Autofiktion | Therapeutische Selbsterforschung: Der neue Roman von Daniela Dröscher
„Junge Frau mit Katze“ ist der dritte Roman von Daniela Dröscher, der sehr nah an ihrer Biografie spielt. Er erzählt von Imposter-Syndromen, das schreibende Leben und einer Frau, die Wissenschaftlerin werden will
Die vorangegangenen beiden Romane präsentieren bereits die mit ihrer Autorin Daniela Dröscher eng verwandte Erzählerin
Foto: Heike Steinweg
Ein „Chaos aus Schuld und Scham“. So beschrieb die Erzählerin in Daniela Dröschers Roman Zeige deine Klasse (2018) ihre Verfassung. Es ist die gleiche Erzählerin wie die des Romans Lügen über meine Mutter (2022) und Junge Frau mit Katze. Die Motivation ihres Erzählens ist der Wunsch, innere Orientierung zu finden, verlässlichen Zugang zu den eigenen Gefühle zu entwickeln, und in allen drei Romanen sind es biografische Erfahrungen der Autorin Daniela Dröscher, die als Material dienen, sodass man von einer Trilogie sprechen könnte, auch wenn jeder der drei Romane für sich steht.
Junge Frau mit Katze nimmt Motive und emotionale Brennpunkte der eigenen Biografie wieder auf, die in den vorangegangenen Büchern zentral waren: das Verhältnis der Erzählerin zu sich und dem eigenen Körper, zur Mutter und zum Schreiben. Auch formal ist Junge Frau mit Katze eine Fortsetzung der beiden Vorgänger: Jedem Kapitel geht eine Reflexion der Erzählerin auf das Erzählte voraus, die Voraussetzungen, Möglichkeiten und Grenzen dessen, was zu erzählen sie sich vorgenommen hat, offenlegt.
Die Erzählerin will Wissenschaftlerin werden
Die vorangegangenen beiden Romane präsentieren die mit ihrer Autorin eng verwandte Erzählerin als eine, die das Chaos aus Schuld und Scham in Ordnung zu bringen weiß, indem sie bereits weiß, dass sie eine Schriftstellerin ist und durch die bewusste Entscheidung für diese Rolle einen Kompass oder ein Steuerrad in Händen hält. Die Erzählerin von Junge Frau mit Katze befindet sich in einer anderen Situation: Ela steht davor, ihre Doktorarbeit abzuschließen.
Sie will Wissenschaftlerin werden. Eingeigelt in ihre Dachgeschosswohnung wird sie, die seit einer Hirnoperation mit Anfang zwanzig, bei der ein gutartiger Tumor entfernt wurde, mit panischer Angst vor Krankheit und Schwäche herumläuft, regelrecht lahmgelegt von rasenden, beklommen machenden Halsschmerzen. Die Suche nach dem Grund für den „Geist in der Kehle“ löst eine Reihe von Ereignissen und Erkenntnissen aus, die Elas arbeitssüchtiges, beziehungsfragiles Leben von Grund auf verändern. Nichts weniger als die Geburt der Schriftstellerin aus der Überwindung von Schmerz steht am Ende der Suche.
Bis dorthin ist es ein weiter Weg, der die Erzählerin zu einer intensiven Auseinandersetzung mit ihrer Unfähigkeit, ihre Gefühle wahrzunehmen und zu akzeptieren, zwingt. Es ist ein Weg zu Ärzten und Wunderheilern, der oft einem Spießrutenlauf ähnelt, von Therapeuten zu den besten Freunden, ins Innerste und wieder hinaus in die Welt – ein Weg, der sie nach zahlreichen Fehldiagnosen und dem Entwirren von familiären Irrtümern und Mythen überraschend verwandelt.
Daniela Dröscher erinnert an Annie Ernaux
Den Zusammenhang zwischen der Weitergabe transgenerationaler Traumata oder Reaktionen von Nachkommen auf abgewehrte und unbewusste Gefühlsregungen ihrer Vorfahren bzw. ganzer Generationen und den Körper zu beschreiben, ist kein Novum. Welch heftige somatische Reaktionen Körper im Zusammenhang mit der Weitergabe von unbewältigten familiären Konflikten zeitigen, schilderte 1975 etwa zeitgleich zu dem Debüt von Annie Ernaux die 1929 geborene Marie Cardenal in Schattenmund, im französischen Original Les mots pour le dire, einem Roman, in dem es der Erzählerin im Rahmen einer Analyse gelang, sich von unablässigen Blutungen zu befreien.
Wenngleich Dröschers Erzählerin sich keiner klassischen Psychoanalyse unterzieht, so lässt sich ihr Roman nicht nur in der Nachfolge von Ernaux’ Schreiben, sondern auch in dieser Tradition der therapeutisch unterstützten Selbsterforschung als eine Art Analyse lesen: Die Scham- und Schuldgefühle gegenüber der Mutter, die sich über weite Strecken ihres Erwachsenenlebens als zu dick empfand – ein Unbehagen, das von ihrem Mann lange Jahre befeuert wurde –, sind auf die Tochter übergegangen, haben sich nicht nur in die Psyche, sondern auch in den Körper eingeschrieben.
Eingeschrieben – man mag über dieses Wort stolpern, hat sich die Einschreibung doch in verklausulierter Weise vollzogen. Das Entziffern der spezifischen „Schrift“ scheint so unmöglich wie ein Versuch der Erzählerin in Junge Frau mit Katze, innerhalb weniger Wochen Japanisch zu lernen, um bei der Verteidigung der Dissertation gegenüber der Zweitprüferin nicht als Hochstaplerin dazustehen. Die Prüferin nimmt an, sie habe es mit einer Doktorandin zu tun, die des Japanischen mächtig ist.
Hochstapelei und Wahrheit
Überhaupt spielen auch im dritten dieser drei Romane Hochstapelei und Fragen nach der Wahrheit eine gravierende Rolle – oft in höchst überraschender Weise. Was Fiktion und Lüge voneinander unterscheidet, besser gesagt, wie autofiktionale Texte gerade diesen schmalen Grat leidenschaftlich abtasten, darüber kann man mit der Lektüre höchst produktiv nachdenken. Der französische Hochstapler George Psalmanazar, der dafür bekannt wurde, dass er die Öffentlichkeit Großbritanniens für einige Jahre damit täuschte, dass er der erste Ureinwohner Formosas sei, der Europa erreicht hätte, ist in Junge Frau mit Katze zunächst Gegenstand der Doktorarbeit der Erzählerin. Schließlich wird er zum Hauptprotagonisten des ersten Romans der Erzählerin, ganz wie bei Daniela Dröscher, die im Jahr 2009 mit Die Lichter des George Psalmanazar ihr Romandebüt vorlegte.
Nicht zuletzt ist Junge Frau mit Katze ein Roman über die enge Verflechtung von Lesen und Schreiben, von der potenziellen Unabschließbarkeit von Texten. Zitate aus dem Werk Yōko Tawadas, aus Sylvia Plaths Lady Lazarus, Janet Frames Ein Engel an meiner Tafel verweisen nur auf einige Lektüren, die hier Denken und Schreiben beflügeln.
Auch das Grimm’sche Wörterbuch, dessen Lemmata aus der historischen Distanz oft eine poetische Strahlkraft ausüben, die sie zu Zeiten der Entstehung dieses gigantischen Werks mutmaßlich nicht hatten, spielt eine bedeutende Rolle im Roman. Zitierte Einträge aus dem Grimm, darunter „glückseligschmerzlich“ oder „Gegenzärtlichkeit“, könnte man auch verwenden, um Junge Frau mit Katze zu charakterisieren.
Junge Frau mit Katze Daniela Dröscher Kiepenheuer & Witsch 2025, 320 S., 24 €