Autobranche: Volkswagen löst sich vom Designer jener Zeitmaschine

Schon beim Betreten des Unternehmenssitzes von Italdesign in Norditalien begegnet man der Automobilgeschichte. Gleich im Eingangsbereich stoßen Besucher auf den „DeLorean DMC-12“ mit seinen emblematischen Flügeltüren, ein Auto, das Anfang der Achtzigerjahre von Designer und Unternehmensgründer Giorgetto Giugiaro entworfen wurde und im Filmklassiker „Zurück in die Zukunft“ zu Hollywood-Ruhm gelangte. Seit rund anderthalb Jahrzehnten gehört das Designhaus im Turiner Vorort Moncalieri mehrheitlich zu Audi, seit zehn Jahren hält die Tochtergesellschaft des Volkswagen -Konzerns sämtliche Anteile. Doch nun wollen sich die Deutschen wieder von Italdesign trennen, auch wegen ihrer eigenen Finanznöte. Das Management in Italien hält sich weitgehend bedeckt, dafür melden sich die Arbeitnehmer zu Wort. „Die Beschäftigten haben sich seit langem als Teil der VW-Gruppe gefühlt, jetzt sind sie enttäuscht über diese Behandlung“, berichtet Gianni Mannori von der Gewerkschaft Fiom der F.A.Z.
Italdesign sieht sich mit seinen rund 1300 Beschäftigten in keiner Weise als Krisenfall, im Gegenteil. Bei einem Rekordumsatz von rund 330 Millionen Euro fiel im vergangenen Jahr ein Nettogewinn von rund 30 Millionen Euro ab. Das Unternehmen arbeitet an Standorten in Italien, Deutschland, Spanien, USA und China. Industriesektoren jenseits des Automobilbaus waren in jüngerer Zeit Wachstumsfelder.
Und doch ist nun bekanntgeworden, dass VW den Verkauf des Studios prüft, möglicherweise an einen indisch-amerikanischen Investor oder an ein italienisches Konsortium, das sich erst vor wenigen Tagen neu gebildet hat. Der krisengeplagte VW-Konzern will schlanker werden und löst sich deshalb von Randgeschäften, darunter Unternehmen wie der Großmotorenhersteller Everellence, für den wohl bald der Verkaufsprozess beginnt. Auch eine Einheit für autonomes Fahren und die Batteriesparte Powerco könnten neue Miteigner an Bord nehmen. Offiziell heißt es dazu, VW verwalte seine Beteiligungen „aktiv“ und strebe jeweils die „optimalen Eigentümerstrukturen“ an. Zu Italdesign bleiben die Aussagen vage. Audi hat nur wissen lassen, man prüfe kontinuierlich die strategische Ausrichtung des Beteiligungsportfolios – Spekulationen kommentiere man nicht.
Ursprung vieler VW-Modelle in Italien
Italdesign ist eng mit der Historie von VW verbunden. Als die Modellpalette des Konzerns Ende der Sechzigerjahre immer mehr veraltet erschien und die Diskussion über Nachfolgeprojekte für das frühere Erfolgsmodell Käfer nicht richtig vorankam, wurde der damalige Designstar Giugiaro gerufen. Kurz zuvor hatte er sich mit dem Unternehmen Italdesign selbständig gemacht, nun half er bei der schnellen Entwicklung eines neuen Mittelklassemodells. Vom damaligen Audi 80 mit Frontantrieb wurde auf der gleichen technischen Basis der erste VW Passat mit Schrägheck abgeleitet. Später entwarf Giugiaro die erste Version des Erfolgsmodells Golf. Er schreibt sich auch Formen diverser Fahrzeuge der Konzernmarke Seat sowie weiterer Konzernmodelle zu.
Im Jahr 2010 übernahmen die Deutschen dann rund 90 Prozent von Giugiaros Designhaus mit damals rund 800 Mitarbeitern, 2015 dann die restlichen zehn Prozent. Der Kaufpreis war damals nicht veröffentlicht worden. Zum Börsengang im Jahr 1999 war Italdesign mit 350 Millionen Euro bewertet worden, als das Unternehmen einige Jahre später dann wieder von der Börse genommen wurde, lag der Wert bei 215 Millionen Euro. Giugiaro war beim Verkauf von Italdesign an den VW-Konzern auch daran gelegen, die Arbeitsplätze im eigenen Unternehmen zu retten, während in Turin die anderen Designhäuser einen Niedergang erlebten.
Als chancenreicher Übernahmeinteressent gilt nun der indisch-amerikanische Konzern UST Global . Er habe die Prüfung („due diligence“) abgeschlossen und ein Angebot für die Mehrheit der Anteile abgegeben, hieß es kürzlich noch. Doch in den vergangenen Tagen hat sich zusätzlich eine Gruppe aus Italien positioniert: Dazu gehört das Industrieunternehmen Gruppo Adler , das mit einem Umsatz von mehr als 2 Milliarden Euro auch ein mittelgroßer Autozulieferer ist. Zudem will die staatliche Beteiligungsgesellschaft CDP dem Konsortium den Rücken stärken. Damit ist klar, wem die Sympathien der Regierung von Giorgia Meloni gehören: Italdesign soll italienisch bleiben. Mehrere ehemalige italienische Spitzenmanager von Herstellern wie Ferrari, Fiat und Magneti Marelli wollen ebenso mitmachen. Über einen Kredit italienischer Banken von 50 Millionen Euro soll das Konsortium auch schon verfügen.
Allerdings drängt die Zeit. Wegen der Unsicherheit sollen schon rund 60 Ingenieure Italdesign verlassen haben. „Wichtig ist jetzt, dass Volkswagen nichts überstürzt entscheidet“, fordert Gewerkschafter Mannori. Am Bieter UST kritisieren die Arbeitnehmervertreter, dass er keine Erfahrung im Autosektor habe, sondern sich vor allem auf Beratung für digitale Transformation konzentriere. Man fürchtet den Abbau von Kapazität in Italien.
Das italienische Konsortium wiederum kommt reichlich spät; die ersten Alarmglocken wegen des Verkaufs durch VW haben die Gewerkschaften schon im Mai geläutet. Den italienischen Bietern schwebt vor, Italdesign stärker für andere Abnehmer zu öffnen, etwa den Stellantis-Konzern, und gleichzeitig neue Industriesektoren zu erobern. Ob VW eine stärkere Zusammenarbeit von Italdesign mit dem Rivalen Stellantis gutheißen würde, steht freilich auf einem anderen Blatt. 70 Prozent des Umsatzes macht Italdesign in Deutschland, nur 11 Prozent in Italien. Die VW-Führung, so viel ist klar, will zügig vorankommen. Noch dieses Jahr könne es Klarheit geben, hieß es jüngst.