Bericht von B’Tselem: Israel foltert Palästinenser in Gefängnislager

B’Tselem wurde 1989 von prominenten Akademikern, Anwälten, Journalisten und Knesset-Abgeordneten gegründet. Die Nichtregierungsorganisation (NGO) betrachtet es als ihre Mission, Menschenrechtsverletzungen in den von Israel besetzten Gebieten zu dokumentieren und darüber zu informieren. Ihr Ziel ist es, dass die Besatzungsmacht die Rechte der dortigen Bevölkerung schützt, statt sie zu verletzen. Zu den Förderern gehören die EU-Kommission und auch das norwegische Außenministerium.

Amputation nach schweren Verletzungen eines Gefangenen

Nun hat B’Tselem unter dem Titel „Willkommen in der Hölle“ nach monatelangen Recherchen einen Report mit Aussagen von 55 palästinensischen Frauen und Männern veröffentlicht. Diese berichten von ihrer Festnahme in Gaza und der Westbank durch die israelische Armee nach dem Hamas-Angriff im südlichen Israel am 7. Oktober 2023. Die Headline geht auf die 47-jährige Lama al-Fakhuri aus Hebron (Westjordanland) zurück, die in einem Militärcamp von einer israelischen Soldatin mit den Worten „Welcome to hell“ begrüßt wurde, bevor sie in eine Zelle kam, in der sie zusammen mit sechs Frauen tage- und nächtelang stehen musste. Der Untertitel der Publikation lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: „Das israelische Gefängnissystem als Netzwerk von Folterlagern“. Dies bezieht sich auf eine Order von Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir und damit der Regierung Netanjahu. Darin werden elementare Menschenrechte wie das Verbot von Folter außer Kraft gesetzt. 60 palästinensische Gefangene, so der Bericht, seien seit dem 7. Oktober 2023 in israelischen Gefängnissen durch den Gebrauch extremer Gewalt gestorben, 48 davon kamen aus Gaza. Gut 9.000 seien derzeit inhaftiert.

Laut B’Tselem ist allen Festnahmen gemeinsam, dass sie willkürlich und ohne erkennbare Systematik erfolgen. Die Menschen würden auf der Straße, in ihren Wohnungen, in Schulen und Hospitälern häufig mitten in der Nacht verhaftet. Wem das widerfährt, der wird weder angeklagt noch verurteilt, sondern irgendwann und irgendwo ohne Erklärung wieder entlassen. Die Verfahren nach der Verhaftung ähneln sich, sagen die Betroffenen. Frauen und Männer würden mit Kabelbindern an Händen und Füßen gefesselt. Es gebe Schläge auf dem Weg zur Vernehmung, beim Transport oder im Gefängnis während des Verhörs. Man müsse mit dem Gesicht auf dem Boden liegen, werde mit Stiefeln gegen den Kopf getreten und immer wieder von israelischen Militärangehörigen gezwungen, vor ihnen zu kriechen.

16-jähriger Muhammad Mafarjah mit nur 44 Kilo entlassen

In einem Fall waren die durch Schläge mit einem Gewehrkolben zugefügten Verletzungen so schwerwiegend, dass das Bein eines Gefangenen amputiert werden musste. Der behandelnde Arzt sagte: „Du musst dich entscheiden: dein Bein oder dein Leben.“ Als der Gefangene, er hieß Sufian Abu Salah, nicht antwortete, schob der Arzt nach: „Es ist deine Entscheidung.“ Bei seiner Entlassung wurden Sufian die Augen verbunden und Krücken verwehrt. Schließlich brachte ihn ein Krankenwagen zum Grenzübergang Kerem Schalom, wo er UN-Mitarbeitern an der Grenze zu Gaza übergeben wurde. Das Alter derer, die bereit waren, gegenüber B’Tselem auszusagen, liegt zwischen 16 und 65 Jahren. Allen wurde – zum Teil für Tage – Nahrung verweigert. Der 16-jährige Muhammad Mafarjah gab an, er sei infolgedessen mit einem Körpergewicht von nur noch 44 Kilo entlassen worden.

Den Mitteilungen nach waren viele Zellen nass und ohne Tageslicht, sie wurden in der Nacht grell erleuchtet und mit lauter Musik beschallt. Die sanitären Anlagen waren gesundheitsgefährdend und Körperpflege wurde oft nur einmal die Woche mit kaltem Wasser erlaubt. Während der Zeit ihrer Menstruation wurde den Frauen von den Gefängnisleitungen zum Teil nur eine Binde zugestanden.

Am 26. Oktober 2023, so berichtet es die Pharmaziestudentin Maryam Salhab (21), wurde sie um Mitternacht im Haus ihrer Familie in Khirbet Qalqas, im Distrikt Hebron, verhaftet, nachdem die Soldaten die Wohnung verwüstet hatten. „Ich wurde im Schlafanzug in Handschellen abgeführt und meine Augen wurden verbunden.“ Unzureichend gekleidet verbrachte sie, wie viele andere, mehrere Wochen während der kalten Jahreszeit im Gefängnis. Entlassene Gefangene ließen überflüssige Kleidung für die Zurückgebliebenen im Gefängnis zurück, die den Winter überstehen mussten. Fast alle klagten über das Knien auf den Unterschenkeln bis zur völligen Erschöpfung, teilweise auch bis zu Ohnmacht.

Soldat drohte Hadil a-Dahduh: „Ich werde dich lebendig begraben“

Hadil a-Dahduh (24), eine Mutter von zwei Kindern, wurde mit anderen in ein Erdloch gesteckt. Ein Soldat sagte zu ihr: „Ich habe deinen Mann getötet und werde dich lebendig begraben.“ Als sie nach 54 Tagen entlassen wurde, ohne ihr Eigentum zurückzubekommen, war sie so traumatisiert, dass sie ihren Mann, der sich in der Haft stark verändert hatte, nicht mehr erkannte. Eine belegte Erkenntnis der Traumaforschung ist, Traumata können gut behandelt und verarbeitet werden, wenn die Patientinnen und Patienten in einem gesicherten Umfeld untergebracht werden können. Sowohl in Gaza als auch in der Westbank wird dies auf Jahre hinaus nicht der Fall sein.

In den Interviews ist in keinem Fall die Rede davon, Vorgesetzte hätten den untergebenen Soldatinnen und Soldaten Einhalt geboten oder das menschenverachtende Verhalten kritisiert. Die Gefangenen hatten den Eindruck, sie würden wie Terroristen, in den schlimmsten Fällen wie Tiere behandelt und sollten offensichtlich den brutalen Überfall der Hamas, mit dem sie nichts zu tun hatten, büßen. Immer wieder liest man den Satz: Die Soldaten verfluchten mich!

Der Mut der Menschen, die hinter den 55 Berichten fast alle mit ihren Namen stehen, ist zu bewundern, denn ihnen wurde mit einer erneuten Verhaftung gedroht, würden sie sich an die Öffentlichkeit wenden. Zugleich muss man aber auch die Standhaftigkeit der palästinensischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von B’Tselem anerkennen, diese Berichte aufzuschreiben und sich, zumindest in Gaza, auf den gefährlichen Weg zu machen, die Entlassenen aufzusuchen. War das nicht möglich, wurden Telefoninterviews geführt, wenn Strom und Internet zur Verfügung standen.

Der bekannte israelische Journalist Gideon Levi schreibt in der Zeitung Ha’aretz: „Welcome to hell ist nicht nur ein Bericht darüber, was in israelischen Gefängnissen passiert, sondern auch ein Bericht über das Land insgesamt.“

Der Report endet mit den Sätzen: „Diese Realität ist inakzeptabel und erfüllt uns, Israelis und Palästinenser, die an Gerechtigkeit, Freiheit und Menschenrechte glauben mit Scham, Sorge und Zorn. Wir appellieren an alle Nationen und internationale Institutionen mit ihren Gremien alles in ihrer Macht Stehende zu unternehmen, die Grausamkeiten zu beenden, die an Palästinensern in israelischen Gefängnissen verübt werden.“