Bäche denn unterschätzte Gefahr: Wie können sie besser überwacht werden?

Stand: 24.09.2025 13:55 Uhr

Was normalerweise idyllisch vor sich hin plätschert kann bei Starkregen zu einer reißenden Gefahr werden. Mehrere Bäche waren etwa für das Hochwasser 2021 im Ahrtal verantwortlich. Wie können sie besser überwacht werden?

Von Sandra Biegger, SWR

Wer zum Armuthsbach in der Nähe der Gemeinde Schuld will, der muss sich dafür einen Weg bahnen. Gemächlich plätschert das Gewässer, das hier in die Ahr mündet, vor sich hin. Gut 18 Kilometer lang ist der harmlos anmutende Bach, der sich durch Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz schlängelt. An vielen Stellen kann man problemlos von der einen zur anderen Seite hüpfen.

Als Laie kann man sich kaum vorstellen, dass dieses Bächlein mit zum verheerenden Ahr-Hochwasser 2021 beigetragen haben soll. Und doch sei genau das passiert, erklärt der Geograf Thomas Roggenkamp. Er arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni Bonn, beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Hochwasserereignissen.

Thomas Roggenkamp steht am Armuthsbach

Roggenkamp hat errechnet, dass der Armuthsbach in der Katastrophennacht vom 14. auf den 15. Juli bis zu 400-mal mehr Wasser führte als gewöhnlich – verursacht durch Starkregen. Dieser Zufluss allein hätte schon zu einem Anstieg des Wasserstandes in der Ahr geführt, erklärt der Geograf. Dabei ist der Armuthsbach nur einer von insgesamt 52 Zuflüssen, die in die Ahr münden. Roggenkamp sagt, sechszehn davon seien relevant für die Entstehung des Hochwassers 2021 gewesen.

Pegel sollen Leben retten

Der Wissenschaftler plädiert deshalb dafür, auch kleinere Bäche mittels Pegel permanent zu überwachen. Nur so sei es möglich, ein sich anbahnendes Hochwasser möglichst früh zu erkennen. So könnten dann Anwohner frühzeitig in Sicherheit gebracht werden. Bei der Flutkatastrophe 2021 sind allein in Rheinland-Pfalz 136 Menschen gestorben.

Roggenkamp sagt: Das Hochwasser habe gezeigt, dass bei kleineren Flüssen wie der Ahr Eile geboten sei – anders als bei einem langen und breiten Strom wie dem Rhein. Bei diesem dauere es Tage, bis der Pegelstand eine kritische Marke erreiche. Hinzu kommt die Topografie des Ahrtals. Bei Starkregen fließt das Wasser sehr schnell die steilen Hänge hinunter. Dort lande es in den Bächen der Seitentäler, die die Wassermassen wiederum in die Ahr transportierten, erklärt Roggenkamp. Das alles könne rasend schnell gehen.

An der Ufertreppe des Ahbachs ist eine Pegelstandsanzeige angebracht. Sie soll helfen, die Bevölkerung bei Hochwasser früher zu warnen.

Zusätzliche Pegel geplant

Eine leidvolle Erkenntnis, die seit der Flutnacht auch die politisch Verantwortlichen in der Region teilen. Und deshalb wurden und werden nicht nur vom Hochwasser zerstörte Pegel wieder aufgebaut, sondern auch zusätzliche Messeinrichtungen installiert.

Auf kommunaler Ebene sind in Rheinland-Pfalz mehr als ein Dutzend zusätzlicher Pegel geplant. Nicht nur an der Ahr, sondern auch an Bächen, die in den Fluss münden. Ab dem kommenden Jahr sollen sie einsatzbereit sein. Kritiker sagen, das sei zu spät. Außerdem bemängeln sie, dass nicht jeder Ahrzufluss einen Pegel bekommen soll. Das nächste Hochwasser könne schneller kommen als man denkt. 

Weniger Kopfkino bei Regen

Eine Angst, die Kristina Backs teilt. Sie betreibt einen Pferdehof in Ahütte/Üxheim im Norden von Rheinland-Pfalz. Direkt neben ihrem weitläufigen Anwesen plätschert der Ahbach für gewöhnlich eher unauffällig vor sich hin. In der Flutnacht im Sommer 2021 wurde jedoch auch aus ihm ein reißender Fluss – der den Pferdehof in kürzester Zeit verwüstete. Zurück blieb ein Millionenschaden.

Kristina Backs hatte den Hof erst kurz vorher übernommen, deshalb standen noch keine Pferde auf den Koppeln, die überflutet wurden. „Seit der Flut vor mehr als vier Jahren habe ich schon viele schlaflose Nächte gehabt“, erzählt sie. „Immer wenn es regnet, bin ich beinahe panisch. Permanent gehe ich dann im Kopf wieder und wieder meine verschiedenen Notfallpläne durch. Und komme einfach nicht zur Ruhe.“ Oft geht sie dann auch nachts mit der Taschenlampe in der Hand zum Bach, schaut, wie viel Wasser er führt, damit sie die Tiere im Fall des Falles schnell in Sicherheit bringen kann.

Automatische Alarmierung

Dauerhaft mehr Lebensqualität – das erhofft sie sich von dem Pegel, der seit kurzem am Ahbach in Betrieb ist. „Auch weil ich dann die Verantwortung zumindest ein Stück weit an die Technik abgeben kann“, wie sie betont. Die Messstelle gibt es prinzipiell zwar schon länger. Als Konsequenz aus der Flutkatastrophe wurde er technisch jedoch so aufgepeppt, dass er mittlerweile automatisch Daten an den Hochwasservorhersagedienst des Landes weitergibt. Interessierte wie Kristina Backs können sich von dort Warnhinweise aufs Handy schicken lassen, sobald ein bestimmter Pegelstand erreicht wird.

Die rheinland-pfälzische Umweltministerin Katrin Eder sieht in dem Pegel einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Hochwasservorsorge im Land. Die Kosten für ihn beziffert das zuständige Landesamt für Umwelt auf bislang 30.000 Euro.

Pegel für Laien?

Dass es beim Pegelbau auch günstiger geht, zeigt eine wissenschaftliche Projektgruppe an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Sie nennt sich „Guerilla Sensing“. Als Konsequenz auf das Weihnachtshochwasser 2023/2024 entwickelten Studierende eine kostengünstige, tragbare Messstation, die GBox. Mit dieser wollen sie unter anderem Feuerwehrleute und Rettungskräfte unterstützen.

„Die GBox eignet sich auch perfekt in Krisenlagen“, sagt der zuständige Informatikprofessor Andreas Winter. „Vor allem, weil man sie innerhalb weniger Minuten installieren kann und sie so sehr schnell Daten liefert.“ Übertragen werden die Daten nach Auskunft der Macher per LoRa, einem Funknetz, das auch über größere Entfernungen funktioniert. Ein Solarmodul versorgt die Lithium-Ionen-Akkus in der GBox mit Strom. Alles in allem koste jedes Gerät nur einige hundert Euro, betont Winter. Außerdem könnten die mobilen Pegel in bestehende Messnetzwerke problemlos integriert werden.

Ein Projekt mit Zukunft: Mittlerweile arbeitet die Uni unter anderem mit der Stadt Oldenburg gemeinsam an der Weiterentwicklung der GBox. Außerdem widmet sich nach Auskunft von Winter aktuell eine Masterarbeit der Frage, wie die GBox auch von engagierten Laien (Citizen Scientists) gebaut und betrieben werden könne. Der Informatikprofessor hält es für denkbar, dass die an seinem Lehrstuhl entwickelte GBox irgendwann auch helfen könnte, kleine Bäche im Ahrtal zu überwachen. Er plädiert jedoch dafür, die gesammelten Messdaten im Anschluss auf alle Fälle von Fachwissenschaftlern interpretieren zu lassen. „Ansonsten besteht die Gefahr, dass unnötig Panik entsteht, und damit ist niemandem gedient.“

Es sind Projekte wie diese, die dem Hochwasserexperten Thomas Roggenkamp von der Uni Bonn Mut machen. Der Wissenschaftler sagt: Je mehr Pegel es auch an Bächen gebe, umso besser. Jeder einzelne könne helfen, Leben zu retten – nicht nur im Ahrtal.

Source: tagesschau.de