Bauernproteste: „Wo bleibt die Anerkennung?“
Sonst rollen sie oft schon frühmorgens über den Acker. Heute ziehen die Traktoren zur gleichen Zeit an Schrottplätzen, Kleingartenanlagen und Autohäusern vorbei in Richtung der Wiesbadener Innenstadt. Als der Protestzug eine Autobahnbrücke überquert, kommt die Sonne raus. Immer wieder bleiben die Maschinen stehen, die Fahrer steigen aus, der Atemnebel umweht ihre Gesichter. Unten rollt der Verkehr vorbei, die Autobahnen wurden in Wiesbaden nicht blockiert.
„Wo bleibt die Anerkennung?“, steht auf einem der Schilder, die vorne an den Traktoren befestigt sind. Auf einem anderen: „Ganz schön dreist, dort abzukassieren, wo es keine Alternative zum Diesel gibt“ und „Zieht der Ampel den Stecker“. Die Menschen hier sind besorgt, aufgebracht – und manche richtig wütend.
So wie in Wiesbaden hat am Montag in vielen Regionen Deutschlands die Aktionswoche der Bauern begonnen. Sie hat bundesweit zu Verkehrsbehinderungen geführt: Am Brandenburger Tor in Berlin nahmen rund 550 Demonstranten mit ähnlich vielen Fahrzeugen am Protest teil, darunter zahlreiche Traktoren. In Erfurt zählte die Polizei etwa 1600 Fahrzeuge. An vielen Orten gab es Traktorkolonnen sowie zeitweilige Blockaden von Autobahnauffahrten. In einigen Städten erhielten die Bauern Unterstützung etwa von Lastwagenfahrern und Handwerkern.
Kabinett beschließt Sparpaket
Die Bundesregierung hat ungeachtet dessen am Montag ihr Sparpaket zur Entlastung des Bundeshaushalts 2024 auf den Weg gebracht – inklusive der umstrittenen Subventionskürzungen beim Agrardiesel. Dass die Bundesregierung einen Teil ihrer Sparpläne zurückgenommen hat, reicht dem Bauernverband nicht aus. Bauernpräsident Joachim Rukwied bat die Bevölkerung am Montag um Verständnis für Verkehrsbehinderungen durch die Proteste der Landwirte. Die Bauern übten ihr legitimes Recht auf Protest aus. Von der eskalierten Blockade gegen Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) an der Nordsee hatte sich Rukwied am Freitag distanziert.
Für ihre Fahrt nach Wiesbaden haben sich die Bauern gegen 10 Uhr auf der Mainzer Straße eingefunden, mindestens zweieinhalb Kilometer reicht der Zug auf bis zu vier Spuren in den Süden der Stadt. In den Reihen stehen vor und hinter den Traktoren auch einige Sattelschlepper, aber auch Pkw. 2000 Fahrzeuge seien gekommen, schätzt die Polizei. Deutlich mehr als von den Ordnungskräften und auch von den Veranstaltern erwartet. „Das ist schon eine enorme Beteiligung, zumal man ja bedenken muss, dass auch in anderen Teilen Hessens Kundgebungen laufen“, sagt Karsten Schmal, Präsident des Hessischen Bauernverbands.
Die Betroffenheit der Bauern sei sehr groß, auch nachdem die Bundesregierung ihre Pläne teilweise zurückgenommen hat. „Das würde jeden Betrieb treffen, das würde bei jedem direkt einkommenswirksam werden“, sagt Schmal. Die landwirtschaftlichen Betriebe hätten in Deutschland sehr hohe Standards und sehr hohe Auflagen, was Tierschutz, Klimaschutz und Gewässerschutz angehe. „Das sind alles Leistungen, die wir sicher bringen wollen.“ Aber sie müssten bezahlt werden. „Jetzt kommen noch diese Steuererhöhungen dazu, und das hat das Fass zum Überlaufen gebracht“, sagt Schmal.
Auf dem Kranzplatz, vor der Hessischen Staatskanzlei, zieht der Zug der Traktoren laut hupend vorbei. Einige Hundert Demonstranten haben sich eingefunden und jubeln den Landwirten zu. Auf Schildern erklären sie sich solidarisch. Manchen scheint es hier aber nicht nur um die Landwirte zu gehen. Auf einem der Schilder steht in großen Lettern: „Tötet Özdemir“ – sehr viel kleiner darunter geht es weiter „. . . die Landwirtschaft?“. Die Polizei beschlagnahmt das Schild nach kurzer Diskussion, ebenso wie einige nicht erlaubte Gegenstände.
Ende der Subvention für Agrardiesel
Die seit 1951 übliche teilweise Rückvergütung der Dieselsteuer an Landwirte soll in diesem Jahr zunächst um 40 Prozent und in den Jahren 2025 und 2026 um jeweils 30 Prozent verringert werden. Für den Dieselverbrauch von 2026 an soll es keine Vergünstigung mehr geben. Die Bauern spüren das schon vom kommenden Jahr an, weil die Rückvergütung immer im Jahr darauf gezahlt wird. Das Finanzministerium rechnet für 2025 mit Mehreinnahmen von rund 142 Millionen Euro, 2026 mit 285 Millionen Euro und 2027 mit 419 Millionen Euro. Von 2028 sollen die Mehreinnahmen jährlich 453 Millionen Euro betragen.
Agrarwissenschaftler Harald Grethe sagt: „Ich glaube, das, was jetzt vereinbart wurde, ist ein gangbarer Weg.“ Er und viele andere Wissenschaftler halten es grundsätzlich für richtig, die Subventionen für fossile Energien abzubauen. „Streit entzündet hat sich vor allen Dingen an der Geschwindigkeit, das von einem Jahr aufs andere zu machen, das war einfach zu schnell“, sagt Grethe.
In Berlin sorgt man sich angesichts der Demonstrationen um zweierlei: dass die Versorgung von Bürgern und Unternehmen leidet und dass die Proteste von Extremisten gekapert werden könnten. Das VW-Werk in Emden stellte wegen der Blockade am Montag die Produktion ein. Auch der Außenhandel ist betroffen. So wurde der Grenzverkehr zwischen Deutschland und der Tschechischen Republik beeinträchtigt. Die neun Nachbarländer sind als Handelspartner doppelt so wichtig wie China und die USA zusammengenommen. Die Lage könnte sich zuspitzen, wenn am Mittwoch zu den Bauernprotesten noch die Bahnstreiks hinzukämen, warnen Fachleute. Dienstag Abend soll der Ausstand im Güterverkehr beginnen.
„Das Zusammenspiel zwischen Straße und Schiene ist dann ein Problem, wenn parallel blockiert würde“, teilte das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft in Köln mit: „Angesichts der ohnehin bestehenden Logistikprobleme auf Straße und Schiene sind die Aktionen für das Standortimage sicherlich nicht hilfreich.“ Der Handelsverband Deutschland kritisierte: „Die angekündigten Blockaden von Verkehrswegen liegen generell nicht im Interesse der Händler, da sie die tägliche Warenlogistik unter Umständen erschweren.“
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) rief dazu auf, die Proteste zu einer Debatte über die künftige Ausrichtung der Landwirtschaft zu nutzen. Statt in Subventionen und in einer „Industrialisierung“ des Agrarwesens liege die Lösung in fairen Preisen, in Direktvermarktung, Klima- und Tierschutz. Die Ministerpräsidenten von Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen, Stephan Weil (SPD), Hendrik Wüst und Michael Kretschmer (beide CDU), zeigten Verständnis für die Bauernproteste. Sie würden durch die Haushaltskürzungen zu stark belastet.
„Freie Sachsen“ kapern die Proteste
Nach Angaben der Polizei kam es durch Blockadeaktionen am Montag teils zu brenzligen Situationen, in Niedersachsen sogar zu einem Unfall: Ein Teilnehmer der Bauernproteste ist in Friesoythe von einem Autofahrer erfasst und mutmaßlich schwer verletzt worden. Das teilte die Polizeidirektion Oldenburg am Montag auf der Plattform X, vormals Twitter, mit. Ein Sprecher der Polizei sagte, der Teilnehmer sei mutmaßlich schwer verletzt.
In Dresden war indes zu beobachten, was viele Politiker und auch der Bauernverband befürchtet hatten: Die rechtsextreme Kleinstpartei „Freie Sachsen“ missbrauchte die Proteste für ihre Zwecke und rief zum „Tag des Widerstands“ auf. Die Partei selbst sowie Beobachter sprachen von rund 10.000 Menschen, die dem Aufruf der „Freien Sachsen“ folgten. Radikale Forderungen der Demonstrierenden wie „Ampel auslöschen“ hatten mit der Forderung der Bauern, die Kürzungen von Agrarsubventionen zurückzunehmen, nichts zu tun.