Arrow-3-System: Ein Schutz vor Raketen am Rande des Weltraums
In der Annaburger Heide ist seit Neuestem ein markantes Waffensystem zu sehen. Die Abschussrampe, die vier Abfangraketen tragen kann, richtet sich langsam gen Himmel. „Einsatzbereitschaft hergestellt“, ruft ein Bundeswehrsoldat. Daneben steht auf einem zwölf Meter hohen Hügel, für den 7000 Lkw-Ladungen an Erde herangeschafft wurden, eine Kuppel – darin befindet sich das riesige, mehrere Tonnen schwere Radar. Es ist das Herzstück des Arrow-3-Systems, das künftig Deutschland und Europa vor russischen Raketen schützen soll. Hier, im Waldgebiet an den Grenzen von Sachsen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt, soll die „Zeitenwende“ einen großen Sprung nach vorne machen.
Am Mittwoch hat die Bundeswehr am Fliegerhorst Schönewalde/Holzdorf als erste Armee in Europa die israelisch-amerikanische Luftverteidigung Arrow 3 in Betrieb genommen. Deutschland will damit eine militärische Fähigkeitslücke schließen. Nils Hilmer, Staatssekretär im Verteidigungsministerium, spricht vor dem Startgerät von einem „wichtigen Meilenstein“ für die Verteidigung Deutschlands. Arrow 3 sei mehr als nur ein weiteres Abwehrsystem. Es biete Berlin die Fähigkeit, nicht nur das eigene Land, sondern auch seine Verbündeten zu schützen.
Hilmer hebt die enge Zusammenarbeit mit Israel und den USA hervor, die das erst ermöglicht habe. Die Beschaffung sei eine Botschaft an diejenigen, die Deutschland bedrohten. Luftwaffeninspekteur Holger Neumann betont, dass Arrow 3 eine „direkte Antwort“ auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und auf neue Raketen Moskaus sei. „Die Zeitenwende wird heute sichtbar.“
Kein europäisches Land hatte bisher ein vergleichbares System
Das sogenannte exoatmosphärische System bekämpft Ziele außerhalb der Erdatmosphäre ab einer Höhe von 100 Kilometern und hat eine Reichweite von 2400 Kilometern. Es ist gegen weitreichende ballistische Raketen gerichtet, die in einer hohen Kurve fliegen. Die Bundeswehr betont, dass die Zerstörung von Bedrohungen am Rande des Weltraums essenziell sei: Das minimiere die Gefahr durch radioaktive oder chemische Sprengköpfe sowie Trümmer über besiedelten Gebieten.

Am Mittwoch erklärte die Luftwaffe nun die „Anfangsbefähigung“ der ersten Arrow-3-Batterie. Das bedeute, dass das System die „minimal erforderlichen Fähigkeiten besitzt“, um seinen Auftrag zu erfüllen. Mit den ersten Komponenten – Radar, Startgeräte und geschulte Bediener – werde der Betrieb nun in „begrenztem Umfang“ aufgenommen. Sprich: Es könne „ein erster verlässlicher Abfangschirm gegen ballistische Bedrohungen über Deutschland und unseren Partnern gespannt werden“.
Bislang verfügte Deutschland über kein vergleichbares System. Generell ist Europa in diesem Bereich spärlich aufgestellt. Arrow 3 soll deswegen Teil des künftigen europäischen Schutzschildes werden. Es soll auch in die NATO-Luftverteidigung integriert werden. Laut Fachleuten könnte sich die Vernetzung verschiedener Abwehrsysteme von unterschiedlichen Staaten und Herstellern allerdings als kompliziert erweisen.
Brandenburgs BSW-Landesvorsitzender spricht von „teurem Fehler“
2023 haben Israel und Deutschland die Beschaffung von drei Arrow-3-Batterien im Wert von rund vier Milliarden Euro vereinbart – finanziert aus dem Sondervermögen der Bundeswehr. Die zwei weiteren Standorte sind noch nicht bekannt, ab 2030 sollen alle Systeme voll einsatzbereit sein. In Israel ist Arrow 3 bereits Teil der vernetzten Luftverteidigung. Der Generaldirektor des israelischen Verteidigungsministeriums, Amir Baram, sagt am Mittwoch, dass Arrow 3 „Tausende Raketen“ abgefangen habe.
Die Bekämpfung funktioniert nach dem „Hit to kill“-Prinzip: Die Abfangraketen, die in Hyperschallgeschwindigkeit fliegen, tragen also keinen Sprengsatz mit sich, sondern zerstören feindliche Bedrohungen allein durch kinetische Energie. Dafür braucht es ein leistungsfähiges Radar, um die Abfangrakete in die Nähe des Ziels zu bringen. Das Green-Pine-Radar gilt als äußerst zuverlässig und akkurat; es kann mehrere schnell fliegende Ziele gleichzeitig erfassen.
Doch das Rüstungsvorhaben ist nicht unumstritten. So ist sich die Koalition in Brandenburg uneinig: Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) unterstützt das Projekt, während der BSW-Landesvorsitzende und stellvertretende Ministerpräsident Robert Crumbach von einem „teuren Fehler“ spricht.
Es gibt auch militärische Bedenken. Manche Fachleute sagen, dass das System nicht vor den derzeit größten Bedrohungen für Deutschland und Europa schütze: russischen Kurzstreckenraketen und Marschflugkörpern. Diese Waffen könnten zu niedrig fliegen, um von Arrow 3 abgewehrt zu werden.
Die Beschaffungsvereinbarung habe ihn zunächst stutzig gemacht, sagt Markus Schiller, der an der Universität der Bundeswehr München zu Fernflugkörpern lehrt, der F.A.Z. Damals habe Moskau über kein Waffensystem verfügt, das in das Abwehrprofil von Arrow 3 passt. Das habe sich aber mit der Oreschnik-Rakete, die Moskau vergangenes Jahr erstmals gegen die Ukraine eingesetzt hat, verändert. „Die passt genau ins Beuteschema.“
Source: faz.net