BASF in Ludwigshafen: Startet nun die Revolution welcher Produktion?
Steamcracker sind das Herz der chemischen Industrie. In den milliardenteuren riesigen Anlagen wird entweder Rohbenzin, sogenanntes Naphta, oder Gas unter Einsatz von Dampf und hohen Temperaturen von bis zu 850 Grad Celsius aufgespalten. Heraus kommen dabei neben einigen Nebenprodukten vor allem Ethylen und Propylen: zwei essentielle Ausgangsstoffe, ohne die die moderne Welt nicht funktionieren würde.
Kunststoffe, Lacke, Dämmmaterialien, Textilfasern, Klebstoffe, Pflanzenschutzmittel, Kosmetik, selbst Vitamine – die Liste der Produkte am Ender dieser Wertschöpfungsketten ist schier unerschöpflich. Ohne Steamcracker keine Verpackungen, keine Autos, keine Kosmetik, keine Sportkleidung, keine Fensterprofile, nicht mal Handyhüllen.
Kein Wunder also, dass die Aufregung groß ist an dem Tag, an dem der global erste elektrisch beheizte Steamcracker in Betrieb gehen soll. In Ludwigshafen, am Stammsitz der BASF. Auch wenn es „nur“ eine Pilotanlage ist. Vergleichsweise klein und industriell noch irrelevant. Kein Vergleich mit dem 13 Fußballfelder umspannenden benachbarten riesigen Rohrgespinst – einem von zwei Crackern auf dem Gelände der BASF.
Wenn alles klappt, profitiert nicht nur BASF
Die Bedeutung des vor zwei Jahren gestarteten Neubaus zeigt sich schon in der Präsenz. Nicht nur der scheidende BASF-Chef Martin Brudermüller fand bei der Einweihung in Ludwigshafen euphorische Worte, auch Abdulrahman Al-Fageeh, der Vorstandsvorsitzende des saudi-arabischen Chemieriesen Sabic ist gekommen, dazu Jürgen Nowicki, Vorstandschef von Linde Engineering. BASF und Sabic steuern das Chemiewissen bei, Linde den Anlagenbau.
Wenn alles klappt, profitieren alle drei. Die beiden Chemiekonzern können ihre Anlagen elektrifizieren und Linde eine bis dato einmalige Technologie vermarkten. Die gesamte chemische Industrie schaut darauf, denn ohne eine Elektrifizierung dieser Großanlagen, wird die Dekarbonisierung nicht gelingen.
Brudermüller sagte, die neue Technologie habe das Potential, die CO2-Emissionen bei einem der energieintensivsten chemischen Prozesse um 90 Prozent zu senken. Der Bau zeige, dass BASF an die Zukunft einer nachhaltigen nachhaltigen Chemieindustrie in Europa glaube. Dafür brauche es Unerschrockenheit, Kühnheit und Mut. „Man muss dicke Bretter bohren, wenn die Transformation gelingen soll.“ Projekte wie dieses sorgten für die nötige Zuversicht.
Nach den Worten von Sabic-Chef Al-Fageeh birgt die Technologie „enormes Potential für die Nachhaltigkeit der globalen petrochemischen Industrie“. Er lobte in Ludwigshafen vor allem die Zusammenarbeit mit BASF und Linde. Die Kooperation sei beispielgebend. Für eine erfolgreiche Transformation brauche es mehr solcher Partnerschaften.
Kein Selbstläufer
Ein Selbstläufer ist der E-Furnace genannte Elektroofen allerdings nicht. Noch steht nur eine Pilotanlage, bis Ende 2026 will BASF testen, wie sich die Technik behauptet, und wie die neuen Öfen in die bestehenden Anlagen integriert werden könne. Dass die Altcracker eines Tages auf einen Schlag durch Elektroanlagen ersetzt werden können, daran glauben auch die BASF-Verantwortlichen nicht. Im Konzern geht man vielmehr davon aus, dass die Öfen schrittweise ersetzt werden.
Zudem brauche es weitere Technologien, etwa die Befeuerung mit Wasserstoff oder das Verpressen von anfallendem Kohlendioxid, um wie versprochen, bis zum Jahre 2050 klimaneutral zu werden. Ein ungelöstes Problem ist vor allem der Stromverbrauch. Würde man heute einen neuen „World-Scale“-Cracker auf elektrischer Basis bauen, also eine Anlage, die 1 Million Tonnen Ethylen im Jahr erzeugt, bräuchte man nach Darstellung des BASF-Projektverantwortlichen Michael Reitz je nach Einsatz der Grundstoffe Naphta oder Gas zwischen 480 bis 850 Megawatt Strom im Jahr.
Die Spannbreite entspricht grob der Leistung eines kleinere Atomkraftwerkes oder eines mittelgroßen Windparks auf dem Meer. Aktuell betreibt alleine BASF fünf Cracker, ein neuer am gerade errichteten Verbundstandort in Südchina kommt absehbar dazu. Nach Zahlen der Marktforschung SVP sind in Deutschland zehn Steamcracker im Einsatz, in der EU seien es 50.
Um die Produktion in der chemischen Industrie bis 2050 vollständig klimaneutral zu machen, wird sich der Stromverbrauch nach Einschätzung des Verbands der Chemischen Industrie auf 685 Terawattstunden mehr als verzehnfachen. Die chemische Industrie würde dann deutlich mehr Strom brauchen als heute das gesamte Land.
BASF rechnet mit einer Verdoppelung bis Verdreifachung des Stromverbrauchs allein bis zum Jahr 2030 und hat deshalb schon erheblich in Windparks investiert. Mit Vattenfall und der Allianz betreibt der Konzern seit kurzem den bis dato größten Park der Welt vor der holländischen Küste. Gemeinsam mit RWE baut er einen weiteren Park in der deutschen Nordsee, der vom Jahr 2030 an auch das Werk in Ludwigshafen versorgen soll. Obwohl viele Fragen rund um Regulierung, Netze und Netzgebühren noch nicht geklärt sind, will BASF in die Erzeugung erneuerbarer Energie und den Umbau der Produktion bis dahin zwischen drei und vier Milliarden Euro investieren.
Gemessen daran, ist das Pilotprojekt klein. Der Bund hat 15 Millionen Euro an Fördermittel beigesteuert, insgesamt sind nach Angaben der BASF 70 Millionen Euro in den Bau geflossen. Linde will die Technik schon von Ende des Jahres an vermarkten. Linde-Vertreter Jürgen Nowicki sagte, Ziel sei, damit einen neuen Standard für die Industrie zu entwickeln. Die Zeitenwende stehe erst am Anfang und sei alles andere als leicht zu bewältigen: „Keiner schafft es alleine.“