Bezahlgewohnheiten: Der Frust mit dem elektronischen Trinkgeld

Die Situation könnte unangenehmer nicht sein. Der Kaffee zum Mitnehmen steht schon auf dem Tresen des Cafés, das Getränk muss nur noch bezahlt werden. Auf dem Kartenlesegerät poppen mehrere Felder auf, darüber steht die Frage: „Wie viel Trinkgeld möchten Sie geben?“ Es gibt mehrere Optionen zwischen fünf und 15 Prozent. Hinter dem Gerät steht der Barista mit erwartungsvollem Blick. Die wenigsten Gäste dürften sich in dem Moment trauen, kein Trinkgeld zu geben.

Trinkgeld gehört in Deutschland zur Kultur. Es zeugt von guten Manieren, die Rechnung bei einer freundlichen Bedienung aufzurunden. Und auch man selbst erfreut sich an der eigenen Großzügigkeit und daran, dem Gegenüber eine Freude zu bereiten. Doch das Gefühl dreht sich schnell, wenn das Trinkgeld vor allem aus einem sozialen Druck heraus gegeben wird, wie die Marketingforscher Nathan Warren und Sara Hanson in einer Studie herausgefunden haben.

Kunden haben weniger Kontrolle

Über die Kartenlesegeräte und das ­digitale Bezahlen werden die Gäste zunehmend in Situationen nach Trinkgeld gefragt, in denen das früher unüblich war. Viel wichtiger ist aber noch: Die Kunden geben in diesem Prozess zunehmend die Kontrolle über die eigene Großzügigkeit ab, sagt Warren.

Wer kein Trinkgeld geben möchte, muss sich aktiv dagegen entscheiden und das auf dem Bildschirm auswählen – und zwar unter der strengen Beobachtung des Kellners. „Dadurch verschwindet das positive Gefühl, etwas Gutes getan und sich für den Service bedankt zu haben“, sagt Warren. Zumal das Trinkgeld ja häufig schon gegeben wird, bevor der erste Schluck getrunken oder die Dienstleistung erbracht wurde.

Kurzfristig mag dieser Druck dazu führen, dass das Trinkgeld höher ausfällt. Das legen zumindest Berichte von Lokalbetreibern und einzelne Feldexperimente nahe. Ein eindeutiges Forschungsergebnis gibt es aber nicht.

Warren betont jedoch vor allem die langfristigen Folgen, die er in der Studie ausgemacht hat: Kunden, die sich beim Trinkgeldgeben beobachtet fühlen, kehren seltener in das Lokal zurück und empfehlen es weniger häufig weiter. Die einen sind verärgert über die Aufdringlichkeit, die anderen wollen sich schlichtweg dem Druck nicht mehr aussetzen und entscheiden sich, das nächste Mal ein anderes Restaurant oder Café auszusuchen.

Dadurch ergeben sich vor allem für jene Läden Schwierigkeiten, die darauf angewiesen sind, dass ihre Gäste immer wieder kommen – also etwa das Bistro in einem Geschäftsviertel, der Friseur oder das Nagelstudio.

Fünf bis zehn Prozent bleiben der Richtwert

Woraus sich wiederum zwei Lehren ziehen lassen: Erstens ist es wichtig, dass Restaurantbetreiber ihren Kunden genug Freiraum und Privatsphäre beim Bezahlen geben und sich entweder wegdrehen oder das Gerät kurz am Tisch stehen lassen und dann wieder zurückkommen, sagt Warren. Die Bedienung könne dann trotzdem nachher erfahren, wie viel Trinkgeld sie bekommen hat, ob der Kunde also zufrieden war oder nicht. Alternativ kann man das Trinkgeld natürlich auch weiterhin einfach in bar geben.

Und zweitens wird es für Gäste zunehmend wichtiger, sich selbst im Klaren darüber zu sein, wie viel Trinkgeld sie geben wollen. Wer langfristig eine gute Beziehung mit dem Kellner aus dem Café ums Eck aufbauen will, sollte lieber nicht ständig die Option „Kein Trinkgeld“ auswählen.

Gleichwohl muss es aber selbst unter Beobachtung nicht die höchste Rate von 15 Prozent oder mehr sein, wie oft an den Geräten angeführt. Dahinter steckt ein einfacher psychologischer Trick: Die Optionen sind oft so gestaltet, dass sogar die niedrigste relativ hoch ausfällt. Viele Gäste tendieren in der Eile dazu, das mittlere Feld auszuwählen, was das Trinkgeld oft höher ausfallen lässt als nötig.

Grundsätzlich sind fünf bis zehn Prozent Trinkgeld weiterhin ein guter Richtwert, sagt Linda Kaiser von der Organisation Deutsche-Knigge-Gesellschaft. Üblich sei das in der Gastronomie, bei Friseuren, Lieferdiensten oder Handwerkern. In Läden mit Selbstbedienung übernehme der Kunde den größten Teil des Services. Wer möchte, könne eine kleine Gabe hinterlassen. Gezwungen ist dazu aber natürlich niemand.

Source: faz.net