Aus den Wahlprogrammen: Das Steuersystem finden sie ungerecht – ungeachtet aus voneinander abweichend
Für Politiker ist die Verlockung groß, mit üppigen Wahlversprechen ihre eigenen Ambitionen zu befördern. Ob die Versprechungen dann umsetzbar sind – oder an knappen Mitteln und den Koalitionspartnern scheitern –, ist eine andere Frage. Immerhin sorgt der herausziehende Wahlkampf für eine konkrete Entlastungsperspektive. Als die Ampel-Parteien noch ineinander verhakt waren, gab es ein quälendes Ringen um den Ausgleich der kalten Progression in den nächsten beiden Jahren.
Das sogenannte Steuerfortentwicklungsgesetz sollte die schleichende Mehrbelastung der Steuerzahler in Folge steigender Preise verhindern. Doch zuletzt standen die Grünen auf der Bremse, weil ihnen die nachgeschobene Entlastung zu weit ging, die Christian Lindner (FDP) in seiner Zeit als Finanzminister kurzfristig nachgeschoben hatte. Das Ende des Dreierbündnisses sorgte für neue Dynamik.
Die Grünen und die SPD sorgten sich auf einmal um die belasteten Steuerzahler. Die FDP zeigte sich trotz Hinauswurfs aus der Regierung bereit, ein entkerntes Steuergesetz mitzutragen, um Entlastungen zum Jahreswechsel zu ermöglichen. Konkret geht es nun um höhere Freibeträge für Erwachsene und Kinder, eine Verschiebung des Einkommensteuertarifs und eine Aufstockung des Kindergelds. Und am Ende signalisierte sogar die Union ihre Zustimmung.
Große und kleine Versprechungen
An diesem Mittwoch berät der Finanzausschuss des Bundestages über den Änderungsantrag der Fraktionen von SPD und Grünen. Am Freitag könnte der Bundestag das Gesetz in zweiter und dritter Lesung beschließen. Wenn der Bundesrat es noch am selben Tag abnicken würde, wäre die Neuregelung rechtzeitig zum Jahreswechsel im Bundesgesetzblatt. Notfalls könnte der Bundesrat dem Gesetz in seinen Sitzungen im Januar oder Februar zustimmen. Die Änderungen würden in dem Fall rückwirkend für das Jahr 2025 in Kraft gesetzt werden.
In dem rot-grünen Änderungsantrag werden die Steuermindereinnahmen auf insgesamt 13,7 Milliarden Euro beziffert. Davon entfallen auf den Bund knapp 6,3 Milliarden Euro, auf die Länder 5,5 Milliarden Euro und auf die Gemeinden fast 2 Milliarden Euro. Die Entlastung von heute fehlen den Steuerreformern von morgen. Deswegen hatte die Union gezögert, ob sie die Pläne der Rest-Regierung unterstützen oder ob sie sich die Steuerkorrektur nicht später selbst an Revers heften sollte. Denn preiswert ist es für den Fiskus wahrlich nicht, was die Parteien den Wählern alles versprechen.
Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft hat sich die Programme von Union, SPD, Grüne und FDP angeschaut. Die in den Umfragen kleinste Partei verspricht demnach die größten Entlastungen mit 138 Milliarden Euro, es folgen CDU und CSU mit 89 Milliarden Euro. Die Grünen wirken dagegen mit 48 Milliarden Euro verhältnismäßig bescheiden; die SPD mit 30 Milliarden Euro geradezu knauserig. Die vier Pläne sind von besonderer Bedeutung, da die nächste Regierung aus den Parteien der Mitte gebildet werden dürfte.
Schwarz-gelbe Gemeinsamkeiten
In der Steuerpolitik liegen Union und FDP eng beieinander. Beide wollen den Einkommensteuertarif abflachen, die Liberalen sind in diesem Punkt ehrgeiziger – deswegen sind die Steuerausfälle bei ihnen größer. CDU und CSU formulieren: „Die Belastung durch Steuern und andere Abgaben in unserem Land ist zu hoch. Wir brauchen daher eine Agenda für die Fleißigen, eine breite Entlastung für die Bevölkerung.“ Dazu wollen sie den Einkommensteuertarif „schrittweise spürbar“ abflachen. „Die Einkommensgrenze für den Spitzensteuersatz erhöhen wir deutlich.“
Die FDP findet: „Wer von seiner eigenen Hände Arbeit lebt, wird in Deutschland hoch besteuert.“ Der Anreiz, zusätzliche Arbeit aufzunehmen, sei zu gering. „Dazu wollen wir stufenweise einen linear-progressiven Chancentarif in der Einkommensteuer einführen, der den Mittelstandsbauch vollständig beseitigt.“
Den Grundfreibetrag will die FDP um mindestens 1000 Euro anheben. Zudem fordert sie, „dass sich der Spitzensteuersatz künftig an der aktuellen Beitragsbemessungsgrenze der Rentenversicherung orientiert. „Damit greift der Spitzensteuersatz nicht mehr schon ab einem Jahreseinkommen von gut 68.000 Euro, sondern erst ab 96.600 Euro.“
Inflationsausgleich soll Mittelschicht entlasten
Die Union verspricht: „Steigende Preise dürfen nicht zu höherer Einkommensteuerlast führen. Deshalb passen wir den Einkommensteuertarif regelmäßig an die Inflation an und gleichen so die kalte Progression aus. Dabei berücksichtigen wir auch alle inflationssensiblen Abzugsbeträge.“
Bei der FDP heißt das: „Damit der Staat nicht zum Profiteur von Inflation und der Steuerzahler nicht Opfer der Kalten Progression wird, wollen wir die Freibeträge und Eckwerte der Einkommensteuer automatisch an die allgemeine Preisentwicklung anpassen (Tarif auf Rädern). Auch die Freibeträge der Erbschaft- und Schenkungsteuer müssen automatisch um die Inflationsrate erhöht werden.“
Ansonsten wollen Union und FDP die einbehaltenen Gewinne von Kapitalgesellschaften weniger belasten. CDU/CSU streben schrittweise 25 Prozent an (heute rund 30 Prozent), die FDP will darunter gehen, ohne das Ziel genauer auszuführen. Beide wollen es Unternehmen erleichtern, aktuelle Verluste mit früheren und späteren Gewinnen zu verrechnen. Beide wollen den Rest-Soli komplett streichen. Beide wollen kleinen und mittleren Unternehmen das Leben mit der Steuer erleichtern.
Bessere Absetzung von Betriebsausgaben
Die Union will die Regeln für Personengesellschaften so verändern, dass sie im Ergebnis wie Kapitalgesellschaften belastet werden. Die FDP will mehr Unternehmen erst mit Umsatzsteuer belasten, wenn Rechnungen bezahlt sind (Ist-Besteuerung). Kleinunternehmen will sie die Möglichkeit geben, pauschal einen gewissen Kostenanteil als Betriebsausgabe anzusetzen.
Die schwarz-gelben Gemeinsamkeiten gehen so weit, dass beide Überstundenzuschläge für alle steuerfrei stellen wollen. Beide wollen zudem Speisen in Gaststätten nur mit dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz belasten. Die Union will darüber hinaus Pendler entlasten. „Die Pendlerpauschale erhöhen wir. So stärken wir unsere Leistungsträger im ländlichen Raum.“ Die FDP denkt an eine „großzügige Arbeitstagepauschale“, die die bisherigen Regelungen zum häuslichen Arbeitszimmer, zur Homeoffice- und Entfernungskostenpauschale ersetzen und vereinfachen soll.
SPD findet das Steuersystem ungerecht
Was setzen SPD und Grüne diesen geballten Entlastungsversprechen entgegen? Sie schielen mit ihren Aussagen auf die arbeitende Mehrheit der Bevölkerung. Menschen mit sehr hohen Einkommen oder großem Vermögen wollen sie stärker zur Finanzierung des Gemeinwesens heranziehen. Bei den Sozialdemokraten hört sich das so an: „Das aktuelle Steuersystem belastet Arbeitseinkommen relativ stark, Vermögen hingegen relativ gering. Das ist nicht gerecht und deshalb wollen wir das ändern.“
Der Einkommensteuertarif nehme derzeit gerade mittlere Einkommen relativ stark in Anspruch. „Wir wollen die große Mehrheit der Einkommensteuerpflichtigen entlasten (etwa 95 Prozent) und dafür unter anderem Spitzeneinkommen und -vermögen stärker an der Finanzierung des Gemeinwohls und der Modernisierung unseres Landes beteiligen.“
Grün-rote Einhelligkeiten
Die Grünen konstatieren: „Das reichste Prozent der Deutschen besitzt mehr Vermögen als 90 Prozent der Gesellschaft zusammen.“ Deswegen will sich die Partei auf Folgendes fokussieren: „das effektive Angehen der Ausnahmen bei der Erbschaftsteuer für außerordentlich große Erbschaften, den aktiven Einsatz für die Einführung der globalen Milliardärsteuer sowie das Schließen weiterer offenkundiger Gerechtigkeitslücken im Steuersystem, vor allem bei der Immobilienbesteuerung wie Share Deals und beim Auseinanderklaffen der Besteuerung von Arbeits- und Kapitaleinkünften.“
Um die Erwerbstätigen zu entlasten, wollen die Grünen den Arbeitnehmer-Pauschbetrag auf 1500 Euro erhöhen (heute 1230 Euro). Niedrige Einkommen und Alleinerziehende wollen die Grünen mit Steuergutschriften entlasten. Den Grundfreibetrag wollen sie erhöhen, den Solidaritätszuschlag in den Einkommensteuertarif integrieren.
Die SPD spricht sich ebenfalls dafür aus, mit anderen Ländern die Einführung einer Milliardärsteuer voranzutreiben. Sie verteidigt den zur Finanzierung der deutschen Einheit eingeführten Steuerzuschlag. „Wir stellen sicher, dass der Kreis der betroffenen Steuerpflichtigen nicht größer wird und nicht mehr Bürgerinnen und Bürger als heute den Soli entrichten.“
Steuern auf Erbschaften, Vermögen, Kapitalerträge
Bei der Erbschaftsteuer kritisieren die Sozialdemokraten die Privilegierung großer Unternehmensvermögen. „Diese Ungerechtigkeit wollen wir abschaffen.“ Die Vermögensteuer wollen sie für „Superreiche mit Vermögen über 100 Millionen Euro“ revitalisieren.
Die SPD will die unter ihrem Finanzminister Peer Steinbrück eingeführte Abgeltungsteuer abschaffen und Zinsen und Dividenden der normalen Einkommensteuer unterwerfen. Zudem plant sie eine Finanztransaktionsteuer und Gewinne aus dem Verkauf einer selbstgenutzten Immobilie zu besteuern. Letztere sind heute nach zehn Jahren steuerfrei. Schließlich will die SPD den Mehrwertsteuersatz für Lebensmittel von sieben Prozent auf fünf Prozent senken.
Was all diese Versprechen wert sind, wird sich nach der Wahl zeigen. In den Koalitionsverhandlungen werden weitere Ziele einfließen (Investitionen, soziale Absicherung, Sicherheit). Das Ganze ist den finanziellen Möglichkeiten gegenüberzustellen – die begrenzt sind. Auch wegen der Schuldenbremse. Die Reformdebatte dürfte Auftrieb erhalten.