Art Spiegelman und Joe Sacco: Netanjahu wie giftgrüner Ifrit

Wer heute zu Heiligabend, wo man nicht mehr auf offene Geschäfte hoffen kann, noch verzweifelt nach einer spektakulären Geschenkidee für jemanden suchen sollte, die oder der Comics liebt, der stelle doch einen Gutschein für eine Reise nach Paris aus. Die muss allerdings bis zum 18. Januar absolviert werden, also in den nächsten dreieinhalb Wochen, und sie führt nicht an einen der touristischen Hotspots der französischen Hauptstadt, sondern in eine eher unscheinbare Straße im 10. Arrondissement. In die Rue Martel.

Rundherum in diesem Pariser Viertel sind die meisten Ladenlokale in der Hand von Libanesen, Marokkanern, Algeriern und Türken. Da klingt der Name des frühmittelalterlichen fränkischen Siegers über die muslimischen Invasoren, die 732 vom Heer des Karl Martel bei Poitiers geschlagen wurden, als Straßenbezeichnung fast schon ironisch. Aber die dort ansässigen Gewerbetreibenden sind stolz auf diesen Namen: „Immobiliers Martel“ bietet Maklerdienste an, „Broc’ Martel“ Trödel und die „Galerie Martel“ Kunst. Und zwar Comic-Kunst. Solche von Weltgeltung. Die Galerie Martel wäre denn auch das Ziel des Paris-Besuchs.

Die Comic-Kolumne von Andreas Platthaus
Die Comic-Kolumne von Andreas PlatthausF.A.Z.

Denn sie zeigt bis zum 18. Januar eine Ausstellung namens „Never again! … and again … and again“. Zu Deutsch: „Nie wieder! … und wieder … und wieder“. Aber so etwas wie diese Galerie-Schau kommt tatsächlich nie wieder. Ebenso wenig wie das, was in der Woche vor Weihnachten dort zur Eröffnung stattfand: ein regelrechtes Gipfeltreffen, bei dem schon als bloße Zaungäste solche Comic-Berühmtheiten wie der amerikanische Autor Craig Thompson, das Schweizer Zeichnerpaar Thomas Ott und Simone Baumann oder die Niederländerin Aimée de Jongh anwesend waren. Und da die Galerie Martel von Rina Zavagli betrieben wird, war natürlich auch ihr Mann, der fabelhafte italienische Zeichner Lorenzo Mattotti, mit von der Partie. Auffällig allerdings, dass keiner der Großen aus der einheimischen Comicszene teilnahm. Vielleicht war aber auch der Anlass selbst für französische Stars eine Nummer zu groß. Wie hätten sie glänzen sollen, neben den beiden eigentlichen Protagonisten des Abends: den beiden amerikanischen Superstars Joe Sacco und Art Spiegelman?

Lebende Legenden mit politischer Mission

Letzterer ist ganz simpel gesagt der wichtigste lebende Comiczeichner überhaupt. Seine autobiographische Erzählung „Maus“ hat die Wahrnehmung von Comics nicht nur verändert, sondern überhaupt erst auf höchstem Niveau etabliert. Seitdem weiß man, was der Comic alles kann, und keine Buchhandlung ist sich heute noch zu fein, solche Meisterwerke wie „Maus“ im Angebot zu führen. Oder auch einen der Comics von Joe Sacco. Der wiederum hat seit den neunziger Jahren eine neue Inhaltsform im Alleingang durchgesetzt: Comicjournalismus.

Spiegelman wird im kommenden Februar achtundsiebzig, Sacco hat gerade die fünfundsechzig erreicht. Beide sind lebende Legenden, ihre Arbeiten in Dutzende Sprachen übersetzt, und beide engagierten sich mit ihren Comics von Beginn an auch politisch. Aber zusammengearbeitet hatten sie bislang bei aller gegenseitigen Wertschätzung, die längst in eine persönliche Freundschaft gemündet ist, noch nie. Das hat sich in diesem Jahr geändert, und der Grund dafür war ein politischer.

Eines der in der Galerie ausgestellten Originale, die Spiegelman (als Maus) und Sacco (mit Brille) zusammen gezeichnet haben
Eines der in der Galerie ausgestellten Originale, die Spiegelman (als Maus) und Sacco (mit Brille) zusammen gezeichnet habenSpiegelman/Sacco

Obwohl alles ganz anders begonnen hat, wie Art Spiegelman mir am Eröffnungsabend erzählt: „Ich hatte eine Schreibblockade, und das ja nicht zum ersten Mal. Als Joe davon hörte, schlug er vor, bei mir in New York vorbeizukommen, damit wir einfach ohne Ziel zusammen zeichnen könnten – eine Art Jamsession. So kam es: Er zeichnete Körper, ich setzte Köpfe darauf, und wir hatten Spaß miteinander. Aber um uns herum war die Welt alles andere als lustig. Es war 2024, und Krieg tobte im Gazastreifen. Joe kennt sich dort exzellent aus und hat durch seine früheren Comic-Projekte viele Kontakte. Was er von denen über das aktuelle Geschehen in Gaza erfuhr, war schrecklich. Als er schon wieder weg war aus New York, bedauerten wir, unsere gemeinsame Zeit nicht für etwas zu diesem Thema genutzt zu haben. Da kam meine Frau ins Spiel. Sie sagte: ‚Es gibt doch Zoom‘, und in fünf Minuten hatte sie die Sache auf die Beine gestellt. So ist es dann zu dem Comic gekommen: durch Françoise und Zoom.“

Die Frau im Hintergrund der Zusammenarbeit

Dazu muss man wissen, wer Spiegelmans Frau ist: Françoise Mouly, eine Künstlerin eigenen Rechts und eine der erfolgreichsten Vermittlerinnen von Comic- und Illustrationskunst in den letzten drei Jahrzehnten. Sie war lange künstlerische Leiterin des Magazins „The New Yorker“ und ist heute noch an dessen Titelbildauswahl beteiligt. Ihre Kontakte in die amerikanische Zeitschriftenwelt sind dementsprechend exzellent, und mit der von ihr in fünf Minuten auf die Beine gestellten „Sache“ meinte Spiegelman nicht nur die Zoom-Konferenz mit Sacco, sondern auch die Kontaktaufnahme zu etwaigen Interessenten – und die darauffolgende Abdruckzusage der „New York Review of Books“.

Die Originalseiten von Sacco in Paris
Die Originalseiten von Sacco in ParisPlatthaus

Aufmerksame Leser dieses Blogs werden schon beim soeben erwähnten Namen der Ausstellung gewusst haben, was da in der Galerie Martel gezeigt wird, denn vor zehn Monaten habe ich hier einen damals gerade veröffentlichten Comic vorgestellt, der den Titel „Never again! … and again … and again“ trägt: Und das war ebenjene dreiseitige Stellungnahme zum Gazakrieg, die Spiegelman und Sacco durch Moulys Initiative gemeinsam erarbeitet und gezeichnet haben. Der kurze Comic wurde dann rund um die ganze Welt in Zeitungen und Zeitschriften publiziert. Allerdings nicht in Deutschland.

Und warum nicht in Deutschland?

So ist denn auch der erste Satz, den ich von Spiegelman nach unserer Begrüßung am Eröffnungsabend in Paris zu hören bekomme: „Ihr bei der F.A.Z. habt unseren Comic ja nicht gebracht.“ Recht hat er, denn wir hatten aus Rücksicht auf die hierzulande besonders vergiftete Debattenkultur rund um den Gazakrieg darauf verzichtet, diese Stellungnahme zu publizieren, die vor allem von der Ratlosigkeit ihrer beiden Autoren angesichts der sich von Palästinensern und Israelis gegenseitig zugefügten Schrecken seit dem 7. Oktober 2023 erzählt, die aber auch keinen Zweifel daran lässt, dass Spiegelman und Sacco das Vorgehen der israelischen Armee als Völkermord ansehen. Alle anderen potentiellen deutschen Foren hatten offenbar dasselbe Bedenken betreffs dieser Schuldzuweisung, denn nachdem die F.A.Z. abgelehnt hatte, hat niemand sonst den Comic übersetzen lassen.

Arrangement von Art Spiegelmans Skizzen in der Galerie Martel
Arrangement von Art Spiegelmans Skizzen in der Galerie MartelPlatthaus

Für Sacco ist die deutsche Haltung erstaunlich – gerade angesichts der eigenen Geschichte im zwanzigsten Jahrhundert. Natürlich verstehe er die moralische Verpflichtung Deutschlands gegenüber Israel, aber sie dürfe doch nicht die Billigung von Grausamkeiten erlauben. In seiner amerikanischen Heimat sieht Sacco einen für ihn unerwarteten Sympathiezuwachs für die Palästinenser: „Die Menschen können die Bilder von dem, was in Gaza geschieht, nicht abstreifen. Dass unsere Regierung klar an der Seite Israels steht, wird für immer mehr Amerikaner zum Problem. Und darüber wird offen gesprochen. Deutschland scheint mir das einzige westliche Land zu sein, in dem diese Debatte nicht offen ausgetragen wird. Muss man als Israel-Kritiker bei euch Angst haben?“

Ein Comic, der Debatten auslösen soll

Da spricht allerdings auch einer, dessen jüngster Comic, „War on Gaza“, der in Frankreich und Amerika knapp vor der Kollaboration mit Spiegelman herauskam, auch schon nicht mehr auf Deutsch erschienen war, obwohl vorher fast alles von Sacco ohne größeren Verzug übersetzt worden war – auch seine vorherigen Plädoyers für die palästinensische Seite, „Palestine“ (1994) und „Footnotes in Gaza“ (2009). Dass nun ausgerechnet der Comic „War on Gaza“, der ganz aktuell Stellung bezieht, keinen deutschsprachigen Verlag fand, befeuert Saccos Verdacht, die Diskussion werde hierzulande abgewürgt. Und wenn selbst eine Zusammenarbeit mit Art Spiegelman, dem wichtigsten Comicautor zum Thema Schoa, nicht mehr auf Deutsch erscheinen könne …

Spiegelman, wie er sich selbst bei der Arbeit an „Never again! ... and again ... and again“ gezeichnet hat.
Spiegelman, wie er sich selbst bei der Arbeit an „Never again! … and again … and again“ gezeichnet hat.Spiegelman

Es ist nun aber nicht so, dass der Comic „Never again! … and again … and again“ in den Ländern, wo er publiziert worden ist, widerspruchslos geblieben wäre. „Aber so muss es ja auch sein“, sagt Sacco, „wir wollen damit ja gerade zur Diskussion anregen. Für uns steht jedoch fest, dass sich Staaten, die die israelische Regierung mit Waffenlieferungen versorgen, mitschuldig machen an Verbrechen gegen die Menschlichkeit.“ Alle Einnahmen aus dem Comic von ihm und Spiegelman werden UNICEF zugeführt, dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, das sich um die Linderung der Not im Gazastreifen bemüht. Entsprechend werden auch die Einnahmen aus den Verkäufen der Pariser Galerieausstellung vollständig dorthin abgeführt.

Ein Skizzenschatz im Angebot

Verkäufe? Weder Spiegelman noch Sacco sind doch bekannt dafür, ihre Originalcomicseiten zu verkaufen. Spiegelman macht es generell nicht, Sacco nur bei Nebenwerken, seine großen Reportagen hält auch er zusammen. Und ein Nebenwerk ist „Never again! … and never … and never“ gewiss nicht; der Comic ist vielmehr das Persönlichste, was beide Großmeister seit langer Zeit gemacht haben. Was also verkauft die Galerie Martel?

Sie verkauft Spiegelman-Zeichnungen, jedoch nicht diejenigen, die dann als Druckvorlagen dienten. Sondern Skizzen, die deren Vorbereitung dienten. Wie akribisch Spiegelman bei der Konzeption seiner Comics zu Werke geht, ist spätestens seit „MetaMaus“ bekannt, einem Band, der den jahrzehntelangen Arbeitsprozess an „Maus“ dokumentiert hat. Panel für Panel wird von Spiegelman mittels auf Transparentpapier ausgeführter Entwürfe vorbereitet; bisweilen braucht ein Einzelbild Dutzende solcher Skizzen, und eine Besonderheit liegt darin, dass dabei vor allem Buntstifte zum Einsatz kommen.

Produktives Chaos: eine der Skizzen von Art Spiegelman
Produktives Chaos: eine der Skizzen von Art SpiegelmanSpiegelman

Aber auch solche Vorstufen gibt Spiegelman normalerweise nicht heraus. Allerdings hatte er für die Galerie Martel vor ein paar Jahren eine Ausnahme gemacht, als er dort – Spiegelman ist eng befreundet mit Zavagli und Mattotti – Skizzen zu dem kleinen von ihm illustrierten Buch „Street Cop“ von Robert Coover verkaufen ließ. Da konnte man sehen, welche Mengen an Entwürfen in dessen wenige Bilder geflossen waren.

Rechts die Strenge von Sacco, links das Chaos von Spiegelman

Daran hat sich nichts geändert. Deshalb konnte die Galerie diesmal mehr als 160 Skizzen anbieten, die für die drei Seiten des Gaza-Comics entstanden sind, und das dürfte nur die Spitze des Eisbergs sein. Die größten Blätter haben gerade einmal A4-Format, die kleinsten messen nur wenige Zentimeter in Höhe und Breite; viele Einzelstudien sind einfach ausgerissen, manche dann auch wieder collagiert – echtes Arbeitsmaterial also, das gar nicht für Publikumsaugen gedacht war.

Aber in der Galerie ist das Publikum begeistert. Der tiefe, aber schmale Ausstellungsraum platzt aus allen Nähten. Sämtliche Spiegelman-Skizzen sind derart an einer kompletten Längswand arrangiert, das der Eindruck einer gigantischen horizontalen Pinnwand entsteht. Mit braunem Bleistift sind zwei Rahmenlinien ums das Ganze gezogen – ein improvisierter Bilderrahmen. Und mittendrin hängen dann doch einige der (natürlich unverkäuflichen) Originalsequenzen, die Spiegelman und Sacco als Zeichner zusammen ausgeführt haben. Sie sind fein säuberlich gerahmt und deshalb ein Fremdkörper (aber ein produktiver) im Skizzen-Ensemble. Die von Zavagli und Mattotti ersonnene Zusammenstellung ist eine grandiose Installation, deren simulierte Spontaneität noch dadurch verstärkt wird, dass einzelne der Skizzen unter Glas auf einer sich an der ganzen Wand entlangziehenden Ablage ausgestreut liegen, als ob Spiegelman sie einfach wild in den Raum geschleudert hätte.

Eine winzige Skizze von Spiegelman im Kontext der Galeriepräsentation
Eine winzige Skizze von Spiegelman im Kontext der GaleriepräsentationPlatthaus

Nun hat die Galerie ja zwei Längswände, und auf der anderen sind lauter Sacco-Originale zu sehen (auch die unverkäuflich). Und das sind alle zwanzig Seiten aus seinem schon erwähnten „War on Gaza“, in dem er seine persönliche Einschätzung des Nahost-Geschehens zeichnete. Diese Seiten hängen elegant gerahmt in einer schnurgeraden Reihe, und die penible Linien- und Schraffurführung, die Sacco zu seinem Markenzeichen gemacht hat, stellt einen Kontrast zur Spiegelman-Seite dar, wie man ihn sich größer kaum denken könnte. Aber auch kaum reizvoller.

Als er Netanjahu grün zeichnete, hatte Spiegelman die Lösung

„Ist es nicht erstaunlich?“, sagt Sacco: „Meine beinahe krankhafte Genauigkeit rechts an der Wand und Arts wunderbares Chaos auf der anderen Seite.“ Er selbst fertigt gar keine separaten Vorzeichnungen mehr an, geschweige denn Skizzen, sondern zeichnet direkt auf die Kartons und tuscht dann. Vorstufen zu Saccos Seiten? Fehlanzeige. Art Spiegelman fasst den in der Galerie sichtbaren Gegensatz zwischen ihm und dem Freund in Kategorien der Kunstgeschichte: „Da rechts hast du den Klassizismus von Joe. Und dann gegenüber meine art brut.“

Der giftgrüne Netanjahu (rechts) neben anderen Versuchen, den israelischen Premierminister zu zeichnen
Der giftgrüne Netanjahu (rechts) neben anderen Versuchen, den israelischen Premierminister zu zeichnenPlatthaus

Die so viel erzählt vom Ringen um diesen Comic. Etwa um das darin enthaltene Porträt des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu. „Der ist unglaublich schwer zu zeichnen, geschweige denn zu karikieren“, sagt Spiegelman. „Es ist, als ob er einem vor den Augen verschwömme. Ich bin an ihm verzweifelt, darum gibt es hier so viele Skizzen mit ihm, obwohl er ja nur in einem Panel des Comics erscheint. Irgendwann habe ich sein Porträt kurzerhand mit grünem Marker gezeichnet, und das war der Durchbruch: Die grüne Farbe zeigte ihn, wie er ist. Man weiß ja, dass sie traditionell für Bedrohliches steht. Und so habe ich ihn dann ja auch im Comic gezeichnet: als grünen Dämon.“

Wie Sacco aussieht, wenn ihn Spiegelman zeichnet

Was man den ausgestellten Arbeiten auch ablesen kann, ist, dass es Spiegelman war, der die Komposition der Einzelpanels entworfen hat. Es gibt nämlich skizzierte Sequenzen, in denen er auch jene Figuren gezeichnet hat, die später Sacco übernehmen würde, darunter selbst dessen Alter Ego: der Reporter mit der undurchsichtigen Brille. Es ist faszinierend, dieses Selbstporträt Saccos plötzlich von Spiegelman als Skizze zu sehen. Wobei es nach dessen ersten Rohentwürfen dann wieder Sacco war, der seinen Part bei den Panel-Reinzeichnungen als Erster ausgeführt hat – das war auch naheliegend, weil er ja keine Vorzeichnungen macht. In die von ihm gelassenen Lücken auf den Einzelbildern zeichnete dann Spiegelman seine Anteile ein; aber nicht, ohne zuvor auf eigens dafür angefertigten Fotokopien der bereits fertig ausgeführten Sacco-Zeichnungen erst einmal immer wieder neue, nun jedoch genauere Skizzen der ihm überlassenen Figuren einzusetzen. Auch solche Zwischenstufen sind in der Ausstellung vorhanden – die sind dann schon nah an der endgültigen Version, jedoch eben zur Hälfte (der wirklich fertiggestellten) nur Kopie.

Spiegelmans Entwurf einer Gesprächssequenz zwischen beiden Autoren (oben) und die Annäherung an die endgültige Version, nachdem Sacco schon seinen Teil der Reinzeichnung erledigt hat (unten): Sein Maus-Alter-Ego hat Spiegelman hier probeweise in Rotstift auf Kopien von Saccos Vorarbeit eingetragen, bevor er dann selbst die Originale in Tusche vollendete.
Spiegelmans Entwurf einer Gesprächssequenz zwischen beiden Autoren (oben) und die Annäherung an die endgültige Version, nachdem Sacco schon seinen Teil der Reinzeichnung erledigt hat (unten): Sein Maus-Alter-Ego hat Spiegelman hier probeweise in Rotstift auf Kopien von Saccos Vorarbeit eingetragen, bevor er dann selbst die Originale in Tusche vollendete.Spiegelman/Sacco

Auch Spiegelman setzt als Hauptfigur das eigene Alter Ego ein: in der durch „Maus“ ikonisch gewordenen Darstellung in Mäusegestalt. Das macht die Skizzen zu „Never again! … and never … and never“ gegenüber denen für „Street Cop“ wesentlich attraktiver, weil diesmal die berühmteste Figur von Art Spiegelman auftritt. Es waren denn auch diese Mäuse-Skizzen, die schon vor Eröffnung der Ausstellung weitgehend ausverkauft waren. Mittlerweile dürften überhaupt nur noch wenige Entwurfszeichnungen aus der Schau verfügbar sein, wobei die Vielzahl an Netanjahu-Versuchen oder die der Arbeiten, die das Herantasten an großformatige, figurenreiche Panels dokumentieren, nicht komplett vergriffen sein dürften, weil sie keinen Maus-Auftritt von Spiegelman bieten. Wo es aber den Zeichner in Mäusegestalt gibt, da sind selbst winzige Schnipsel zu begehrter Handelsware geworden.

Gaza wird die beiden nicht mehr so rasch loslassen

Was man im Kontext der Galerieausstellung bedauern kann, ist, dass es von Sacco gar nichts zu erwerben gibt. Aber dank seiner effizienten Arbeitsweise fehlt ihm das dafür notwendige Material, solange er die eigentlichen Originale behalten will. Im Gegensatz zum selbstzweiflerischen Zeichner Spiegelman hat Sacco auch bereits das nächste Projekt in Arbeit: einen Hybridband aus Comic- und geschriebener Reportage über die Situation im Nahen Osten abseits Palästinas, für den er wieder mit Chris Hedges zusammenarbeitet, mit dem zusammen Sacco bereits 2012 den Band „Days of Destruction, Days of Revolt“ über den Niedergang der alten Industriegebiete in den USA gemacht hatte.

Vierzig bis fünfzig Seiten, so Saccos Auskunft in Paris, muss er für das neue gemeinsame Buch mit Hedges noch zeichnen – für seinen aktuellen Kompagnon Art Spiegelman würde so etwas eine Vorarbeit von Abertausenden Skizzen erfordern; Sacco dagegen hofft, die Arbeit im Frühjahr 2026 zu beenden, sodass der Band im kommenden Herbst erscheinen könnte. Ob wir ihn auf Deutsch werden lesen können? Angesichts des Themas nicht sehr wahrscheinlich.

Und nun allen, die dieses Blog lesen, ein frohes Weihnachtsfest. Auf dass es wenigstens im Kleinen friedlich bliebt.

Source: faz.net