Bayesian-Unglück vor Sizilien: Schwere Vorwürfe gegen Kapitän
Am Donnerstag ist nahe des sizilianischen Fischerdorfes Porticello die Leiche des 59jährigen Technologie-Unternehmers Mike Lynch aus Großbritannien geborgen worden. Bis auf seine achtzehnjährige Tochter Hannah waren bis zum Nachmittag somit alle sieben Todesopfer an Land gebracht worden.
Unterdessen richtet sich die Aufmerksamkeit mehr und mehr auf die Unfallursachen. Der Gründer und Haupteigentümer des Bootsbauers, The Italian Sea Group (ITSG), Giovanni Costantino, machte der Besatzung in Interviews mit der F.A.Z. und mit der italienischen Tageszeitung „Corriere della Sera“ schwere Vorwürfe. Die Bayesian, die 2008 von der ITSG-Tochtergesellschaft Perini Navi gebaut und 2020 generalüberholt wurde, sei ein sicheres Schiff, betonte der Unternehmenschef.
Anders als es der Kapitän, James Cutfield, gegenüber der Staatsanwaltschaft dargestellt habe, sei der Sturm vorhersehbar gewesen. Das wisse Costantino, weil er die elektronischen Wetterkarten und allgemein den Hergang untersucht habe. Dabei habe er sich auch der Daten des Navigationssystems AIS bedient. Der Italiener bezeichnet sich als erfahrenen Segler und Leiter eines Unternehmens, das 1300 Schiffe gebaut habe: „Es war unmöglich, von dem Sturm nicht zu wissen.“ Ein naheliegendes Boot wie die „Sir Robert Baden Powell“, die vom Deutschen Kapitän Karsten Börner gesteuert worden sei, hätte den Sturm ja auch bewältigt; die Fischer seien wegen des schlechten Wetters erst gar nicht ausgefahren.
Die Menschen hätten nicht in den Kabinen sein dürfen“
Die Bayesian sei eines der sichersten Schiffe der Welt, sagte Constantin – „es sei denn, sie nimmt Wasser auf“. Wesentliche Sicherheitsvorkehrungen seien missachtet worden: „Die Menschen hätten nicht in den Kabinen sein dürfen, das Schiff hätte nicht vor Anker liegen dürfen“. Jemand hätte Wache halten müssen. Im Laufe des Sturms habe sich die Bayesian vom Anker losgerissen, sie sei getrieben und habe seitlich zum Wind gestanden statt mit dem Bug im Wind, sagt Costantino. Dann hätten Böen das Schiff so auf die Seite gedrückt, dass der Mast quasi horizontal gelegen habe. Dies zeigen Videoaufnahmen. „Es gibt Türen auf dem Deck, die bereits bei einer Neigung von 30 Grad, Wasser durchlassen, wenn sie geöffnet sind.“
Dass Türen und Luken trotz Sturmwarnung und bei schwerem Wellengang nicht verschlossen waren, hält Costantino für den Kardinalfehler: „Durch den Wind neigte sich das Boot nur aus einem Grund um 90 Grad: weil das Wasser weiter eindrang. Vom Beginn des Einlaufens bis zum Untergang vergingen sechs Minuten“. Durch den Wassereintritt seien auch schnell die Generatoren lahmgelegt worden. Es kam zum Stromausfall.
Was hätte also gemacht werden müssen? Wenn es stimme, dass es am Vorabend eine Party auf dem Boot gegeben habe, so sei dies ein grobe Fehlentscheidung gewesen, sagt der Yachtunternehmer. Stattdessen hätte das Boot sturmsicher gemacht werden müssen, unter anderem durch geschlossene Türen und Luken. Die Gäste hätten gemäß einer Notfallprozedur auf einem Sammelplatz im Innern untergebracht werden müssen: „Dann startet man die Maschinen und löst den Anker, hält den Bug in den Wind und lässt den Kiel sinken“.
Der fehlende Tiefgang aufgrund des eingezogenen Kiels oder Schwerts stelle ein weiteres Versagen dar, weil damit die Stabilität gefehlt habe. Dies sei jedoch anders als beim Wassereintritt nicht die entscheidende Unterlassung gewesen. Costantino ergänzte, dass ein Schiff seiner Werft Perini schon dem Hurrikan Katrina 2005 in den USA standgehalten habe. Ein Wirbelsturm wie der von Porticello sei zu meistern; er habe wohl nur zwei Minuten gedauert, sagt der Italiener.
Seine Kritik an Kapitän Cutfield und der Besatzung steht bisher unwidersprochen im Raum. Der Neuseeländer Cutfield, der ein professioneller Skipper mit jahrelanger Erfahrung ist, hat sich bisher nur gegenüber der italienischen Staatsanwaltschaft geäußert. Einzelheiten sind noch nicht bekannt.
Der italienische Werftunternehmer beklagte indes die zeitweise kursierenden Falschmeldungen, etwa über einen Mastbruch, und die Folgen für sein Unternehmen: „Wir hatten einen enormen Imageschaden und einen Einbruch an der Börse“. Die Klage ist jedoch übertrieben. Seit dem Unfall am Montag ist der Wert seiner Unternehmensgruppe an der Börse in Mailand um etwas mehr als 3 Prozent gefallen. Am Donnerstag notierte die Aktie wieder im Plus. Die Anleger bewerten das Unternehmen derzeit mit rund 460 Millionen Euro.
Die TISG-Gruppe baut neben Segel- vor allem luxuriöse Motoryachten. Seit 2019 hat sich der Jahresumsatz auf 364 Millionen mehr als verdreifacht; die operative Umsatzrendite ist auf fast 17 Prozent gestiegen. Im Laufe der Jahre hat Costantino immer mehr Marken gekauft. Heute gehören unter sein Dach auch Namen wie Picchiotti, Admiral Yachts, Tecnomar, NCA Refit und Celi Interiors.
Die Werft Perini Navi, welche die Bayesian gebaut hat, kam erst 2022 zu TISG; die Gruppe kaufte die Werft, die sich damals in Konkurs befand, für 80 Millionen Euro und setzte sich damals gegen Konkurrenten wie Sanlorenzo und Feretti durch. TISG gehört zu gut 53 Prozent Costantino; zudem sind der Modedesigner Giorgio Armani mit 5 Prozent sowie der belgische Unternehmer Marc Coucke mit 11 Prozent beteiligt.
Am Rennen um immer größere Yachten nimmt TISG in vollen Zügen teil. Das Modell der Bayesian mit 56 Meter Länge und einem Aluminiummast mit 75 Meter Höhe, dem derzeit noch größten der Welt, dürfte bald nicht mehr als führend gelten. Perini Navi entwickelt eine Yacht, deren Mast 99 Meter hoch sein soll.