Aus zum Besten von Nachtzug zwischen Paris und Berlin: Am Gare de l‘Est wird im Pyjama protestiert

„Über Nacht entspannt in eine europäische Metropole reisen und die Hotelübernachtung sparen!“ Es klang so zukunftsgewandt, so nachhaltig, so progressiv. Es klang fast zu schön, um wahr zu sein, was die Deutsche Bahn, die Österreichische Bundesbahn und die französische SNCF Ende 2023 stolz verkündeten: eine Nachtzugverbindung Paris–Berlin, eine weitere zwischen Paris und Wien.

Aber damit nicht genug: „Das neue Angebot ist der jüngste Meilenstein einer erfolgreichen partnerschaftlichen Zusammenarbeit der europäischen Bahnen, die sich Ende 2020 umweltfreundliche Nachtzugverbindungen zum Ziel gesetzt hatten.“ Man (die Autorin eingeschlossen) bekam sich kaum ein, weil dieses Freudenkonzert eine der wenigen erfreulichen Nachrichten über das Schienennetz war.

Und sie kamen alle. Verkehrsminister, Botschaftsvertreter, Mikrofone, Kameras. Und alle ließen sich vor den dunkelblauen Wagons mit der Aufschrift sleeping car ablichten und hockten sich dann mit träumerischem Blick, Bettdecke und Kaffeetasse in ihre Abteile.

Weihnachten 2012 fuhren ich und die Katze in einem privatisierten Abteil mit Dusche

Wenige Tage nach dem Start setzte ich mich selbst das erste Mal in einen der ziemlich runtergedrückten Wagons und fuhr von meiner Wahlheimat Paris in meine Heimatstadt Berlin. Es war schließlich Weihnachten. Das letzte Mal hatte ich es elf Jahre zuvor gemacht, Weihnachten 2012. Damals in einem privatisierten Abteil mit Dusche, weil die Katze mitgereist war und kein anderes Angebot mehr verfügbar war. Kurz danach wurde die Verbindung eingestellt, die Katze musste fortan im Auto reisen.

Beim Neustart vor zwei Jahren war zwar die Katze verstorben, aber dafür ging jetzt ein neun Monate altes Kleinkind mit an Bord. Es war ein erhabenes Gefühl, das auch die zwei Stunden Verspätung auf dem Hinweg und drei Stunden auf der Rückreise wettmachen konnte. Es war ja noch der Anfang.

Seither nutzte ich die Linie, manchmal lief’s rund, manchmal hakte es, aber als hartgesottene Bahnfahrerin und selbsterklärte #trainfluencerin nahm ich das gelassen hin. Als dann vor einem Jahr – wieder mit großem Pomp, mit Hallihallo-Bonjour ein täglich am Tage verkehrender Direktzug eingeführt wurde, der zudem mit Vorlauf relativ erschwinglich ist, wurden die Nachtzugreisen weniger.

An den Feiertagen war der Zug eins fix drei ausverkauft

Jetzt also wurde das Aus für die blauen sleeping cars angekündet. Schuld sei die angespannte Haushaltslage in Frankreich. Subventionen von französischer Seite, um den defizitären Betrieb aufrechtzuerhalten, gestrichen. Ich war durchaus verwundert zu hören, wie wenig rentabel die Linie war, immerhin hatte ich für Hin- und Rückstrecke im Dreier-Privatabteil schon mal 660 Euro hingeblättert, der Zug an den Feiertagen war eins fix drei ausverkauft.

Später lichteten sich die Reihen, und im Zug wurden die Abteile für mehrere Personen vollgezwängt, damit andere Waggons abgesperrt bleiben konnten, was den Service vereinfachte. Das Reisen auf diese Weise war abenteuerlich, aber nicht sonderlich komfortabel. Aber sei’s drum, als Überzeugungstäterin, zumal mit einem Partner, der sein Leben lang kategorisch das Fliegen ablehnt, war das alles zu verkraften. Es ergaben sich schöne Begegnungen mit jungen Leuten, die von Berlin schwärmten, dort ein paar Tage zubringen wollten und im Abteil gleich Freundschaft schlossen. Oder die eine ältere Dame, die sich nochmal ins Abenteuer stürzen wollte und sich „total verrückt und abenteuerlich“ fühlte.

Wegen ein paar Millionen Zuschuss aus französischer Kasse wird es jetzt also vorbei sein. Als hätten die Deutschen nicht gerade ein 500 Milliarden (!!!) Infrastruktur-Paket beschlossen, mit dem sie beim Erhalt dieses Symbols des europäischen Geistes in die Bresche springen könnten, bis die Franzosen ihren Haushalt konsolidieren.Gut, dass beide Länder zumindest für die Rüstung Finanzmittel freimachen können.

Und da war doch noch was! Ach ja, die Schiene sollte eine Antwort auf die Klimakrise sein. Mit Kosten verbunden, klar, aber wie oft wurde uns runtergebetet, dass die Folgekosten fürs Nichtstun zigfach höher wären. Wir, Bürger und Bahnreisende müssen feststellen, dass dieses Thema von der Prioritätenliste der Politik so gut wie verschwunden ist. Natürlich erscheinen Nachtzüge nur wie ein winziger Tropfen auf den heißen Stein. Ein paar Waggons, bei Auslastung 250 Menschen, die liegend durch das schlafende Europa reisen.

Doch das Signal dieser Entscheidung ist fatal, für Europa und für den Klimawandel. Ich bin gespannt, ob beim Einrollen des letzten Zuges wieder die politisch Verantwortlichen die letzte Reise antreten, wieder am Gleis stehen und in Mikrofone sprechen. Wahrscheinlicher ist ein stilles, trauriges Ende.

Am Gare de l‘Est protestiert die Initiative „Oui au train de nuit“ im Pyjama

Ein letztes Aufbegehren findet dieser Tage in Paris statt, wo die Initiative „Oui au train de nuit“ („Ja zum Nachtzug“) zu Protesttreffen aufruft. Am Gare de l’Est versammeln sie sich in diesen Tagen im Pyjama und mit Kuscheltieren in der Hand. Auch erste Abgeordnete und Umweltaktivisten haben sich in die Debatte eingeschaltet. Und die Autorin dieses Textes, die diesen Text gerade im Zug von Paris nach Saarbrücken schreibt, wird weiter darauf hoffen, dass die Politik das Schienennetz von der kapitalistischen Logik der Rentabilität befreit.

Denn – um es pathetisch zu sagen – die Bahn ist ein Allgemeingut, sie betrifft uns alle,sie ist ein Symbol für das europäische Miteinander, für die Mobilitätswende, für unsere Zukunft. Und das sollte uns ein paar Millionen Euro wert sein.