Art Basel: Was man aufwärts welcher Kunstmesse sehen muss – WELT

Die Baseler Kunstwoche geht seit sechs Jahren in Zürich los. Ehe der Sammlerjetset auf der Messe Art Basel einfällt, besuchen viele das Zurich Art Weekend. Solche Wochenenden – als Erfinder des mittlerweile weltweit exportierten Formats gilt das Berlin Gallery Weekend – sind nicht nur für den Handel wichtig, den Städten dienen sie auch zur kulturellen Imagepflege.

In Zürich hat das vergangene Wochenende jedoch mit einer israelfeindlichen Attacke begonnen. Drei Galerien und das Cabaret Voltaire, wo 1916 die Dada-Bewegung entstand, wurden in der Nacht vom 6. auf den 7. Juni 2024 mit propalästinensischen Parolen besprüht. Maria Bernheim, die aus einer jüdischen Familie stammt, fand ihre Galerie, wo sie burleske Bilder von Ebecho Muslimova zeigt, beschmiert vor: „Free Palestine“ war über die Schaufenster gesprüht, auf den Gehweg davor „no art for genocide!“.

Bernheim habe „nie gedacht, dass so etwas in der Schweiz passieren könnte“, zitieren sie lokale Medien; die Täter waren über die Züricher Kunstszene aber offenbar gut informiert. Der Generalsekretär des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes Jonathan Kreutner wertete es als „puren Antisemitismus, nun jüdische Geschäfte und Mitbürger für den Staat Israel verantwortlich zu machen“. Trotz rascher Entfernung der Farbe waren die Schatten des Vandalismus noch am Sonntag sichtbar.

Philip Guston liebt das Ungewöhnliche

Aufmerksamkeit hatte sich Zürich eigentlich von den Ausstellungen erhofft. Die Galerie Eva Presenhuber präsentiert im industriellen Maag-Areal figurative, blautonige Gemälde von Tobias Pils, die ihren Riesensaal zum Andachtsraum der Malerei machen. Zwei Etagen darüber zeigt Peter Kilchmann den in Haiti geborenen Didier William, der für seine effektvollen Motive Öl- und Acrylfarbe mit Drucktechniken kombiniert.

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Ein paar Blocks weiter im Lowenbräu-Areal, wo Hauser & Wirth mehrere Etagen füllt, gibt es eine museale Schau von Philip Guston. Den rätselhaften Bildern wird ein Zitat des Malers vorausgeschickt: „Ich liebe nur das Ungewöhnliche.“

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In der Altstadt nahe dem Kunsthaus, das vor Kurzem von David Chipperfield erweitert wurde, sind die Häuser älter, die Galerien kleiner, Presenhuber und Kilchmann haben hier ebenfalls Räume, aber auch der junge Galerist Fabian Lang. Er präsentiert eine überzeugende Ausstellung von Elena Alonso: Grafische Malereien treffen auf flexible Lederskulpturen. Die Spanierin spielt mit Zitaten aus Design und Art déco, ihre Bilder sind geometrisch abstrakt – bis sie beim Betrachten dann plötzlich figürlich werden.

Ausstellung „Kind and Sharp“ von Elena Alonso in der Galerie Fabian Lang in Zürich
Ausstellung „Kind and Sharp“ von Elena Alonso in der Galerie Fabian Lang in Zürich
Quelle: Courtesy of the artist and Galerie Fabian Lang

Fabian Lang trifft man auch in Basel wieder. Genauer gesagt, auf einem Feld in den Hügeln des Bruderholzes außerhalb der Stadt. Dort steht ein drei Meter hoher Turm, den Kilian Rüthemann aus reflektierenden Sandsäcken errichtet hat. „Makeshift“ sehe nur wacklig aus, sei aber erdbebensicher, sagt Lang und erklärt, dass sich der Künstler auf Bauten in Flüchtlingsunterkünften beziehe, die mit solchen Säcken errichtet würden.

Der Basel Social Club riskiert etwas

Das Werk wird im Rahmen des „Basel Social Club“ gezeigt. Die Initiative von Kreativen lockte 2023 Tausende Menschen zu einer wilden Kunstshow in eine Mayonnaisefabrik, was allgemein als überfälliges Gegengewicht zur hochseriösen Messewelt gefeiert wurde. Dieser Erfolg wird mit dem radikalen Ortswechsel nun aufs Spiel gesetzt, denn den meisten Exponaten fällt es schwer, sich in der Natur zu behaupten und die Besucher verlieren sich zwischen Feldwegen und Gemüsegärten. Die Stadt Basel aber hat das Spektakel finanziell unterstützt und geht voller Vertrauen mit ins Risiko.

Das Land hat es – zumindest metaphorisch – auch mitten in die Stadt geschafft. Auf dem Messeplatz wird traditionell eine große Kunstinstallation aufgebaut. Maike Cruse, die neue Direktorin der Art Basel, erweist nun einem ikonischen Stück Land-Art von Agnes Denes die Ehre. Die Vorreiterin „ökologischer Kunst“ hatte 1982 auf einer Brache in Manhattan ein Weizenfeld angelegt, nun sprießt es aus einem Hochbeet vor den Messehallen.

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Es soll bis zum Ende des Sommers bleiben und hat Marketing-Qualität. Viele Besucher machen Selfies zwischen grünen Halmen und vor dem omnipräsenten Art-Basel-Logo. „Honouring Wheatfield – a Confrontation“ transportiert aber auch den sozialen Gedanken, dass Messe und Stadt sich noch viel stärker als Partner begreifen wollen und müssen. Denn die Nervosität ist spürbar, was aus dem Standort Basel wird, wenn die noch junge Art Basel Paris im Oktober um die Aufmerksamkeit der Sammler buhlt. Dann findet sie nämlich erstmals im Grand Palais statt, das als schönste Messehalle der Welt gilt.

Art Basel ohne Limit

In Basel ist die Sektion Unlimited ein Publikumsmagnet: Halle 1 ist für überdimensionale bis überdimensionierte Kunstwerke reserviert. Am Eingang wird gern eine politische Botschaft versendet. In diesem Jahr ist es „Progetto per la pace“: Aus Erdhaufen ragen Bündel von Holzlatten empor, an denen weiße Fahnen hängen. Das Werk stammt von dem italienischen Bildhauer Mario Ceroli (präsentiert von der Cardi Gallery) und aus dem Jahr 1968 – eine Friedensgeste oder eine Kapitulationsfantasie?

Die weißen Papierblätter, die in einer großen Rauminstallation aus roten Fäden schweben, mag man als Friedenstauben interpretieren. Doch die japanische Künstlerin Chiharu Shiota (Templon) verarbeitet damit auch die Erfahrung einer schweren Krankheit.

Installation von Chiharu Shiota in der Sektion Unlimited auf der Art Basel 2024
„The Extended Line“: Installation von Chiharu Shiota in der Sektion Unlimited auf der Art Basel 2024
Quelle: AFP

Sam Falls (303 Gallery, Franco Noero, Eva Presenhuber) hat ein ungemein ästhetisches, schier nicht enden wollendes Wandbild aus leuchtenden Pigmenten und den Umrissen von Pflanzen erschaffen, womit der Künstler und seine Galerien wohl auch sagen wollen, dass sie auf Nachfrage Kunstwerke in jeder Größe erschaffen können. Ein typisches Graffiti von Keith Haring (Gladstone, Martos) musste dagegen um die Hälfte gekürzt werden. Im Jahr 1984 auf eine Straßenbegrenzung in New York gesprüht, ist der ursprünglich 100 Meter lange Fries eines der eindrucksvollsten Werke auf der Unlimited.

Wilder Parcours auf der Clarastraße

Wirklich offen für alle (also ohne Ticket zu besuchen), ist die Sektion Parcours, die Kunst in den öffentlichen Raum bringt. Selten ist das so gut gelungen wie in diesem Jahr. Die Kuratorin Stefanie Henssler, die in New York das renommierte Swiss Institute leitet, hat die 22 Werke in und um die Clarastraße positioniert. Sie führt von der Mittleren Brücke, über die man den Rhein von der Großbaseler Altstadt überquert, bis zum Messeplatz im rechtsrheinischen Kleinbasel.

Die gut 500 schnurgeraden Meter sind äußerst lebendig, aber auch ein wenig heruntergekommen, gesäumt von Zweckbauten, leerstehenden Geschäften und der gotischen St.-Clara-Pfarrei, man sieht Drogenkonsum, Obdachlosigkeit und Prostitution – und das für den Messebesuch entsprechend „artsy“ aufgemachte Fachpublikum eilt hindurch. Doch dank Hensslers Eroberung auch abseitiger Orte ist die Clarastraße nun Basels avantgardistischster Ausstellungsraum.

Video bei Art Basel Parcours: Nina Canell & Robin Watkins, „Energy Budget“, 2024
Video bei Art Basel Parcours: Nina Canell & Robin Watkins, „Energy Budget“, 2024
Quelle: Nina Canell & Robin Watkins Courtesy of Barbara Wien Gallery

Um eine Videoprojektion von Nina Canell und Robin Watkins (vorgestellt von 303 Gallery, Mendes Wood DM, Kaufmann Repetto und Barbara Wien) zu erleben, muss man über eine Rampe hinunter in eine düstere Tiefgarage. Danach weiß man, dass Autokarosserien in der Fabrik mit Federn von weiblichen Straußen gestreichelt werden. In einer Backstube, die gerade umgebaut wird, erzählt eine poetische 3-Kanal-Film-Installation von Peng Zuqiang (Antenna Space) vom Leben im Transit – und von der Faszination des Künstlers für chinesische Downtempo-Musik.

Auf dem Strip der Clarastraße kommt internationale Kunst nicht nur auf den Ladentisch (auch die Parcours-Arbeiten sind natürlich käuflich), sondern auch direkt unter die Leute. Etwa in einer ehemaligen Apotheke, die der Maler und Bildhauer Pol Taburet (vertreten von Balice Hertling und Mendes Wood DM) in einen karibischen Erinnerungsschrein verwandelt hat.

Man stöbert in einem Laden für afrikanische Lebensmittel und Kosmetika eine Installation mit abstrakten Gemälden von Alvaro Barrington (Sadie Coles HQ, Massimodecarlo und Thaddaeus Ropac) auf und wandert auf der Brücke unter den Piraten-Flaggen von Rirkrit Tiravanija (Neugerriemschneider). Im Kontext des Markts kann man sie auch ironisch lesen. Freibeuter haben Fragen von Aneignung und Eigentum schließlich eher locker gesehen.

Flaggen auf Baseler Brücke: Rirkrit Tiravanija, Untitled 2024 (Black Flags), 2024
Flaggen auf Baseler Brücke: Rirkrit Tiravanija, Untitled 2024 (Black Flags), 2024
Quelle: © Rirkrit Tiravanija/Courtesy the artist and neugerriemschneider/photo: sebastiano pellion di persano

Was für die Art Basel – an deren Messegesellschaft der Kanton Basel-Stadt ein Drittel der Anteile hält – hingegen zählt, sind harte Verkaufsabschlüsse. Am Abend der Vernissage für geladene Gäste veröffentlichte die Messe erste Zahlen: Die Berliner Galerie Sprüth Magers fand für 1,95 Millionen Dollar einen Käufer für das atelierfrische Gemälde „Rosemary’s Baby“ von George Condo. Thaddaeus Ropac aus Salzburg konnte mehrere Bronze-Editionen von Baselitz’ „Dresdner Frauen – Die Elbe“ für je zwei Millionen Euro vermitteln, David Zwirner aus New York den Unlimited-Kürbis von Yayoi Kusama für fünf Millionen Dollar.

Und der Schweizer Galerist Iwan Wirth wollte von schlechter Stimmung – der Kunsthandel hatte im vergangenen Jahr einen Umsatzrückgang von vier Prozent zu beklagen – nichts wissen. Er sieht sogar Vorteile in der „Rückkehr des Marktes zu einem humaneren Tempo“. Der Chef des Unternehmens Hauser & Wirth mit 21 Standorten auf der ganzen Welt (seit zwei Wochen auch einem in Basel) hat leicht reden, bei einem Umsatz von mindestens 40 Millionen Euro nach dem ersten Verkaufstag.

Art Basel, noch bis zum 16. Juni 2024

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Source: welt.de