Arbeitgeber stellen lukulent: Sieben Prozent mehr Lohn sind völlig unrealistisch

Der Industriestandort Deutschland steht unter massivem Druck. In unseren Kernbereichen verlieren wir weiter an Wettbewerbsfähigkeit. Mitten in diese strukturelle Abwärtsspirale hinein fallen seit Monaten immer neue bittere konjunkturelle Nachrichten aus der Metall- und Elektroindustrie. Produktion, Aufträge, Investitionen, Umsätze – bei allen Indikatoren zeigt der Daumen kontinuierlich nach unten. Auch der Druck auf die Beschäftigung, die sich bis weit in das Jahr 2023 noch als stabil erwies, nimmt immer mehr zu. Schon fast täglich machen Meldungen über Personalabbau die Runde.

In dieser für viele Unternehmen äußerst bedrohlichen Lage startet nun Mitte September die Tarifrunde in der deutschen Metall- und Elektroindustrie. Die IG Metall hat hierfür 7 Prozent mehr Entgelt aufgerufen. Angesichts der angespannten Gemengelage ist die Forderung unverträglich hoch. Ich kann hier nur an die Vernunft der IG Metall appellieren, die die wirtschaftliche Lage nicht nur kennt, sondern sie in vielen Punkten auch ähnlich beurteilt wie wir.

Viele Länder haben Deutschland überholt

Die Gewerkschaft weiß längst, dass viele Länder Deutschland in ihrer Standortattraktivität überholt haben. Und sie selbst benennt öffentlich dafür entscheidende Faktoren: die im Vergleich zur internationalen Konkurrenz extrem hohen Energiekosten, die überbordende Bürokratie, die langwierigen Planungs- und Genehmigungsverfahren. Hinzu kommen die vielerorts sanierungsbedürftige Infrastruktur, die schleppende Digitalisierung, international nicht wettbewerbsfähige Unternehmensteuern sowie immer weiter steigende Sozialabgaben. Und mit Tarifvergütungen von rund 65.000 Euro im Schnitt und deutlich über 100.000 Euro in der Spitze zahlen wir bei uns inzwischen Entgelte, die im internationalen Wettbewerb kaum noch zu verdienen sind.

Zwei Zusammenhänge müssen darum jetzt endlich in die Köpfe: Erstens muss unser Land zügig nachhaltige Voraussetzungen für eine wettbewerbsfähige Indus­trieproduktion schaffen. Der Vertrauensverlust vieler Unternehmer in die Politik ist gewaltig. Sie sind es leid, immer nur Ankündigungen zu hören, statt Umsetzungen zu erleben. Wird hier jetzt nicht erkennbar umgesteuert, braucht sich wirklich niemand zu wundern, warum Betriebe nur noch anderswo investieren.

Und zweitens brauchen wir dringend eine ehrliche gesellschaftspolitische Debatte über die Bedeutung von Arbeit. Es gibt so viele Länder auf der Welt, in denen deutlich mehr gearbeitet wird, auch weil die Menschen dort ehrgeizig ihr eigenes Wirtschaftswunder ansteuern. Und es sind oftmals genau diese Länder, die unsere schärfsten Konkurrenten im internationalen Standortwettbewerb sind. Es ist wirklichkeitsfremd, wenn dessen völlig ungeachtet bei uns lieber über weitere Arbeitszeitverkürzungen fabuliert wird oder in unserer Industrie Forderungen nach immer neuen Freistellungsansprüchen gestellt werden.

Aber wer fordert, dass diejenigen, die arbeiten, deutlich mehr haben müssen als jene, die nicht arbeiten, muss sich von der großen Vereinigung der deutschen Sozialpolitik „einen massiven Angriff auf den deutschen Sozial- und Wohlfahrtsstaat“ vorwerfen lassen. Ganz ehrlich: So kommt unser Land nicht wieder nach vorn!

Deutschland ist dazu verdammt, ein erfolgreiches Industrieland zu bleiben. Unsere Industriestandorte sind nicht nur Teil unserer DNA, sie sind die Lebensversicherung für den Wohlstand unseres Landes. Mir ist auch nicht bange vor der Zukunft unserer in aller Regel international aufgestellten deutschen Industrieunternehmen. Sie werden immer das Potential haben, innovativ und wettbewerbsfähig zu sein. Wohl aber umtreibt mich die Sorge um die Zukunftsfähigkeit unserer Produktionsstandorte hier in Deutschland.

Es wird jetzt höchste Eisenbahn, dass die Politik endlich versteht, dass Deutschland ein massives Wettbewerbsfähigkeitsproblem hat. Wir brauchen Kostenentlastungen, Bürokratieabbau und In­frastrukturinvestitionen. Das ist jetzt Aufgabe der Politik. Sie muss endlich erkennen, was die Stunde geschlagen hat.

Doch auch auf uns als Tarifpartner kommt jetzt eine große Verantwortung für unseren Standort zu. Zu Recht wird die funktionierende Sozialpartnerschaft in unserem Land gerühmt. Der echte Belastungstest für ihre Tragfähigkeit sind allerdings die regelmäßigen Tarifrunden. Metallarbeitgeber und IG Metall haben hier schon so manche große Herausforderung gemeistert – auch deshalb, weil die Verhandelnden einander aufmerksam zugehört und die Perspektive der anderen Seite verstanden haben.

Wenn die IG Metall von den Unternehmen jetzt aber erwartet, hierzulande mit langem Atem weiter in die Zukunft zu investieren, dann darf sie diese nicht zugleich mit einer überfordernden Tarifpolitik überlasten. Sieben Prozent sind da schlicht völlig unrealistisch.

Und was die Debatte über einen Bonus für Gewerkschaftsmitglieder betrifft: Mit dieser Sonderbehandlung von Teilen unserer Belegschaften würde die IG Metall nicht nur den Betriebsfrieden aufs Spiel setzen. Es ist auch ein schlechtes Geschäftsmodell, wenn damit vielleicht hier und da ein neues Mitglied geworben werden könnte, an anderer Stelle aber durch eine überzogene Tarifpolitik viel mehr Beschäftigung verloren geht. Und nicht zuletzt gefährdet dies die Tarifbindung auf unserer Seite, denn ein solcher Deal würde nicht wenige Arbeitgeber endgültig aus dem Flächentarif treiben. Das alles kann die Gewerkschaft nicht wirklich wollen.

Gerade in dieser Tarifrunde müssen Arbeitgeber und Gewerkschaften zu einem verantwortungsvollen Miteinander finden. Oft ist uns das gelungen. Weil sich jetzt die politische und wirtschaftliche Lage immer mehr zuspitzt, wird es darauf ankommen, dass wir auch in den kommenden Monaten daran anknüpfen können. Wenn das gelingt, könnte dies sogar wieder mehr Zuversicht und Vertrauen in die Soziale Marktwirtschaft und in die wirtschaftliche Stärke unseres Landes schaffen.

Der Autor

Arndt G. Kirchhoff ist Präsident  des Arbeitgeberverbands Metall NRW und Aufsichtsratsvorsitzender des Automobilzulieferers Kirchhoff.