Arztwahl vergangen? Ersatzkassenverband will mehr freie Termine schaffen

Selbst das beste Gesundheitssystem hält es nicht aus, wenn die freie Arztwahl aus dem Ruder läuft. Die Deutschen gehen zu häufig zum Arzt, und sie besuchen auch zu viele verschiedene Praxen. Zwei von 100 gesetzlich Versicherten konsultieren sage und schreibe zehn bis 19 niedergelassene Mediziner im Jahr. Fast 13 Prozent stellen sich bei sieben und mehr Ärzten vor, 19,5 Prozent bei sechs und mehr. Jeder Fünfte kommt also mit fünf Ärzten nicht aus.
Diese Zahlen hat der Verband der Ersatzkassen VDEK in Berlin vorgestellt und zum Gegensteuern aufgefordert: In Zukunft sollten die Patienten ohne Überweisungen nur noch einen Hausarzt und maximal drei Fachärzte aufsuchen dürfen. Es gehe darum, unnötige Termine zu vermeiden, um die Wartezeiten zu verkürzen und um mehr Kranke besser zu versorgen, teilte der Verband mit.
Offiziell ist es nicht das Ziel der Reform, Geld zu sparen. Aber natürlich spielt auch das eine Rolle in einer Zeit, in der die Versicherungsbeiträge steigen, die Finanzrücklagen der Kassen fast aufgebraucht sind und trotzdem riesige Defizite entstehen. 2024 betrug die Unterdeckung zwischen Einnahmen und Ausgaben 6,2 Milliarden Euro. Zusammen mit der Lücke im Gesundheitsfonds fehlten sogar 10 Milliarden Euro.
Spaga zwischen Freiheit und Stabilität
In der am Montag abgeschlossenen Arbeitsgruppe zu Gesundheit und Pflege, in welcher Union und SPD ihre Koalitionsverhandlungen vorbereiten, stand die angespannte Finanzlage der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) neben der Krankenhausreform ebenfalls im Mittelpunkt. Und auch hier ging es um die sogenannte Patientensteuerung: Wie gelingt die bestmögliche ambulante und stationäre Versorgung und wie gewährleistet man möglichst viele Freiheiten, ohne dass das System überfordert wird?
Unter der Überschrift „Gut gesteuert – besser versorgt“ schlagen die Ersatzkassen ein Modell vor, das sie „persönliches Ärzteteam“ nennen. Es soll für die Regelversorgung gelten, also für alle gesetzlich Versicherten, nicht nur als zusätzliche Wahlmöglichkeit. Danach könnte sich jeder Versicherte einen Hausarzt aussuchen und bis zu drei grundversorgende Fachärzte, etwa einen Kardiologen, einen Orthopäden und einen Diabetologen. Jeden dieser Mediziner kann er direkt aufsuchen. Die Verpflichtung auf das Team gilt jeweils ein Jahr. Bei Umzügen kann man es wechseln.
Überweisungen für Besuche außerhalb des üblichen Teams notwendig
Möglich ist auch eine Ersteinschätzung per Telefon, App oder Bildübertragung. Über diesen Weg lässt sich aus der Ferne eine Versorgungsempfehlung abgeben, zudem kann sich eine umfassendere Videosprechstunde anschließen. Dieses Angebot gilt auch für Versicherte ohne Hausarzt. Die telemedizinische Ersteinschätzung könnte über den Patientenservice der Kassenärztlichen Vereinigungen mit der Telefonnummer 116117 laufen. Will der Patient andere Mediziner außerhalb seines Teams aufsuchen, so ist das nur mit einer Überweisung aus dem Kreis heraus möglich. Ohne Überweisung hingegen übernehmen die Krankenkassen die Behandlungskosten nicht mehr.
Die Überweisung kann den Plänen zufolge elektronisch über die Gesundheitskarte erfolgen, ähnlich wie derzeit schon E-Rezepte auf sicheren Servern gespeichert sind. Das Ärzteteam soll den Folgekontakt bei den externen Kollegen vermitteln. Dafür ist dann allerdings eine neue Termindatenbank nötig. In diese stellen die Praxen ihre Kontingente ein, „damit ein zeitnaher Termin gesichert ist“, wie es in dem VDEK-Konzept heißt. Die Vermittlungsaufgabe des Ärzteteams wird als „Lotsenfunktion“ bezeichnet.
„Hausarztzentrierte Versorgung“ bringt wenig Entlastung – oder?
Die Patientensteuerung über zentrale medizinische Anlaufstellen und Ansprechpartner existiert schon, sie nennt sich „Hausarztzentrierte Versorgung“ (HZV). Genau diese hat der VDEK aber nicht im Sinn, denn sie habe sich nicht bewährt. Das Verfahren, in dem ein einziger Hausarzt über die Einbeziehung von Fachkollegen entscheidet, habe weder zu weniger Facharztbesuchen noch zu weniger Klinikaufenthalten geführt, sagte die VDEK-Vorstandsvorsitzende Ulrike Elsner. Anders als in Aussicht gestellt, hätten die Kassen und Beitragszahler auch kein Geld gespart. Die HZV in die Regelversorgung zu übertragen, würde zudem die Hausarztpraxen überfordern.
Der Hausärztinnen- und Hausarztverband schätzt die Situation völlig anders ein. „Wissenschaftliche Evaluationen zeigen, dass Patienten, die an den Verträgen teilnehmen, von einer besseren und koordinierteren Versorgung profitieren“, heißt es vonseiten des Verbands. „Gleichzeitig sparen die Krankenkassen Geld ein, da unter anderem unnötige Doppeluntersuchungen vermieden und Krankenhauseinweisungen reduziert werden können.“