Aufrüstung welcher Bundeswehr: Kriegstüchtig erst in hundert Jahren

Deutschland soll kriegstüchtig werden. Und zwar nicht irgendwann, sondern in den nächsten vier Jahren. Dieses Ziel hat Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) im Frühsommer ausgegeben. „Wir müssen Abschreckung leisten, um zu verhindern, dass es zum Äußersten kommt“, sagte er damals vor dem Parlament. Soll heißen: Deutschland muss sich verteidigen können, und zwar nicht nur für den Fall, dass Russland angreifen sollte. Es geht auch darum, dass das gar nicht erst passiert.

Von dieser Kriegstüchtigkeit aber ist die Bundeswehr weit entfernt. Sie bis 2029 zu erreichen, halten Experten des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel für nahezu unmöglich. Zumindest wenn bei der Aufrüstung alles weiterläuft wie bisher. Dann dürfte es noch Jahrzehnte dauern, bis Deutschland in der Lage wäre, sich zu verteidigen, schreiben die Forscher in einem neuen Bericht. Bei wichtigen Waffensystemen werde die Bundeswehr das Rüstungsniveau von 2004 wohl erst in 100 Jahren erreichen.

Der Grund: Deutschland müsste mehr Waffensysteme bestellen, doch dafür fehlt das Geld. Zwar hat die Bundesregierung ein Sondervermögen von über 100 Milliarden Euro aufgelegt. Das ist allerdings bereits zu 99 Prozent gebunden. Weitere Rüstungsausgaben müsste der Bund daher aus dem regulären Wehretat bezahlen. Der aber sei dafür nicht ausreichend gefüllt, warnen die Forscher.

In diesen fünf Bereichen sind die Lücken besonders groß:

1. Drohnen

Deutschland hat bislang keine eigenen bewaffneten Kampfdrohnen. Dabei hat bereits der Krieg zwischen Aserbaidschan und Armenien 2020 gezeigt, wie wichtig sie sind. Der russische Angriff auf die Ukraine hat das noch einmal bestätigt. Im vergangenen Jahr hat das deutsche Verteidigungsministerium zwar die ersten Raketen für israelische Heron-TP-Drohnen bestellt. Diese Drohnen nutzt die Bundeswehr, sie gehören ihr aber nicht: Sie hat sie aus Israel lediglich geleast. Im Sommer ist die erste dieser Drohnen in Schleswig-Holstein gelandet, für einen Testbetrieb. Geplant ist, dass die Bundeswehr die Heron-TP ab 2030 durch die Euro-Drohne ersetzt – die Airbus mit Partnern derzeit noch entwickelt.

Auch neuere Aufklärungsdrohnen fehlen. Dabei wird ein weltweit gefragtes Modell in Deutschland produziert, nämlich bei Quantum Systems in München. Vector, so heißt die Drohne des bayerischen Konzerns, kann dank künstlicher Intelligenz eigenständig gegnerische Militärfahrzeuge erkennen. Die Bundeswehr hat Vector-Drohnen bestellt, allerdings nur 14 Stück. Zum Vergleich: Die Ukraine hat mehr als 500 geordert.

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2. Artillerie

„Bei der Artillerie gibt es ebenfalls große Lücken“, sagt Guntram Wolff vom IfW. 22 Geschütze hat die Bundeswehr seit 2022 bestellt, sie sind allerdings noch nicht eingetroffen. Die Russen sind da deutlich schneller: Sie produzieren nach IfW-Angaben 38 davon pro Monat. Mehrfachraketenwerfer hat die Bundeswehr hingegen nicht einmal neu bestellt, dabei hat sie fünf Mars II an die ukrainischen Streitkräfte abgegeben.

Bei der Munition gibt es immerhin eine gute Nachricht. Hier waren die Bestände der Bundeswehr bedenklich niedrig. Das soll sich allerdings bald ändern. Der deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall fährt gerade in Niedersachsen die Produktion hoch und will ab 2025 große Mengen Artilleriegranaten liefern.

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3. Kampfpanzer

Kampfpanzer galten bereits als überholt. Doch der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat gezeigt, dass sie sehr wohl für die Offensive wie für deren Abwehr gebraucht werden. Die Bundeswehr verfügt immerhin mit dem Leopard 2 über einen der besten Kampfpanzer der Welt. Allerdings hat sie in den vergangenen Jahren davon Hunderte ausgemustert und verkauft. Weitere 18 Panzer vom Typ Leopard musste das Heer an die Ukraine abgeben.

Nun hat das Verteidigungsministerium zwar 123 neue Modelle bei KNDS in München bestellt. Das Heer nennt keine Zahlen, das IfW kommt aber zu dem Ergebnis, dass der Truppe nach der Bestellung 444 Kampfpanzer zur Verfügung stehen. Vor 20 Jahren waren es noch 2000 Stück. Und in Russland läuft die Produktion laut IfW auf Hochtouren. Dort werden bis zu 140 Panzer gefertigt – jeden Monat.

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4. Kampfjets

Die deutsche Luftwaffe wird schon bald so klein sein wie noch nie in ihrer Geschichte seit 1955. Noch verfügt sie über 220 Kampfflugzeuge, aber dieser Bestand wird in den kommenden Jahren deutlich sinken. Die Nutzungsdauer von Tornado-Jets läuft ab, und ersetzt werden sie mit deutlich weniger neuen F-35-Jets. Hatte die Bundeswehr vor 20 Jahren noch 423 Kampfflugzeuge im Einsatz, werden es bald wohl keine 180 mehr sein.

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5. Flugabwehr

Erst vergangene Woche lobte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), dass seine Regierung nun das Luftverteidigungssystem Iris-T SLM beschafft habe. Damit holen die Verteidiger in der Ukraine mehr als 90 Prozent der russischen Drohnen und Flugkörper vom Himmel, eine fantastische Quote. Allerdings reichen die sechs bestellten Systeme, von denen das erste inzwischen übergeben wurde, für den Schutz Deutschlands bei Weitem nicht aus.

Dazu verfügt die Bundeswehr zwar über das bewährte System Patriot: Damit schießen die Ukrainer vor allem ballistische Raketen ab, die besonders schwer abzufangen sind. Die Bundeswehr verfügt derzeit allerdings nur über neun Feuereinheiten – was nicht mal reichen würde, um Berlin zu schützen. Acht weitere Patriot-Systeme sind bestellt. Auch das genügt allerdings nicht, um den deutschen Luftraum wirkungsvoll zu verteidigen.

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