BDI und Politik vereint: Gemeinsam gegen die AfD
Die Stimmung zwischen den Wirtschaftsverbänden und der Bundesregierung hatte in den vergangenen Monaten etwas von Kaltem Krieg. Die Gesprächsatmosphäre unterkühlt bis frostig, statt miteinander redeten beide Seiten lieber übereinander, und zwar schlecht. Im April dieses Jahres bescheinigte der Präsident des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI) Siegfried Russwurm der Ampelkoalition „zwei verlorene Jahre“. Kanzler Olaf Scholz (SPD) konterte, die Wirtschaft rede die Lage bewusst schlecht, der „Turnaround“ sei längst da. Gespannt richteten sich die Blicke am Montag deshalb auf die Auftritte der beiden auf dem „Tag der Industrie“ des Verbands in Berlin.
Die Kurzfassung: Die Zeichen stehen auf Entspannung. „Inzwischen gibt es auch im Kanzleramt ein klares Problembewusstsein. Da hat sich die Tonalität geändert“, sagte Russwurm. Wirtschaft und Politik seien in „konstruktiven Gesprächen. Und das ist jetzt nicht nur eine Floskel, sondern wir diskutieren wirklich zu Inhalten, was sinnvoll und notwendig ist.“
Später nannte er den Kanzler noch den „Teamlead“ Deutschlands. Die Botschaft des BDI-Chefs: Wirtschaft und Politik sind keine Gegner. Was ihn sorgt, sagte Russwurm auch: Populisten schlügen aus den Sorgen der Menschen rund um die Transformation Kapital. „Hierauf braucht es eine geeinte Antwort aller Demokraten.“ Die AfD nannte er nicht beim Namen. Aber auch so war klar, wen er gemeint hatte.
Applaus Applaus
Olaf Scholz, der schon vor Beginn der Veranstaltung mit Russwurm in der ersten Reihe im Saal geplaudert hatte, begann seine Rede mit einem Lob für dessen Rede: „Ich habe viel geklatscht.“ Er bezeichnete es als zentrale Aufgabe, Zusammenhalt und Zuversicht zu stärken. Das könnten nur Politik und Wirtschaft gemeinsam.
Auch schloss sich Scholz der Forderung Russwurms an, Deutschland müsse wieder auf Wachstumskurs kommen. „Das schützt auch vor einer Nullsummenspiel-Mentalität, die Neid und Missgunst fördert“, sagte er. „Wachstum kann uns davor schützen, dass es immer nur um die Verteilung des gleichen Kuchens geht.“ Diese Bemerkung dürfte auch eine Botschaft in Richtung seiner Partei, der SPD-Fraktion, gewesen sein.
Bis zum Beginn der parlamentarischen Sommerpause wollen SPD, Grüne und FDP sowohl den Haushalt 2025 durchs Kabinett bringen, als auch ein „Dynamisierungspaket“, das zu mehr Wirtschaftswachstum führen soll. Ob es bei dem geplanten Beschluss am 3. Juli bleibt, wurde in Koalitionskreisen zuletzt zunehmend bezweifelt. Einige Tage mehr seien auch kein Problem, hieß es. Die Sommerpause beginnt am 8. Juli.
Immer noch Meinungsverschiedenheiten
Die demonstrative Einigkeit von Russwurm und Scholz konnte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es über die notwendigen Maßnahmen weiter Differenzen gibt. Scholz bestritt weite Teile seiner Rede damit, aufzulisten, was die Koalition schon alles gemacht hat: etwa die EEG-Umlage auf den Strompreis abgeschafft und die Stromsteuer gesenkt. Diese Entlastungen sollten „verstetigt“ werden, sagte Scholz.
Auch die Kraftwerksstrategie sei auf den Weg gebracht. Mit dieser sollen neue Gaskraftwerke entstehen, die perspektivisch mit Wasserstoff laufen und die schwankende Stromerzeugung von Wind- und Solarparks ausgleichen sollen. Scholz verwies auch auf verkürzte und digitalisierte Planungsverfahren. Die Unternehmen hätten schon viel Planungssicherheit gewonnen.
Russwurm hingegen listete auf, wo aus Sicht der Wirtschaft noch Handlungsbedarf besteht. Beispiel Entbürokratisierung: Die Verkürzung der Aufbewahrungsfristen von zehn auf acht Jahre spare einige Gigabyte Speicherplatz. „Ist das eine echte Entlastung von Bürokratie? Eine echte Revolution zugunsten schneller Genehmigungsverfahren sieht anders aus“, kritisierte Russwurm.
Alles muss neu sein
Auch die Kraftwerksstrategie überzeugt ihn bislang nicht: „Hat schon mal jemand mit den Ingenieuren gesprochen?“, fragte der BDI-Chef. „Um Gasturbinen mit mehr als 30 Prozent Wasserstoff im Brennstoffmix zu betreiben, reicht es nicht, ein paar Komponenten auszutauschen. Es braucht ein völlig neues Kraftwerksdesign, mit völlig neuen keramischen Turbinenschaufeln, völlig neuen Brennern und einer völlig neuen Brennstoffversorgung.“
Ein weiteres Problem sei, dass Unternehmen in Deutschland im Schnitt eine Steuerbelastung von 25 Prozent hätten, vier Prozentpunkte mehr als im EU-Durchschnitt. Das Thema Steuern sparte Scholz in seiner Rede komplett aus. Die FDP drängte in den vergangenen Wochen darauf, den Solidaritätszuschlag schrittweise auslaufen zu lassen. Diesen zahlen derzeit noch Gutverdiener und Unternehmen.
SPD und Grüne sind gegen die Abschaffung. Scholz stellte aber Verbesserungen bei den steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten und der Forschungsförderung in Aussicht. Er könne sich vorstellen, dass die Regierung da „noch eine Schippe drauflegen“ könne auf das Wachstumschancengesetz.
Russwurm: Mehr Pragmatismus wagen
Auch stellte er einen größeren Einsatz Deutschlands für neue Freihandelsabkommen zwischen der EU und anderen Wirtschaftsregionen in Aussicht. „Freihandel ist eine der Grundlagen unseres Wohlstands“, sagte er. „Deswegen werde ich mich gegenüber der neuen EU-Kommission mit Nachdruck für mehr und bessere Freihandelsverträge einsetzen.“ Dies hatte Russwurm zuvor gefordert: „Handelsabkommen müssen auf der Agenda ganz nach oben.“
Es müsse gelten: „Pragmatismus vor Idealismus.“ Lacher aus dem Publikum bekam Scholz, als er sagte: „Auch die europäische Lieferkettenrichtlinie werden wir in Deutschland für eine unternehmensfreundliche Gesetzgebung nutzen.“ Das Vertrauen der Wirtschaft in dieses Versprechen ist offenbar noch nicht so ausgeprägt.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), in der Nacht zum Montag zurückgekehrt nach vier Tagen in Korea und China, sagte auf dem Tag der Industrie, Deutschland müsse „aus dem Quark kommen“. Die Bürger hätten wegen des schwachen Wachstums und der Inflation Sorgen, wie es ihnen in Zukunft gehen werde. Wieder folgte ein indirekter Verweis auf die AfD: Diese materiellen Sorgen führten dazu, dass populistische Parteien Zulauf bekämen, so Habeck.
Ausdrücklich lobte er ein vor zwei Wochen vom BDI veröffentlichtes Positionspapier, in dem der Verband den zusätzlichen Investitionsbedarf in den Bereichen Verkehr, Bildung, Wohnen und Klimaschutz auf rund 400 Milliarden Euro innerhalb eines Zehn-Jahres-Zeitraums beziffert. „Sehr, sehr dankbar“ sei er dem BDI dafür, sagte Habeck.
Der Verband hatte sich dafür ausgesprochen, diesen Investitionsbedarf auch über sogenannte Sondervermögen zu finanzieren, also die Aufnahme neuer Schulden. Dies war in Berlin als eine Art Wiedergutmachung des Verbands nach dessen Ampelkritik interpretiert worden. Sozialdemokraten und Grüne reagierten erfreut ob der Rückendeckung von ungewohnter Stelle. Russwurm betonte am Montag, dass Sondervermögen erst am Ende einer Reihe von Reformen stehen müssten, nicht am Anfang.