Batteriezellen zu Gunsten von E-Autos: VW setzt Milliarden-Meilenstein zu Gunsten von deutsche Autoindustrie

Kein Bundeskanzler kommt, kein Ministerpräsident reist an, kein Vorstandschef schüttelt Hände. Das derzeit wohl mutigste Zukunftsprojekt der deutschen Autoindus­trie geht so unauffällig an den Start, wie es nur kann. Und doch ist es ein Meilenstein, der da gesetzt wird: Im Werk Salzgitter nimmt Volkswagen in den kommenden Tagen sein weltweit erstes eigenes Batteriezellenwerk in Betrieb.

Während die EU-Kommission in Brüssel Benzin- und Dieselmotoren eine Nachspielzeit gewähren will und vom geplanten „Verbrennerverbot“ abrückt, treibt Europas größter Autohersteller die E-Mobilität voran. Die Batterien aus Salzgitter will VW in einer neuen Generation von Elektrokleinwagen einsetzen.

Strategische Weichenstellung oder Milliardengrab?

Die Nachricht ist ein Kontrapunkt im verzagten Deutschland, in dem die Angst vor dem großen Industriesterben umgeht. VW dagegen greift an. Das erklärte Ziel: Der Autobauer will „ein globaler Batteriechampion“ werden und bei den wichtigen Stromspeichern endlich aufholen zur Konkurrenz aus Asien. Die technischen und wirtschaftlichen Herausforderungen sind riesig. In die Konzerngeschichte kann das kühne Projekt als zen­trale Weichenstellung in Richtung Zukunft eingehen – oder als Milliardengrab. Deshalb ist das Großprojekt auch ein Härtetest für ein müde gewordenes Industrieland: Kann Deutschland Zukunft?

Zumindest in einem Punkt sind sich viele Fachleute einig: Die Batterieoffensive von VW ist die letzte große Chance der europäischen Industrie, doch noch Fuß zu fassen im strategisch wichtigen Geschäft mit Stromspeichern für Elektroautos. Wenn auch VW scheitert, wird es wohl keinen weiteren Anlauf mehr geben. „Volkswagen ist in Europa the last man standing“, sagt Patrick Hummel, Autoanalyst der Schweizer Großbank UBS.

Ansonsten liegen die europäischen Pläne für den Aufbau einer eigenen Batteriezellenindustrie weitgehend in Trümmern. Tiefpunkt war die Insolvenz des schwedischen Batterie-Hoffnungsträgers Northvolt im vergangenen Winter. Mercedes wiederum hat sich zwar mit dem Opel- und Fiat-Konzern Stellantis zusammengetan und eine Batteriefabrik in Frankreich gebaut, aber zwei weitere in Kaiserslautern und in Italien wurden gestoppt. Stattdessen hat sich Stellantis an einem Fabrikprojekt des chinesischen Weltmarktführers CATL in Spanien beteiligt.

Die mächtigen Eigentümerfamilien von VW grummeln

Ganz anders Volkswagen. 20 Milliarden Euro werde man in die Batterietechnik investieren, kündigte VW vor drei Jahren an, als die Zeiten in der Autoindustrie noch besser waren. Inzwischen ist wegen schwacher E-Auto-Verkäufe und Sparzwängen zwar nur noch von einem höheren einstelligen Milliardenbetrag die Rede, aber das ist immer noch eine der größten Investitionen des VW-Konzerns. Allein für die ersten neun Monate des Jahres weist das Unternehmen für die Batterieeinheit Powerco wegen hoher Vorleistungen 1,1 Milliarden Euro Verlust aus.

Neue Batteriefabrik von VW in Salzgitter

Die mächtigen VW-Eigentümerfamilien der Porsches und Piëchs grummeln ob des Batteriewagnisses. Aber Konzernchef Oliver Blume hält dagegen. „Wir dürfen bei dieser wichtigen Technologie nicht wie bisher vollständig von asiatischen Zulieferern abhängig sein“, sagte Blume vergangene Woche im F.A.S.-Interview. Auch in die Lieferketten für Batterierohstoffe investiert VW.

Die Hälfte seines Bedarfs an Stromspeichern will der Konzern in Zukunft mit eigenen Batterien decken, in der europäischen Autoindustrie sind solche Ambitionen einzigartig. VW folgt damit dem Vorbild BYD. Chinas größter E-Auto-Hersteller fertigt seine Batterien ebenfalls selbst, was Fachleute als wichtigen Wettbewerbsvorteil sehen.

Batterien für jährlich 250.000 Elektroautos

Bisher werden im VW-Werk in Salzgitter Benzin- und Dieselmotoren gefertigt. Im Flur, der zur Werksleitung führt, ist auf einem Podest ein monumentaler 1000 PS starker 16-Zylinder-Motor aufgebaut, wie in einem Museum. Aber neben den alten Fabrikhallen in Salzgitter hat VW in den vergangenen Jahren für rund zwei Milliarden Euro – und ohne staatliche Subventionen – sein Batteriezellenwerk aus dem Boden gestampft. Zum Baubeginn 2022 reiste der damalige Kanzler Olaf Scholz an. Heute stehen hier zwei neue, 600 Meter lange Hallen für die Batteriefertigung.

Die „Gigafactory“ in Salzgitter kann in der ersten Ausbaustufe Stromspeicher mit einer Gesamtkapazität von 20 Gigawattstunden produzieren – genug für rund 250.000 elektrische Autos im Jahr. Das neue Werk ist Vorbild für zwei weitere weitgehend identische VW-Batteriefabriken in Spanien und Kanada. Sie sind im Bau und sollen in den nächsten zwei Jahren in Betrieb gehen.

VW will sich damit zumindest teilweise aus der Abhängigkeit von asiatischen Batterieherstellern befreien. Das Problem ist seit Langem bekannt: In Europa steigt zwar der Absatz von E-Autos, aber deren technologisches Herzstück, die Stromspeicher, kommen bislang fast ausschließlich von Lieferanten aus Fernost.

Was diese Abhängigkeit besonders prekär macht: Chinesische Hersteller verdrängen zunehmend Wettbewerber aus anderen asiatischen Ländern. Der Weltmarktanteil des koreanischen LG-Konzerns hat sich binnen vier Jahren halbiert. Dass China sich nicht scheut, marktbeherrschende Positionen seiner Unternehmen als geopolitisches Druckmittel zu nutzen, haben zuletzt der Lieferstopp für Nexperia-Computerchips und die Exportbeschränkungen bei Seltenen Erden gezeigt.

Überholt Chinas Batteriechampion bald Bosch?

Die Autonation Deutschland hat schon im vergangenen Jahrzehnt den Anschluss verloren. Während chinesische Neulinge wie BYD und CATL mit aller Kraft – und auch viel staatlicher Unterstützung – auf die Batterietechnik setzten, scheuten deutsche Hersteller und Zulieferer das finanzielle Risiko. Heute spielen sie allesamt keine Rolle in der Schlüsseltechnologie der Elektromobilität.

Führende Industrievertreter erklären sich für nicht zuständig: „Es kann nicht das Kernziel von Unternehmen sein, europäische Abhängigkeitsprobleme zu lösen“, sagte Bosch-Chef Stefan Hartung vergangenes Jahr der F.A.S. Sein Unternehmen hat 2018 beschlossen, nicht in die Batteriefertigung einzusteigen.

Bis Ende des Jahrzehnts könnte Chinas Batteriechampion CATL Bosch als globale Nummer eins unter den Autozulieferern verdrängen. Denn Bosch ist in einem der größten Wachstumsbereiche nicht dabei. Die Unternehmensberatung McKinsey prognostiziert, dass sich der Weltmarkt für Batterien bis 2030 verdoppelt. „Europa wird seinen Bedarf nur durch hohe Importe aus Asien decken können“, erwartet McKinsey-Batterie­experte Martin Linder.

Europäern fehlte „die Tugend des Langmuts“

Den Europäern habe es im technisch anspruchsvollen und kapitalintensiven Batteriegeschäft an „der fernöstlichen Tugend des Langmuts“ gefehlt, sagt der Batterieforscher Maximilian Fichtner, Direktor des Helmholtz-Instituts Ulm. Ohne Ausdauer und Wagemut stehe kein Unternehmen die Anfangsphase in der Batteriezellenfertigung durch.

Konzernzentrale von CATL im chinesischen Ningde
Konzernzentrale von CATL im chinesischen NingdeAFP

In Europa wurden in den vergangenen Jahren zahlreiche Batterieprojekte gestoppt. „Seit Anfang 2024 hat sich das Volumen der in Europa geplanten europäischen Produktionskapazitäten fast halbiert“, rechnet McKinsey-Experte Linder vor. Auch VW tritt kürzer: Die drei neuen VW-Zellfabriken in Niedersachsen, Spanien und Kanada kommen in der ersten Ausbaustufe zunächst nur auf eine Jahreskapazität von zusammen 60 Gigawattstunden. Ob der Autokonzern jemals die ursprünglich angekündigten 200 Gigawattstunden bauen wird, ist ungewiss. Das Geld ist knapp. Zwar will VW externe Investoren für seine Batteriesparte finden, aber das ist Zukunftsmusik.

Die magische Kennzahl der Batteriezellenfertigung

Wird ausgerechnet der ertragsschwache VW-Konzern, der dringend die Kosten senken muss, jetzt mehr Durchhaltevermögen zeigen? Der für das Batteriegeschäft verantwortliche VW-Vorstand Thomas Schmall gibt sich vor dem Start demonstrativ selbstbewusst: „Mit der Zellfabrik in Salzgitter zeigen wir, dass wir auch in Europa innovative Spitzentechnologie entwickeln und industrialisieren können“, sagt er der F.A.S.

Die nächste Zeit wird schwierig. Das technisch anspruchsvolle Hochfahren der Produktion kann in der Batteriezellfertigung Jahre dauern. VW rechnet in Salzgitter mit einer Anlaufphase von zwölf bis 18 Monaten. Verzögerungen können schnell teuer werden.

Als magische Kennzahl gilt in der Branche die sogenannte „factory yield“, die schnellstmöglich nach oben gebracht werden muss: Mehr als 90 Prozent der Batteriezellen müssen ohne Mängel aus der Produktion kommen, sonst sei eine Fabrik kaum wirtschaftlich zu betreiben, sagen Kenner der Materie. Nicht zuletzt daran ist Northvolt gescheitert.

„VW kann das hinbekommen“

„Ich bin mir sicher, dass VW das hinbekommen kann“, sagt der Batterieforscher Fichtner vom Helmholtz-Institut. Anders als Northvolt hat der Autokonzern einen erfahrenen Partner. Seit 2021 ist VW Großaktionär beim chinesischen Batteriehersteller Gotion, der beim Aufbau der Produktion in Salzgitter mithalf. In China hat VW vorab eine Miniaturausgabe der Produktionslinie in Salzgitter gebaut und mit den gleichen Maschinen den schwierigen Fertigungsprozess erprobt. Die Hightech­anlagen für die Zellfabrik in Niedersachsen sind ohnehin großteils made in China. Hauptlieferant ist der Maschinenbauer Wuxi Lead.

Die technische Komplexität ist das eine, aber die größere Herausforderung werde für VW die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit werden, erwartet der Batterie­experte Christoph Neef vom Fraunhofer ISI in Karlsruhe. Die hohen Strompreise in Deutschland sind in der energieintensiven Batterieproduktion ein Handicap.

VW-Chef Oliver Blume im September auf der Automesse IAA in München
VW-Chef Oliver Blume im September auf der Automesse IAA in Münchendpa

Aber es gibt noch einen anderen Nachteil: VW produziert in Salzgitter auf absehbare Zeit nicht die preisgünstige Lithium-Eisenphosphat-Zellchemie (LFP), sondern setzt auf einen teureren Mix aus Nickel, Mangan und Kobalt (NMC). LFP-Stromspeicher galten westlichen Entwicklern lange als nicht leistungsfähig genug für E-Autos. Doch Hersteller wie BYD und CATL haben die LFP-Technik inzwischen stark verbessert und den Markt aufgerollt. Wegen enormer Überkapazitäten haben sich die Preise für Eisenphosphatbatterien in China seit 2023 rund halbiert.

70 Prozent höhere Kosten als in China?

„Die Kosten der in Salzgitter gefertigten NMC-Zellen dürften um etwa 70 Prozent höher sein als die chinesischer LFP-Zellen“, schätzt UBS-Analyst Hummel. Zwar findet er es richtig, dass der Autokonzern zumindest einen Teil der benötigten Batterien selbst herstellt. „Es wäre fahrlässig, wenn sich VW weiterhin so stark wie bisher auf chinesische Lieferanten verlassen würde“, sagt Hummel. „Aber diese Absicherung hat einen hohen Preis.“ Und von CATL kommt schon der nächste Innovationsschub: 2026 wollen die Chinesen mit der Massenfertigung von Batterien beginnen, die ohne Lithium auskommen und stattdessen auf billig verfügbarem Salz basieren.

Dass China heute die Batterieindustrie dominiert, liegt allerdings nicht nur seiner innovativen Chemie und auch nicht nur an der Risikoscheu westlicher Automanager. Anders als in Europa wurden asiatische Hersteller von ihren Regierungen umfangreich und systematisch finanziell gefördert. Von einer massiven Unterstützung in China, Südkorea, aber auch in Kanada spricht VW-Batterievorstand Schmall.

Können europäische Hersteller wie VW den chinesischen Batterieriesen  wirklich Paroli bieten? Nur, wenn auch die europäischen Regierungen ihre heimischen Unternehmen viel stärker finanziell unterstützten, sagt die Industrie. Neun Milliarden Euro Staatshilfen wünscht sich die Branche bis 2030.

Manche hoffen weiter auf eine große gesamteuropäische Offensive. Vorbild ist ein industriepolitischer Triumph aus ganz alten Zeiten: „Wir brauchen eine paneuropäische Batterieallianz nach dem Vorbild von Airbus“, sagt Helmholtz-Forscher Fichtner. Der europäische Flugzeugbauer wurde 1970 auf Initiative von Deutschland und Frankreich gegründet, um ein Gegengewicht zum US-Monopolisten Boeing aufzubauen. Am Ende ist das gelungen. Aber erst nach Jahrzehnten und mit gewaltigen Staatshilfen.