Ausstellung | Wieso schnappt im Zusammenhang Fotografien jener späten Sowjetische Besatzungszone und Nachwendezeit die Klischeefalle zu?
Die Potsdamer Ausstellung „Das Weite suchen“ zeigt Fotografien aus der späten DDR und den frühen 1990er-Jahren – mit beeindruckenden Arbeiten. Und dennoch: Der Versuch, die Vielfalt der Umbruchserfahrungen zu zeigen, scheitert wieder einmal
Christiane Eisler, Die Jugend der anderen – Crimmitschau, 1982
Foto: Christiane Eisler
Wollte man gemein sein, könnte der alte Spruch herhalten, nachdem zwar schon alles gesagt (in diesem Fall gezeigt) worden sei, aber eben noch nicht von allen. Damit würde man der Ausstellung Das Weite suchen. Fotografien der späten DDR und der frühen 1990er-Jahre im Potsdamer Brandenburg-Museum jedoch unrecht tun, auch wenn der Rezensent gewisse Ermüdungserscheinungen angesichts der anhaltenden Welle von DDR-Aufarbeitungs-Retrospektiven nicht verhehlen kann.
Aber noch immer gibt es eben viele Geschichten, die erzählt werden wollen, und das Interesse des Publikums ist nach wie vor groß. Es lässt sich eigentlich auch gar nicht genug würdigen, dass die Debatte um Ostdeutschland vor und nach 1990 in den vergangenen Jahren so zahlreiche neue Impulse erhalten hat und ein breit angelegter Diskurs die Umbrucherfahrungen der Menschen neu bewertet und von tradierten Klischees und Vorurteilen befreit.
Das Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam hat sich auf dem Gebiet der DDR-Forschung durch seinen ausgewogenen Ansatz, der Respekt vor den Erfahrungen der Betroffenen mit einschließt, hohe Reputation erworben. Wenn diese Institution eine Fotoausstellung ausrichtet, stehen naturgemäß eher zeitgeschichtliche Aspekte im Mittelpunkt.
Die beiden Kuratorinnen Isabel Enzenbach und Anja Tack legen den Schwerpunkt auf die Transformationszeit vor und nach dem Mauerfall – das Wendejahrzehnt, wie sie es nennen – und fragen nach Bruchlinien, aber auch Kontinuitäten im Schaffen der vertretenen Fotografen, die bis auf Annette Hauschild alle ostsozialisiert sind. Das ist ein interessanter Ansatz, den üblich gewordenen DDR-Bilder-Kanon aufzubrechen und das Spektrum zu erweitern.
Einlösen lässt sich dieser Anspruch freilich nur schwer; die Frage, wie sich die Themen und Herangehensweisen der Fotografen nach der Zäsur des Jahres 1990 verändert und/oder erweitert haben, lässt sich ja nur denjenigen stellen, die weiterhin im Geschäft geblieben sind, fotografiert haben und ihre Bilder auch veröffentlichen konnten.
Jemand wie Ute Mahler, die rasch auf die sich verändernden Bedingungen der Bildproduktion reagierte, zusammen mit Mitstreitern die Agentur Ostkreuz gründete und in den Folgejahren bildjournalistisch für alle großen Magazine unterwegs sein durfte, war wohl eher die Ausnahme. In der rund 150 Bilder umfassenden Ausstellung ist sie folgerichtig mit gleich drei Serien vertreten.
Geheime Fotoserie von Tina Baras über Missstände
Um ihre Erzählung des Umbruchs zu strukturieren, haben die Kuratorinnen die Ausstellung in Kapitel unterteilt; von Jungsein, Arbeit und Körper bis hin zu Gewalt und Lebensräume. Das ist gut gemeint, jedoch kann angesichts des vergleichsweise geringen Umfangs der Schau – vertreten sind die Arbeiten von zwölf Fotografinnen und Fotografen – jedes Kapitel eigentlich nur angedeutet werden, sodass die Klischeefalle, die eigentlich vermieden werden sollte, dann doch zuschnappt.
Christiane Eislers 1983/84 im Auftrag des „Zentralinstituts für Jugendforschung“ (dessen Erkenntnisse aus guten Gründen meist geheim blieben) entstandene Porträtserie von Jugendlichen in ihren Plattenbauzimmern erstaunt ob der Biederkeit ihrer Protagonisten. Der repressive Staat tritt in Erscheinung in ihrer zweiten Serie über eingesperrte „schwer erziehbare“ Mädchen in einem Jugendwerkhof in Crimmitschau. Das sind jeweils eindrückliche Arbeiten, nur – das war’s dann auch schon mit dem Jungsein in der DDR. Den äußerst lebendigen Jugend(sub)kulturen, die trotz oder gerade wegen der Agonie der Jahre vor 1989 im Land blühten, wird man mit dieser Verkürzung nicht gerecht.
Dass Jugend in den frühen 1990ern bedeutete, entweder Häuser zu besetzen oder sich auf Techno-Partys dem Rausch hinzugeben, wie die ausgewählten Serien von Merit Schambach und Annette Hauschild nahelegen, ist ebenso eine zum Klischee geronnene unzulässige Verkürzung. Der um sich greifende Rechtsextremismus im Nachwende-Osten hingegen war tatsächlich flächendeckend sehr real, womit Ute Mahler ins Spiel kommt, die mit ihrer beeindruckenden Dokumentation der Atmosphäre nach den rassistischen Ausschreitungen 1992 in Rostock-Lichtenhagen die rechte Gewalt der 1990er-Jahre im kollektiven Bildgedächtnis verankert hat.
Eigentlich hätte jedes der Kapitel einer eigenen Ausstellung bedurft, um einer Vielstimmigkeit Raum zu geben. Die knappen Akzente, die gesetzt werden, können kaum etwas vertiefen, was freilich nicht an der Qualität der gezeigten Arbeiten liegt. Im Kapitel Arbeit sind zwei der eindrucksvollsten Bildserien zu finden. Ludwig Rauchs schonungslose Reportage aus dem VEB Elektrokohle Berlin-Lichtenberg blieb, obwohl im Auftrag einer Zeitschrift entstanden, ungedruckt. In den 1985/86 entstandenen Fotografien erscheinen die Bedingungen, unter denen die Arbeiter schuften, wie ein dystopisches Reenactment von Adolph von Menzels berühmtem Gemälde Eisenwalzwerk vom Ende des 19. Jahrhunderts.
Noch beklemmender ist Tina Baras 1988 im Geheimen fotografierte Serie über die Missstände und die Umweltzerstörung in den chemischen Buna-Werken in Schkopau. Die völlig veralteten Produktionsanlagen rotten vor sich hin, überall sickert und leckt und tropft es aus undichten Rohrleitungen, und der Betrachter bekommt eine Ahnung, wie abgewirtschaftet die DDR-Ökonomie in weiten Teilen war. Sowohl Ludwig Rauch als auch Tina Bara verließen noch 1989 die DDR.
Das Weite suchen. Fotografien der späten DDR und frühen 1990er-Jahre. Brandenburg Museum, Potsdam, bis 22. März 2026