Baustellenballett – Wenn Maurer Virus… in Betracht kommen: Bauhandwerk in Zeiten von TikTok und Instagram

Zwischen unzähligen Make-up-Tutorials, Tanz-Choreografien und Leuten, die verschiedenste Gegenstände aufschneiden, um nachzusehen, ob es sich dabei nicht eigentlich um Kuchen handelt, hat sich ein Video-Genre auf Social Media als unerwarteter Hit erwiesen: Thema ist der Alltag auf Baustellen.

Auf Instagram zum Beispiel sind zwei holländische Maurer unterwegs, die an ihren Helmen Kameras und an ihren Werkzeugen Mikrofone befestigt haben und so den begeisterten Zuschauer*innen die befriedigenden Mörtelspuren und Kellenschläge des Maurerhandwerks nahebringen. Dann ist da der kanadische Schwermaschinenführer, der seinen Bagger mit der Präzision eines Skalpell schwingenden Chirurgen führt und seine Follower*innen mit immer ausgefeilteren Tricks beeindruckt – vom Umdrehen von Flaschen bis hin zum Bedienen eines Zigarettenanzünders.

Auf TikTok zeigt derweil ein spanischer Waldarbeiter, wie er von seinem Führerhaus aus mit einer irren Apparatur in Sekundenschnelle einen Baum fällt, entrindet und in Stücke zerlegt. Seine spektakulären forstwirtschaftlichen Kunststücke wurden mehr als 100 Millionen Mal aufgerufen.

Baustelle im Museum

Willkommen in der Social-Media-Welt des Bausektors, einem faszinierenden Phänomen, das nun in all seiner theatralischen Herrlichkeit in einer Ausstellung im Canadian Centre for Architecture (CCA) in Montreal, Quebec, gezeigt wird.

Die Bildschirme in der Schau zeigen gigantische Bagger, die Pirouetten über steile Hänge drehen, während Eimer mit Zement anmutig durch die Luft geschleudert werden. Maurer schlagen ihre Hämmer in rhythmischem Gleichklang, und Stuckateure werfen mit fachmännischer Präzision Verputzklumpen an die Wand. Eine Gruppe Arbeiter springt auf einer Planke auf und ab, um ein Pfahlfundament tiefer in den Boden zu treiben.

Und wie Ziegelsteine von einer Kette jonglierender Bauarbeiter über Leitern nach oben weitergegeben werden, ist nur eine von mehreren akrobatischen Szenen, die Ausschnitte aus einem Jacques-Tati-Film sein könnten. So entsteht ein hypnotisierendes Baustellenballett aus Tätigkeiten wie Gießen, Schleifen, Hämmern und Polieren. In einem schwindelerregenden Loop präsentieren die Videos den gesamten Bauprozess, vom Abbau des Materials bis hin zum abschließenden Farbauftrag.

„Die Leute, die beim Bau von Gebäuden die eigentliche Arbeit machen, treten selten in den Vordergrund“, erklärt Hester Keijser, Kurator für Fotografie und Neue Medien am CCA. „Traditionell waren es immer professionelle Fotograf*innen, die Aufnahmen von Architektur machten, beauftragt von Architekt*innen oder Bauherren. Diese Leute hier bringen hingegen ihre Smartphones mit zur Arbeit und entscheiden selbst, was sie teilen und wie sie sich dabei präsentieren wollen.“

„Work smart not hard“

Zusammen bieten die montierten Clips einen Einblick, was sich hinter den Bauzäunen, hoch oben auf den Gerüsten und hinter den Werktoren abspielt. Porträtiert wird eine Welt von Arbeitern, die das Können von Olympia-Athleten haben und ihre Talente einem begeisterten Publikum vorführen wollen. Vielleicht erhalten sie nicht besonders viel Lob von den Bauleiter*innen, aber Tausende von faszinierten Fans warten darauf, ihre #madskills („verrückte Fähigkeiten“) mit Feuer-Emojis zu kommentieren. „Work smart, not hard“ (Arbeite smart, nicht hart), lautet ihr ultimatives Gütesiegel.

Neben den Clips – elegant geschnitten und zusammengestellt von dem niederländischen Künstler Luuk Smits – laufen Zoom-Interviews mit einigen der Content produzierenden Bauarbeiter. Während sie in den Kabinen ihrer Arbeitsmaschinen sitzen oder auf ihren neu gebauten Mauern hocken, sinnieren sie nicht nur darüber, wie und warum sie angefangen haben, Videos für Social Media zu erstellen, sondern auch über die Online-Community, die sich um sie herum gebildet hat.

Ceejay Turner, ein junger Schwermaschinenführer aus Coquitlam in der kanadischen Provinz British Columbia, erzählt, dass er anfing, Clips auf Instagram zu posten, um einen „digitalen Lebenslauf“ für die Jobsuche aufzubauen. „Ich wollte Firmen zeigen, wozu ich in der Lage bin, und meine Arbeitsethik präsentieren“, erklärt er. „Von da hat es sich dann weiterentwickelt.“

Eines von Turners Videos zeigt, wie er das Kunststück fertigbringt, zwei Ketten mit Haken, die an einem großen mechanischen Baggerarm befestigt sind, in zwei auseinanderliegende Stahlringe oben an einem großen Betonblock einzuhaken (was viel einfacher mit der Hand gemacht werden könnte – aber das ist nicht der Punkt). „Ich würde das gern als faul bezeichnen“, kommentiert ein Nutzer Turners Post. „Aber es ist einfach zu beeindruckend.“ Und ein anderer fügt hinzu: „Wirklich fantastisch, zu was Männer in der Lage sind, nur um nicht vom Sitz aufstehen zu müssen.“ Für diejenigen, die sich nicht mit den Hierarchien auf Baustellen auskennen, bietet ein dritter Kommentator eine Erklärung: „Ein guter Geräteführer steigt niemals ab, selbst wenn die Aufgabe mit der Hand schneller erledigt wäre. Man könnte ihn ja als Arbeiter bezeichnen.“

„Die Baustelle ist eine Art Theater“

Die holländischen Maurer Jordy und Rolf merkten, dass ihre Videos zufällig einem Publikum gefielen, das auf der Suche nach ASMR-Clips ist. (Die Abkürzung steht für Autonomous Sensory Meridian Response und bezeichnet ein angenehm kribbelndes Gefühl auf der Haut.) „Die Leute mögen es, wenn wir den Mörtel abkratzen“, sagt Jordy, „oder man drückt einen Ziegelstein drauf und sieht, wie der Mörtel herausquillt. Das gefällt ihnen. Wir haben spezielle Mikrofone dafür.“ Sie erzählen, dass sie zwar auch mal kritische Nachrichten von anderen Maurern erhalten, aber wenn Fans schreiben, ihre Videos hätten sie dazu angeregt, das Maurerhandwerk zu erlernen, motiviert sie das, weiterzumachen.

Der spanische Waldarbeiter Diego Mediavilla hingegen berichtet, dass er online viel Kritik bekommt. „Die Leute denken, man zerstört den Planeten. Aber das mache ich nicht. Ich helfe beim Aufbau. Deshalb habe ich begonnen, Videos zu machen. Damit die Leute etwas über den Waldarbeitssektor lernen.“

Das Museum präsentiert die Videos ohne implizite oder explizite Kritik. Gesundheits- und Sicherheitsbeauftragte würden einige der gezeigten Praktiken zwar sicher wenig lustig finden, trotzdem kann man insgesamt nicht anders, als von dem Erfindungsgeist beeindruckt zu sein.

Bei manchen Tipps und Tricks wäre eine Warnung – „Bitte nicht zu Hause nachmachen“ – aber doch angebracht. Keinen Eimer mit Seil zur Hand? Kein Problem, werfen Sie einfach eine mit Zement beladene Schaufel hoch zu Ihrem Kumpel auf der nächsten Etage. In manchen Fällen ist schwer zu sagen, ob es sich bei einem Kunststück tatsächlich um eine Alltagspraktik auf dem Bau handelt oder ob es nur für Instagram inszeniert ist. Keijser formuliert es so: „Es ist eine Menge Choreografie dabei. Die Baustelle ist eine Art Theater, und diese Leute treten darin auf.“

Die Handwerker und Arbeiter der Branche selbst bezeichnen Social Media als Offenbarung – eine Möglichkeit, Tipps zu teilen, Techniken auszutauschen und eine breitere Anerkennung für ihre Arbeit zu schaffen. „Ich empfand das Bauhandwerk auf Social Media als superfreundlich“, erzählt Turner. „Alle wollen einander helfen. Es ist niemand da, der versucht, besser zu sein.“ Er ist auch überzeugt, dass die Präsenz auf Social Media die Wahrnehmung der Branche verbessert hat und eine jüngere Generation dazu bringen kann, sich für einen Beruf in diesem Bereich zu interessieren.

„Viele Leute wissen nicht wirklich, was wir tun. Sie dachten, man gräbt ein Loch, wird dreckig. Jetzt, wo alle online posten, können sie sehen und verstehen, wie ‚Ein Tag im Leben von …‘ aussieht. Ich kenne viele Leute, die noch nie auf einer Baustelle waren, und plötzlich folgen sie 20 Bauhandwerks-Seiten. Das ist wirklich cool.“

Eingebetteter Medieninhalt

Madskills. Self-Documenting Construction on Social Media Canadian Centre for Architecture, Montreal, Kanada, bis 20. Oktober 2024