Back to the roots? Als Rio Reiser 1990 jener PDS beitrat

Wenn die Nacht am tiefsten ist, ist der Tag am nächsten“ – die frühen Ton Steine Scherben schafften das, wovon viele Künstler träumen: den Einklang von Kunst und Leben. Philip Meinhold hat über ihre Musik den wunderbaren Podcast Musik ist eine Waffe gemacht. Acht Folgen, die es in der ARD-Audiothek zu hören gibt; Geschichten von Rausch und radikaler Liebe. „Wir müssen hier raus!“

Meinhold erzählt aber auch von den heftigen Auseinandersetzungen der Musiker mit der radikalen linken Szene – Berichte aus einer gänzlich anderen Zeit, als die Linke noch Sand im Getriebe sein wollte, statt es zu reparieren. Wer erinnert sich heute noch an die Lehrlingsbewegung? Das Milieu, das die Scherben und ihren Sänger Rio Reiser inspiriert und lange Zeit getragen hat, ist fast gänzlich verschwunden. Für zwei Mandate im Römer reicht es noch. Jutta Ditfurth, die bei den Grünen stets die Rotation gefordert hat, sitzt, wenn auch mit Unterbrechung, seit über 20 Jahren in der Stadtverordnetenversammlung von Frankfurt am Main.

Straßenkämpfer, Popstar, Wahlkämpfer

Nach dem Mauerfall wird Rio Reiser der PDS beitreten, ein Kapitel im Leben des Sängers, das im Podcast nicht auserzählt wird. Der kommerzielle Erfolg, den der „König von Deutschland“ hatte, lag schon Jahre zurück. Das Songmaterial hatte zum Teil noch von den Scherben gestammt, die hoch verschuldet waren und sich wohl auch deshalb aufgelöst hatten.

Die Frage wäre gewesen: Inwieweit war Reiser bei seinem Parteieintritt 1990 einer Täuschung erlegen? Dass er mit dem kapitalistischen Musikbetrieb seine Bauchschmerzen hatte, ist bekannt. Aus dem Straßenkämpfer war ein Popstar geworden, aus Haltung Unterhaltung. Wäre es denkbar, dass Reiser zu Beginn wieder zurückwollte in eine politisch-kulturelle Szene, die ihn zwar jahrelang genervt, aber auch unglaublich inspiriert hatte, zu den vielleicht besten deutschen Rocksongs. Wollte Rio Reiser back to the roots?

Traum von der PDS als linkspluralistischem Projekt

Dieses Milieu aber gab es nicht mehr; die Partei des Demokratischen Sozialismus versuchte, die Leerstelle auszufüllen. Und wie der Sänger hofften seinerzeit viele Westlinke, die von den Grünen enttäuscht waren, dass hier aus den Trümmern der DDR-Staatspartei ein linkspluralistisches Projekt entstünde – und zwar für die gesamte Bundesrepublik.

War das nun eine Hoffnung oder eine Illusion? Rio Reiser machte für die PDS sogar Wahlkampf. Der kulturelle Mundgeruch der Partei wird ihm nicht entgangen sein. Auch nicht, dass dort schon bald Leute den Ton angaben, die in der DDR eine angefangene Karriere hatten, wie es der Historiker Jörn Schütrumpf sagt. Als Rio Reiser 1996 beigesetzt wurde, hatte die PDS nicht mal einen Kranz für ihn.

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