Bangladesch: Neuer Regierungschef Muhammad Yunus ruft zum inneren Frieden hinauf

Eine Stimmung des Aufrufs klingt in Bangladesch so schnell nicht ab. Besonders im benachbarten Indien wächst die Besorgnis über anhaltende gewalttätige Übergriffe nach dem Sturz der früheren Premierministerin Sheikh Hasina. Es gibt Angriffe auf Häuser, Geschäfte und Tempel von Hindus.

Der neue Regierungschef Muhammad Yunus war der Aufforderung von Studentenführern, hoher Militär und des Präsidenten von Bangladesch gefolgt, eine Übergangsregierung anzuführen. Inzwischen gratulierte er in einer Erklärung „den mutigen Studenten, die bei den Protesten die Führung übernommen“ hätten. Hasinas Rücktritt am 5. August bezeichnete er als „unseren zweiten Siegestag“ nach Bangladeschs Unabhängigkeit im Jahr 1971.

Yunus rief dazu auf, die jetzt entstandene Chance zu nutzen: „Lassen Sie uns das Beste aus unserem neuen Sieg machen. Wir dürfen die Gelegenheit nicht durch eigenen Fehler kaputt machen. Ich appelliere inständig an alle, ruhig zu bleiben. Bitte verzichten Sie auf jede Form der Gewalt. Ich rufe alle Mitglieder politischer Parteien und alle nicht-politischen Menschen dazu auf, ruhig zu bleiben. Das hier ist unser schönes Land mit vielen aufregenden Möglichkeiten.“ Dann fuhr er fort: „Gewalt ist nicht unser Freund. Bitte schaffen Sie nicht noch mehr Feinde.“

Es gibt Bilder von Hindus, die vom Mob gelyncht werden

Nur wenige Stunden nach Hasinas Rückzug und Flucht aus der Hauptstadt Dhaka am 5. August brach offenbar Gewalt gegen Hindus aus. Es gibt Bilder von Hindus, die vom Mob gelyncht werden, von in Brand gesteckten Tempeln und geplünderten Geschäften. Diese Szenen des Grauens überschwemmen die Sozialen Medien in Indien. Dabei ist das volle Ausmaß dessen, was geschieht, noch unklar. In Bangladesch leben mehr als 13 Millionen Hindus, fast acht Prozent einer überwiegend muslimischen Bevölkerung. Viele der Hindus waren traditionell Anhänger von Hasinas Partei, der Awami-Liga, die stets enge Verbindungen zu Indien pflegte. Es handelt sich um eine säkulare Partei. Ihre Rivalin, die Bangladesh Nationalist Party (BNP) sowie die islamische Hardliner-Partei Jamaat-e-Islami unterstützten die Proteste.

Ex-Premierministerin Hasina bleibt vorerst in Indien, wo sie Zuflucht gesucht hat. Ihr überstürzter Abgang hinterließ ein Vakuum, das dabei half, Anhänger der Awami-Liga ins Visier zu nehmen, wobei dieser Partei bislang Hindus und Muslime gleichermaßen angehören. Tarique Rahman, der derzeitige Parteivorsitzende, appellierte an die Menschen im Land, die Sicherheit aller zu gewährleisten. „Es ist unsere Pflicht, alle Bürger zu schützen, unabhängig von Religion, Politik und diskriminierender Gewalt, und keine bestimmte Gemeinschaft zu schikanieren oder Rache zu üben“, erklärte er in einem Beitrag auf X.

Im alten Teil von Dhaka standen Muslime an der Seite ihrer hinduistischen Nachbarn, um einen Hindu-Tempel vor einem gewaltbereiten Mob zu schützen. Studentenführer gründeten außerdem Freiwilligen-Gruppen, die dem gleichen Zweck dienen.

Unterdessen wächst vor allem in Westbengalen die Unruhe. Der an Bangladesch grenzende indische Bundesstaat muss sich den Zustrom von Hindu-Flüchtlingen einstellen, warnte ein Parlamentsabgeordneter der in Delhi regierenden Bharatiya Janata Partei (BJP). „Wenn die Lage unkontrollierbar wird, muss man sich darauf einstellen, zehn Millionen hinduistischen Flüchtlingen Zuflucht zu gewähren. Wird die Lage in Bangladesch nicht schnell wieder beherrschbar, werden dort Jamaat und andere Radikale die Macht übernehmen“, erklärte Suvendu Adhikari gegenüber Journalisten.

Indien solle „aufstehen und handeln“, meint der Hindu-Führer Sadhguru Jaggi Vasudev

Indiens Außenminister Subrahmanyam Jaishankar zeigte sich vor Parlamentariern „tief besorgt“ über die Verunsicherung der Hindu-Minderheit. Auch haben in Indien einige rechtsgerichtete hinduistische Führer die Regierung bereits zum Handeln aufgefordert. Der selbsternannte spirituelle Lautsprecher Sadhguru Jaggi Vasudev meinte, die Gewalt gegen Hindus in Bangladesch sei nicht allein eine interne Angelegenheit. Indien solle „aufstehen und handeln“, um Hindus zu beschützen. In einem Beitrag auf X erklärte Vasudev: „Es ist unsere Verantwortung, diese Menschen – die eigentlich zu unserer Zivilisation gehören –, vor diesen schockierenden Gräueltaten zu schützen.“

Ob und wie viele Hindus nach Indien fliehen werden, hängt laut der früheren Diplomatin Neelam Deo davon ab, wie sich die Gewalt verbreitet und wie nah die betroffenen Gebiete an der Grenze zu Indien liegen. Wenn Medienberichte stimmen, wonach in 27 von Bangladeschs 65 Regierungsbezirken Gewaltexzesse registriert werden, dann ist bereits ein gefährliches Ausmaß erreicht. Neelam Deo weiter: „Die Armee wird eingreifen müssen und zeigen, dass Angreifer nicht ungestraft davonkommen. Aber es ist auch wichtig, dass die Menschen in Bangladesch aufhören, die Awami-Liga zu dämonisieren.“

Laut Berichten lokaler indischer Medien brachte das Land 190 nicht unbedingt benötigte Mitarbeiter seines Hochkommissariats in Dhaka mit einem Sonderflug nach Hause. Indische Diplomaten und andere Mitarbeiter blieben jedoch im Land, sowohl in Dhaka als auch als Personal indischer Konsulate in vier anderen Städten. Bisher praktizierten Indien und Bangladesch eine enge Zusammenarbeit in den Bereichen Sicherheit, Handel, Investitionen und Verteidigung. In Delhi befürchtet man nun, die möglichen Folgen anhaltender Instabilität des Nachbarstaates, in dem die islamistische Organisation Jamaat-e-Islami eine größere Rolle spielen könnte. Es wird damit gerechnet, dass dadurch der Einfluss von Indiens Rivalen China und Pakistan auf seine Angelegenheiten gestärkt wird.