernden Klängen der Radfahr-Hymne führte er vor, wie man den Moondance mit Popping und Locking, zwei Breakdance-Stilen der Westküste, verband. Die Kraftwerk-Beats lassen die Glieder von Boogaloo Shrimp erzittern, der mit roboterhaften Bewegungen, anstatt den Bürgersteig zu fegen, mit dem Besen als Partner einen unerhörten Mensch-Maschinen-Tanz aufführt. Transatlantische Hybridisierung.Uwe Schütte

T

wie The Saxonz

Ihre Herkunft trägt die Gruppe schon im Namen. The Saxonz gründeten sich 2013 als Zusammenschluss aus drei regionalen sächsischen Crews. Von Dresden aus sollten sie bald Deutschland und die Welt von sich begeistern. Kurz nach Gründung wurden sie zweimal Deutsche Meister beim → Battle of the Year; auch wenn das kein offizieller Titel ist. Wiederholt wurde die Platzierung im Jahr 2019. Damit nahmen sie am internationalen Wettkampf teil, was ihnen viel Aufmerksamkeit einbrachte. Mehrere Preise hat die Crew in anderen Ländern gewonnen, weshalb sie zu den erfolgreichsten deutschen Breakern gehören. Mittlerweile sind The Saxonz ein Verein, der sich auch der Nachwuchsförderung widmet. Die Gruppe setzte sich außerdem dafür ein, dass Breakdance olympisch wird. Den Spirit der Gruppe hat Maike Conway im Dokumentarfilm Dance till you break eingefangen, den sie 2020/21 fürs ZDF gedreht hat. Man sieht hyper-bewegliche Männer und Frauen mit Dialekt und Freude am Tanz und blauen Flecken. Das sind beeindruckende Aufnahmen und Menschen. TP

Z

wie Zuschauer

Für ihren Applaus war diese Kunst doch gemacht: Streetdance zu lauter Musik. Top Rocking (im Stehen), Footworks (das Tanzen auf dem Boden), Powermoves (Rotieren über Hände, Ellenbogen, Kopf, Rücken, Schultern) oder Freezes (das Verharren in eindrucksvoller Position) – lange genug fleißig zu Hause geübt – brauchten Bewunderung. Da bildete sich dann irgendwo auf dem Berliner Alexanderplatz eine große Traube von Leuten, und ein Polizist ging vielleicht argwöhnischen Blickes vorbei. Was sollte diese Menschenansammlung? Aber es war ja nur „akrobatischer Schautanz“, wie die offizielle Bezeichnung für den Breakdance in der DDR gewesen ist. Wir Zuschauer klatschten im Takt. Die Frauen blickten begeistert auf die Jungen. Und die Männer, je älter sie waren, mochten umso neidischer sein. Irmtraud Gutschke