Asylpolitik in Großbritannien: In Nordirland ist dasjenige Ruanda-Modell schon gescheitert

Die britische Abschiebepolitik von Geflüchteten nach Ruanda ist juristisch weiterhin fragwürdig. Am Montag urteilte der High Court in Belfast, dass Teile des sogenannten Illegal Migration Act in Nordirland keine Anwendung finden dürfen. Im Klartext: Damit ist das Gesetz, nach dem Bootsflüchtlingen in Großbritannien ein Asylantrag verwehrt und sie stattdessen in nach Ruanda gebracht werden sollen, dort ungültig. Geflüchtete, die bereits in Nordirland sind, dürfen demnach nicht nach Kigali ausgeflogen werden.

Der Grund: Nach dem Urteil des High Courts widerspricht der Illegal Migration Act den Menschenrechten und verstößt gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Und darauf gründen schließlich auch mehrere Abkommen, die das Vereinigte Königreich mit der EU geschlossen hat. Nicht nur basiert das 1998 geschlossene Karfreitagsabkommen auf den Menschenrechten. Auch das Windsor Abkommen, das Premierminister Rishi Sunak zur Handelserleichterung im Februar 2023 mit der EU vereinbarte, bezieht sich auf die Menschenrechte. Ebenso das Austrittsabkommen, das das Vereinigte Königreich 2019 mit der EU unterzeichnete, um den Brexit zu regeln. In dem Austrittsabkommen steht, dass London bestehende Vorschriften, also auch die Menschenrechte, nach dem Brexit nicht aufweichen  und Personen mit Blick auf ihre Rechte schlechter nicht stellen darf. Genau das aber, so urteilte das Gericht in Belfast, geschehe mit dem Illegal Migration Act.

Nach dem Gesetz wird es ankommenden Bootsflüchtlingen verweigert, auf britischem Boden einen Antrag auf Asyl zu stellen. Sie werden in Hotels einquartiert, um irgendwann nach Ruanda ausgeflogen zu werden. Da das britische Innenministerium seit vergangenem Jahr keine Asylanträge von Bootsflüchtlingen mehr bearbeitet, ist ihre Zahl auf mehr als 50.000 Personen gestiegen. Außerdem hatte der Supreme Court 2023 geurteilt, dass Ruanda kein sicheres Land für die Abschiebung ist. Das britische Parlament hatte kürzlich per Gesetz etwas anderes entschieden.

Geklagt hatte in Belfast die Menschenrechtskommission Nordirlands im Namen eines 16-jährigen Geflüchteten aus dem Iran, der in Nordirland lebt. Es ist nicht das einzige Gerichtsverfahren, das der britischen Regierung bevorsteht. In Großbritannien lässt die Gewerkschaft der Ministerialbeamten prüfen, ob Mitarbeitende der Ministerien bei der Umsetzung der neuen Abschiebepolitik gezwungen werden können, gegen Gesetze und gegen die Menschenrechte zu verstoßen.

Sunak betonte am Montag, das Urteile ändere nichts an seinem Vorhaben, im Sommer die ersten Abschiebeflüge nach Kigali zu schicken. „Nichts wird uns davon abhalten oder unseren Zeitplan stören, um die Boote (über den Ärmelkanal) zu stoppen“. Im Gegenteil: Die Regierung in London will in Berufung gehen.

Für den Premier funktioniert die Abschreckung

Nordirland fürchtet indessen, dass zahlreiche irregulär Geflüchtete nun von Großbritannien nach Nordirland ziehen werden, um der Abschiebung zu entgehen. Das ist nicht weiter schwierig, da es zwischen Großbritannien und Nordirland keine Grenze gibt – es ist ja ein Land, das Vereinigte Königreich.

Die Idee, sich abzusetzen, um der Abschiebung zu entgehen, ist ohnehin nicht neu. Tausende Geflüchtete haben sich bereits von Großbritannien auf den Weg nach Irland gemacht. Der Außen- und Verteidigungsminister der Republik Irland, Micheál Martin, warnte im April, dass in Dublin 80 Prozent der Anträge auf Asyl von Personen gestellt würden, die von Nordirland aus über die Grenze gekommen seien. Anfang Mai räumte die Polizei in Dublin ein Zeltlager irregulär Geflüchteter mitten in der Stadt. Sunak und sein Innenminister, James Cleverly, verkündeten prompt: Dass es die Leute nach Irland ziehe, zeige erste Abschreckungserfolge der britischen Abschiebepolitik.

Das stimmt nicht ganz, denn nach wie vor kommen Tausende Menschen per Schlauchboot von der Küste Frankreichs nach England. Bis zum 12. Mai waren es in diesem Jahr nach Angaben der Organisation Migration Watch bereits 9.455 Personen. Das sind 38 Prozent mehr als im vergangenen Jahr zu dieser Zeit. Es ist ein Rekord.

Die Opposition will einen anderen Weg

Aus diesem Grund sagt Oppositionsführer Keir Starmer, er werde den „teuren Quatsch“ der Ruanda-Abschiebepolitik nach Regierungsantritt kippen. Der Vorsitzende der Labour Party wird wohl die Gelegenheit dazu bekommen, nach aktuellen Umfragen dürfte seine Partei die nächste Parlamentswahl gewinnen.

Starmer stellte vergangene Woche einen dreiteiligen Plan vor, wie seine Regierung stattdessen mit dem Thema umgehen will: Der ehemalige Staatsanwalt will zunächst 75 Millionen Pfund (umgerechnet 85 Millionen Euro) des Ruanda-Plans nutzen, um Hunderte Spezialistinnen und Spezialisten einzustellen, die gemeinsam mit den Ämtern der Terrorismusbekämpfung, des Grenzschutzes und des Geheimdienstes gegen die Schlepperbanden vorgehen sollen. Zudem sollen noch mehr Leute eingestellt werden, um die Asylverfahren der festgesetzten Menschen schneller zu bearbeiten, damit ein Teil der Geflüchteten abgeschoben werden kann. In jüngster Zeit kommen zum Beispiel besonders viele aus Indien – sie könnten laut Starmer wieder zurückgeflogen werden, da ihre Asylanträge in der Regel abgelehnt würden.

Weniger laut propagiert Starmer Verhandlungen, die er mit der französischen Regierung führen will. So soll erreicht werden, dass Geflüchtete bereits auf französischem Boden ihren Asylantrag stellen können. Bisher gibt es kaum Möglichkeiten, von außerhalb des Vereinigten Königreiches dort Asyl zu beantragen. Premier Sunak lehnt diesen Weg ab: Die Labour-Vorschläge würden das Problem nicht lösen und den Strom der Boote nicht stoppen. Seine Politik tut das bisher allerdings auch nicht.