Betriebsrat: VW will drei Werke schließen und „Zehntausenden“ weggehen

Der Machtkampf zwischen dem Management und den Arbeitnehmervertretern des Volkswagen-Konzerns spitzt sich zu. Vor mehreren Tausend Beschäftigten des Wolfsburger Stammwerks erhob die Vorsitzende des Konzernbetriebsrats, Daniela Cavallo, am Montag schwere Vorwürfe gegen die Führungsspitze. VW plane, den „Ausverkauf“ des Standorts Deutschland zu starten und die Regionen um seine Werke „ausbluten“ zu lassen, sagte sie unter dem Applaus der Belegschaft.

Zwei Tage vor der nächsten Verhandlungsrunde um einen neuen Haustarifvertrag machte die 49-jährige Gewerkschafterin öffentlich, mit welchen Drohungen das Management laut Betriebsrat in den Verhandlungen aufwartet. Der Vorstand beabsichtige, Zehntausenden Beschäftigten zu kündigen, mindestens drei VW-Fabriken in Deutschland zu schließen und erhebliche Entgelteinbußen durchzusetzen, berichtete Cavallo.

Sie kündigte an, Widerstand leisten zu wollen. Der Vorstand spiele „massiv mit dem Risiko, dass hier bald alles eskaliert“, warnte sie. „Damit meine ich, dass wir die Gespräche abbrechen und das tun, was eine Belegschaft tun muss, wenn sie um ihre Existenz fürchtet.“

Am Mittwoch treffen sich die Verhandlungsführer von Konzern und Gewerkschaft in Wolfsburg zu einer neuen Gesprächsrunde über den Haustarif. Die sogenannte „Friedenspflicht“, ein Begriff aus dem Tarifvertragsrecht, endet Ende November. Ab dem 1. Dezember sind Warnstreiks bei VW möglich.

Betriebsrat: Pläne sind härter als bekannt

Cavallo übte besonders scharfe Kritik daran, dass über mehrere Wochen kaum etwas passiert sei, nachdem der Vorstand unter Konzernchef Oliver Blume Anfang September angekündigt hatte, die Kosten drastisch senken zu wollen. „Der Vorstand hat der Belegschaft hier alles angezündet, er hat alles in Flammen gesetzt – und sich dann verdrückt“, erklärte sie. Dieses Verhalten bezeichnete sie als „schäbig“.

Vor genau acht Wochen hatte der Vorstand angekündigt, die Kosten drastisch senken zu wollen, um auf die Nachfrageflaute und den wachsenden Wettbewerb zu reagieren. Seither streiten Management und Betriebsrat über einen Ausweg aus der Krise. VW äußerte sich am Montagvormittag in einer ersten Reaktion nur vage. Man beteilige sich nicht „an Spekulationen rund um die vertraulichen Gespräche mit der IG Metall und dem Betriebsrat auf tariflicher sowie betrieblicher Ebene“, hieß es vom Konzern.

VW stehe an einem “entscheidenden Punkt seiner Unternehmensgeschichte“. Mit dem Betriebsrat müsse man “gemeinsam Wege finden, die es uns ermöglichen, weiter nachhaltig in unsere Produkte und Technologien zu investieren“.

Pläne Entgelte um 10 Prozent zu reduzieren

Laut Betriebsrat gehen die Pläne des Managements weit über den bisher bekannten Umfang hinaus. Nach der Schließung mehrerer Werke sollen auch die verbleibenden Standorte schrumpfen, indem „Produkte, Stückzahlen, Schichten und ganze Montagelinien“ abgebaut werden. In den Tarifgesprächen steht zudem auf der Agenda, die Entgelte quer durch alle Abteilungen und Hierarchien um 10 Prozent zu senken und in den Jahren 2025 und 2026 zwei „Nullrunden“ anzustreben, also keine weiteren Erhöhungen zuzulassen.

Aufruhr im Stammwerk: Mitarbeiter auf der Informationsveranstaltung am Montag
Aufruhr im Stammwerk: Mitarbeiter auf der Informationsveranstaltung am Montagdpa

Durch den Wegfall tariflicher Zulagen und unter Berücksichtigung der Inflation ergibt sich laut Betriebsrat eine Einbuße von etwa 18 Prozent für einen durchschnittlichen Beschäftigten in der Fertigung. Der Betriebsrat fordert ein Lohnplus von 7 Prozent. Der Streit um Einsparungen wirft ein Schlaglicht auf die Privilegien der VW-Mitarbeiter, die diese gegenüber dem Flächentarif der Metall- und Elektroindustrie genießen. Das könne sich VW nicht mehr leisten, so die Sicht des Managements.

Neben dem Stammwerk trafen sich Beschäftigte am Montag auch an neun weiteren Standorten zu Infoveranstaltungen. Cavallo betonte in Wolfsburg, dass auch der Betriebsrat die ernste Lage erkenne. „Wir haben heftige Probleme. Dem müssen wir bei Volkswagen begegnen.“ Vom Management fordert sie, einen „Angriffsplan“ zu entwickeln, um die Technologieführerschaft zurückzuerobern.

Auch die Ampelkoalition in Berlin müsse helfen. „Wir brauchen einen umfassenden Plan aus der Politik, wie die Elektromobilität endlich zum Fliegen kommt“, sagte Cavallo. „Darüber hinaus benötigen wir einen Masterplan für den Industriestandort Deutschland.“ Die Bundesregierung hatte zuletzt neue Steueranreize für E-Autos beschlossen, und die SPD hat bekräftigt, weitere Förderungen für private Autokäufer auf den Weg bringen zu wollen.