Bosch-Chef Stefan Hartung: Obig den Seiteneingang an die Spitze

Deutsche-Börse-Chef Theodor Weimer hat ihn in seiner vielbeachteten Wutrede vor dem Wirtschaftsbeirat Bayern ins Rampenlicht gerückt. Es ging um die vermeintlich drastisch sinkende Attraktivität des Standortes Deutschland. Als wichtigen Kronzeugen, wie hierzulande auch die Auto- und Zulieferindustrie unter der Berliner Wirtschaftspolitik leidet, führte Weimer Bosch-Chef Stefan Hartung auf. „Jetzt heult mein Freund Stefan Hartung, Chef von Bosch“, sagte Weimer und streckte dabei seinen linken Arm theatralisch aus, als ob er direkt zum Konzernstandort nach Schwaben zeigen wollte.

Die Rede sorgte unter anderem in rechten Kreisen für Applaus – und so ist es kein Wunder, dass Hartung darauf angesprochen wird. In einer Veranstaltung des Internationalen Clubs Frankfurter Wirtschaftsjournalisten (ICFW) will sich der 58-Jährige in dieser Woche aber weder als Heulsuse einstufen noch als Weimers Fürsprecher vereinnahmen lassen. „Ich weine sehr wohl. Glauben Sie nicht, dass ich nur Optimist bin“, schickt er launisch voraus, um dann klarzustellen, dass er zum Standort Deutschland stehe, mit allen seinen Stärken und Schwächen. Auch wenn es „Themen“ gebe wie Infrastruktur und Bildung: Hierzulande seien Dinge möglich, „die gehen in vielen Ecken der Welt nicht“.

Kein Mann für das steife Ambiente

Mit Weimer verbindet Hartung, dass er ein offenes Wort nicht scheut. Allerdings auf eine ganz andere Art, weniger polternd. Seine Herkunft kann der gebürtige Dortmunder dabei nicht verleugnen. Er fällt auf, wenn er zusammen mit anderen Bosch-Managern im Haus Heidehof der Robert-Bosch-Stiftung Gäste unterhält. Das Naturell passt nicht recht in das distinguierte, steife Ambiente des alljährlichen Kamingesprächs des Technologiekonzerns. Hartung redet, als stehe er in einer Eckkneipe neben dem Westfalenstadion von Borussia Dortmund.

Auch wenn er seine Heimat schon lange verlassen hat, kommt das dort gepflegte Naturell immer wieder durch. Hartung ist geradeheraus, direkt, herzlich, manchmal hemdsärmelig. „Wenn die E-Mobilität doch nicht kommt, dann sind auch die Kohlendioxidgrenzen nicht zu halten.“ Kein Drumherumreden, um gleich die eigene Meinung anzufügen: „Aber die CO2-Linie muss gehalten werden, das ist klar.“

Hartung steht seit zweieinhalb Jahren an der Spitze eines Konzerns, der mit 430.000 Mitarbeitern und mehr als 90 Milliarden Euro Umsatz zu den bedeutendsten deutschen Unternehmen gehört und der selbst Dax-Schwergewichte in Sachen Größe problemlos abhängt, ohne selbst börsennotiert zu sein. In dieser Liga spielt man lieber vorsichtig. So wie der frühere Bosch-Chef Volkmar Denner, der selten erkennen ließ, was er fühlte und dachte. Der Physiker wirkte immer in höchstem Maße kontrolliert, er sprach gewählt, wissenschaftlich analytisch und wägte jedes Wort.

Sparte Mobility erwirtschaftet mehr als die Hälfte des Umsatzes

Hartung in seiner Leutseligkeit kommt auf den ersten Blick wie ein scharfer Gegenentwurf zu seinem Vorgänger daher. Mit verschmitztem Lächeln zeigt er Verständnis für Leute, die sich über seinen Werdegang wundern. Als Zuständiger für Geschirrspüler sei er über den „Seiteneingang“ zu Bosch gekommen. Der Start vor zwei Jahrzehnten prägte offenbar. Er sei ein „Consumer-Mensch“ und das bis heute geblieben: „Niemand kauft eine Sache nur wegen der Problemlösung.“ Selbst beim Thema Bohrer im Baumarkt spiele „viel Emotion“ mit.

Freilich geht es inzwischen um viel mehr als nur darum, die Lust der Kunden auf ein Produkt anzuheizen. Spätestens nach seinem Amtsstart als Vorsitzender der Geschäftsführung muss Hartung auf der wirtschaftlichen wie politischen Weltbühne mitspielen. Zwar ist Bosch mit seinen Elektrowerkzeugen, Haushalts- und Gartenprodukten noch immer eine bedeutende Größe im Gebrauchsgütermarkt. Doch weit mehr als die Hälfte des Umsatzes macht das in 60 Ländern tätige Stiftungsunternehmen mit seiner Sparte Mobility: Bosch gilt als größter Autozulieferer der Welt, und China ist dabei für die Schwaben einer der wichtigsten Märkte.

In dieser Rolle demonstriert Hartung, dass er nicht nur westfälisch-leutselig kann, sondern auch global-strategisch. Auf Journalisten-Nachfrage warnt er die EU vor Handelsbarrieren gegen Elektroautos aus China. „Ich bin gegen zollbasierte Politik – das kann zu einer Kettenreaktion führen“, sagt der Bosch-Chef in der ICFW-Veranstaltung in Frankfurt. Bosch hat viel zu verlieren: Mit 17 Milliarden Euro erzielten die Schwaben dort zuletzt fast ein Fünftel ihres Jahresumsatzes.

Alte Waschmaschine? „Wirklich nicht okay“

Nicht nur internationale Handelsprobleme beschäftigen ihn. Stefan Hartung hat keine Angst, intern mit alten Gesetzen zu brechen. So ließ er vor wenigen Wochen aufhorchen, als er sagte, dass für ihn auch Börsengänge in Frage kämen, um Investitionen bestimmter Geschäftsbereiche langfristig zu finanzieren, was in der Welt von Bosch einer mittleren Revolution gleichkommt. Jetzt macht Hartung deutlich, dass er vor allem Amerika als strategisches Ziel im Blick hat. In den USA sei man unterrepräsentiert. Auch das Thema Künstliche Intelligenz hat es dem blonden Topmanager mit der stämmigen Statur und der randlosen Brille angetan. Da rutschen dann öfter mal Sätze wie „Das ist der Wahnsinn“ in den Hartungschen Vortrag.

Das wäre Volkmar Denner wohl nie passiert. Aber so unterschiedlich die beiden in ihrem Wesen sind, geschätzt hat der Vorgänger seinen Nachfolger sehr. Es war Denner, der Hartung 2019 die Automobilsparte und damit den wichtigsten Geschäftsbereich anvertraute. Ein Signal, dass der Dortmunder schon in dieser Zeit zu den engsten Bewerbern auf den Chefposten gehörte, den er schließlich drei Jahre später dann auch übernahm.

Mancher glaubt, dass Hartung schon deshalb dort richtig sitzt, weil er nicht vor klaren Worten zurückschreckt, wenn es schwierig wird. So verteidigt er offensiv den harten Sparkurs, der die Streichung von 7000 Stellen umfasst, und der vor einigen Wochen massive Arbeitnehmerproteste ausgelöst hat. Und sogar Kunden müssen sich manches anhören. „Eine 30 Jahre alte Waschmaschine weiter zu betreiben, ist wirklich nicht okay“, gibt Hartung in Frankfurt zu Protokoll. Warum? Weil neue Geräte nach seiner Einschätzung um Dimensionen sparsamer und umweltfreundlicher sind. Dass dabei ganz nebenbei noch die Bosch-Kasse gefüllt wird – wer wollte sich da beschweren?