Athina Kontou
: Kontrabass an Oktopus

Kontrabass an Oktopus – Seite 1

Athina Kontou aus Köln, vormals Leipzig, Weimar, Mainz, Hofheim, Dortmund, Frankfurt am Main und immer wieder Athen, hat jetzt dieses fantastische Album namens Tzivaeri gemacht, auf der sie mit Mother, ihrem deutschen Jazzquartett, griechische Musik spielt. Melancholische Lieder, jubelnde Tänze – ein süffiges Werk zwischen kultureller Aneignung und musikalischer Migration.

Um darüber zu reden, hatte ich die Kontrabassistin für den vergangenen Sonntag zum Essen eingeladen, und zwar, so naheliegend wie bekloppt, „beim Griechen“, denn was wäre typisch deutscher als eines jener griechischen Restaurants, die es seit Jahrzehnten selbst in der kleinsten Kleinstadt gibt?

Am frühen Nachmittag setzen wir uns also in Köln-Klettenberg ins durchgehend geöffnete Sophias, in dem sie noch nie war, weil sie in Deutschland nie griechisch essen geht, und können schon bei der Lektüre der Speisekarte feststellen, dass dieser Grieche, wie sie mit einem feinen Lächeln sagt, „nicht so poseidontellermäßig“ ist.

Berge von Fleisch, ein paar Ouzos hinterher, das ist es ja sonst oft, und dazu läuft unter Fischernetzen vor Akropolis-Tapeten die immergleiche Musik, Gyros und Sirtaki. Die Wahrnehmung Griechenlands im deutschen Alltag: hinten die Antike, vorne satt, und dazwischen irgendwie die Eurokrise.

Athina Kontou, geboren 1978, wurde von ihren griechischen Eltern – der Vater Psychoanalytiker, die Mutter Soziologin – immer wieder umgezogen. Sie sagt, sie sei wirklich zwischen Deutschland und Griechenland aufgewachsen. Ihrer Kindheit und Jugend verdankt sie die Zweisprachigkeit und Beweglichkeit, dazu das hin und wieder beklemmende Gefühl, keine klare Heimat zu haben. „Beim Studium in Leipzig haben sie mich immer gefragt: Na, fährst du im Sommer auch nach Hause?“

Nach Hause wohin?

Wir bestellen Chtapodi Sharas, „gegrillten Oktopus“, und vorweg bitte Taramas, „Fischrogencreme vom Stockfisch mit Zitrone, Olivenöl und pürierten Kartoffeln“, sowie Pantzaria, „Rote-Beete-Salat mit Feta und Walnüssen“, deren Preise im gedruckten Menü handschriftlich erhöht worden sind.

„So ist es jetzt überall“, seufzt Kontou, „nur bei unserer Gage nicht.“

Das erste Stück auf Tzivaeri geht gleich richtig los, Fissa psichi mou, zu Deutsch etwa „Atme, meine Seele“. Eine euphorische Mittelmeerhymne, perlend, gleißend – so also klingt Griechenland 2022, mitreißend!

Sie hat sich intuitiv von ihren Fesseln befreit

„Ja, hm“, wendet sie ein, „das kenne ich von einer griechischen Sängerin, ist aber von einem armenischen Amerikaner komponiert“, sei also nur bedingt griechisch und ursprünglich für eine Oud geschrieben. Die Oud ist die Laute des Ostens, weshalb Lucas Leidinger, der Pianist ihres Quartetts, sein Klavier präpariert hat, um den Ton unreiner zu machen. Man hört es, klingt fast wie ein Cembalo. Mittendrin, bevor er sein Solo beginnt, zieht er die Präparation wieder heraus, auch das ist zu hören.

So zeigt sich bereits nach wenigen Minuten, dass es zwischen der schwungvoll-heiteren Oberfläche der Musik und ihrer untergründigen Traurigkeit einiges zu hören gibt an feinsinniger, dekontextualisierter Klangerzeugung. Mal greift der Pianist zur Melodika, dem im jamaikanischen Dub zu Ehren gekommenen Kinderzimmerinstrument; mal lässt Luise Volkmann ihr Saxofon schreien, raspeln, vibrieren, als wäre Pergament vor den Trichter gespannt. Dominik Mahnig reibt seine Trommeln gelegentlich oder versetzt die Becken in ein perkussives, dräuendes Schweben, wie in dem Liebeskummerlied Anixe giati den antecho, zu Deutsch „Mach auf, weil ich es nicht ertragen kann“.

Das Taramas zeigt sich roséfarben unter einem Krönchen aus Dill, ist leicht, nahezu fruchtig, schmeckt gut, „richtig gut“, bekräftigt Kontou. Gleiches gilt für den Rote-Beete-Salat. Dabei tue sich, sagt sie, die griechische Küche in den nördlichen Breiten eher schwer, weil sie von der archaischen Zubereitung guter Zutaten lebe. Woher hier nehmen, die besonnten Tomaten?

Und wie hier sie spielen, „diese Musik, die mir so viel bedeutet und die sogleich so entfernt von mir ist?“ Acht Jahre hat sie diese Frage beschäftigt, die Antwort auch oft vor sich hergeschoben, eine Herzensangelegenheit, die zum Knoten wurde. War sie denn überhaupt Griechin genug? Und dann mit Deutschen?

Schließlich hat sie sich intuitiv von ihren Fesseln befreit und die Musik gleich mit. Denn bei aller Ursprünglichkeit und Intensität haftet der Folklore ja auch immer etwas Starres an. Das Bodenständige kommt, wie es der Name sagt, nicht vom Fleck. Da hilft der Jazz.

Zudem lässt sich die vermeintlich „griechische“ Musik als eine Verschmelzung vieler westwärts gewanderter Musiken verstehen. Das Titelstück des Albums, Tzivaeri, geht auf ein Klagelied von der Inselgruppe Dodekanes zurück, in dem eine Mutter die durch Not erzwungene Migration ihres Sohnes besingt. „Mein Schatz, die Fremde erfreut sich jetzt an dir … Demütig und leise sind meine Schritte auf der Erde.“

Das Wort Tzivaeri, zu Deutsch „Mein Juwel“, kennten alle Griechen, sagt Kontou, aber nur aus diesem Lied. Der Wortstamm gehe aufs Türkische zurück, vom Türkischen aufs Arabische, vom Arabischen aufs Persische. „Dieses Wandern der Lieder und Worte“ habe sie fasziniert, und sie setzt es nun fort.

„Ich bin langsam“

Zugleich gibt es nach wie vor Ängste. Sie wuchern auf der Rückseite der Vielfalt, genährt von Egoismen und Besitzansprüchen, etwa wenn das Quartett Baiduska spielt, einen thrakischen Volkstanz. „Thrakien zieht sich heute über drei Staaten“, sagt Kontou. „Was sagen die Griechen, die Bulgaren, die Türken dazu?“

Bis in die Instrumente hinein reicht der grenzübergreifende Zwist. Wenn Koray Berat Sari als Gast auf zwei Stücken die Lavta spielt, ist dieses Instrument dann (und für wen?) „die griechische Laute aus Istanbul“ oder „die türkische Laute“?

„Das ist dünnes Eis, wessen Laute“, sagt Athina Kontou. Um ein internationales Publikum nicht zu brüskieren, hat sie ihrem Album kein erklärendes Booklet mitgegeben. Jedes Wort hätte ja falsch sein können.

Koray Berat Sari übrigens ist ein Kurde aus Düsseldorf, hat in Köln klassische Gitarre studiert und lebt in Monheim am Rhein, noch ein Wanderer zwischen den Welten, wie auch der zweite Gast auf dem Album, der in Köln lebende Oud-Spieler Epaminondas Ladas, der bei Harmandali, einem türkischen Volkstanz, das virtuose Intro improvisiert.

Athina Kontou hat erst im Alter von 20 Jahren zu ihrem Instrument gefunden und erst nach dem Studium der Musikwissenschaft, Juristerei und Kulturanthropologie ihr Musikstudium begonnen, da war sie 28.

„Ich bin langsam“, sagt sie. So spielt sie auch gern. Auf Stin archi ton tragoudion, dem zweiten Stück ihres erstaunlichen Debütalbums, stellt sie sich mit einem seelenvollen Präludium vor. „Ich mag, wie der Kontrabass klingt. Man sollte ihn nicht zu schnell spielen. Die Töne müssen Zeit haben zu schwingen.“

Und da kommt der gegrillte Oktopus, bei dem sie sich nicht sicher war, ob ich den wohl mögen würde, „das Bein mit den Saugnäpfen dran“. Mmh, sehr gut.

Das Album „Tzivaeri“ von Mother & Athina Kontou ist bei nWog Records erschienen.