Arbeit | Hakenkreuze im Betriebsrat: Wie die rechte Gewerkschaft Zentrum an Einfluss gewinnt
Eine rechte Gewerkschaft klingt paradox. Dennoch hat sich mit dem Verein „Zentrum“ in Deutschland eine rechte Organisation etabliert, die sich selbst als Gewerkschaft bezeichnet. Ihre Gegner sind nicht etwa die Arbeitgebenden – sondern andere Gewerkschaften. Ihr Netzwerk ist die extrem rechte Szene.
Von Rechtsrock über die AfD bis hin zu Hitler-Grüßen: Die leitende Männerdomäne des Zentrums hat zahlreiche extrem rechte Verbindungen, die bis ins Neonazi-Milieu reichen. Wer sind die strategischen Köpfe hinter der Organisation, die vorgibt, eine Gewerkschaft zu sein? Und wie eng sind sie mit der extremen Rechten vernetzt?
Das Zentrum zielt auf die Unzufriedenen ab, deren Ängste sie nährt
Fest steht: Mit dem Einfluss der AfD wächst auch der Einfluss des Zentrums. Es tritt beim rechtsextremen Magazin Compact auf, spricht beim verschwörungsideologischen Sender AUF1 und folgt Einladungen von AfD-Politikern in den Bundestag. Das Zentrum zielt auf die Unzufriedenen ab, deren Ängste vor Abstieg konstant durch die extreme Rechte umgedeutet und genährt werden.
Immer wieder versucht es zu expandieren, wächst aus Süd- nach Ostdeutschland – und dieses Jahr feierte es erste Erfolge in Norddeutschland. Inzwischen ist es neben der Produktion auch erstmals im öffentlichen Dienst vertreten. Auf nahezu allen Veranstaltungen sichtbar angeführt wird das Zentrum von seiner Gründungsfigur Oliver Hilburger.
Dieser flog aus der „Christlichen Gewerkschaft Metall“ (CGM), nachdem seine Mitgliedschaft in der Rechtsrock-Band „Noie Werte“ bekannt geworden war. Daraufhin gründete er seine eigene Gewerkschaft. Und die versucht seither, den etablierten Arbeitnehmerorganisationen ihre Stellung streitig zu machen. Um sich herum vereint Hilburger viele Männer mit Bezügen zur extrem rechten Szene.
„Der deutsche Gruß heißt Heil Hitler“: So soll ein Funktionär kommunizieren
Im Vereinsvorstand sind auch AfD-Politiker, darunter ein Stadtrat aus dem sächsischen Aue-Bad Schlema, ein Bezirksbeirat für Stuttgart-Zuffenhausen oder ein ehemaliger Kreisrat im Zwickauer Land. Ein Unvereinbarkeitsbeschluss der AfD währte auf Bundesebene weniger als ein Jahr. Nach Fürsprache von unter anderen Rechtsaußen-Politiker Björn Höcke strich die AfD das Zentrum im Juni 2022 wieder von ihrer Unvereinbarkeitsliste. Höcke sieht im Zentrum eine Vorfeldorganisation. Über die AfD hinaus kandidierten einzelne Zentrums-Vorstände auch für die extrem rechten Kleinstparteien „Freie Sachsen“ und „Die Heimat“.
Geleitet wird das Zentrum von einer reinen Männerdomäne. Aus Vereinsunterlagen geht hervor, dass in 15 Jahren 22 Männer den Vereinsvorstand bildeten. Zwar präsentieren sich auf der Webseite des Ablegers „Zentrum Gesundheit & Soziales“ zwei Frauen als Vorstände. Im Impressum ihrer Webseite ist jedoch das „Zentrum Automobil“ als Verantwortlicher angegeben.
Die Rolle der Frauen ist symbolisch, ohne strukturelle Macht im Vereinsvorstand. Die Hintergründe der 22 Männer zeigen zudem mehrere Fälle von Verbindungen zu extrem rechten Organisationen, die inzwischen verboten sind. Auch die AfD bestätigte 2021 in einem internen Dokument, dass nahezu der komplette Zentrums-Vorstand aus Personen besteht, die sich in der Vergangenheit rechtsextremistisch oder neonazistisch betätigt haben sollen.
Der aktuelle Schatzmeister und Webmaster betrieb etwa die Mailbox „Empire BBS“ des „Thule-Netzes“, über das Neonazis in Deutschland vor der Internet-Ära kommunizierten. Der erste stellvertretende Vorsitzende wiederum soll gemeinsam mit Aktivisten des verbotenen Netzwerkes „Blood & Honour“ Konzerte organisiert haben. Der zweite stellvertretende Vorsitzende wurde medial bekannt, weil er an einen Kollegen ein Foto verschickt haben soll, das ein Hakenkreuz zeigt und die Inschrift „Der deutsche Gruß heißt Heil Hitler“.
Erklärter Gegner des Zentrums: die DGB-Gewerkschaften
Ein ehemaliger Schatzmeister war früher Bundesschatzmeister der Neonazi-Organisation „Wiking-Jugend“. Den Verein verbot das Bundesinnenministerium bereits in den 1990er-Jahren: Die Organisationszwecke von Hitlerjugend und Wiking-Jugend seien weitgehend identisch, heißt es in der Verbotsverfügung. Das Zentrum bezog auf Anfrage des Freitag keine Stellung zu diesen Hintergründen. Stattdessen schreibt Hilburger, dass zu den Themen von ihnen schon alles gesagt worden sei.
Der erklärte Gegner des Zentrums sind die DGB-Gewerkschaften, allen voran die IG Metall. Sie hat den „Verein zur Bewahrung der Demokratie“ gegründet, um sich den Herausforderungen von rechts zu stellen. Der richtige Umgang bleibt eine nicht zu unterschätzende Herausforderung. „Das Thema zu verschweigen, ist nicht der richtige Weg“, sagt Gewerkschaftsforscher Klaus Dörre im Gespräch mit dem Freitag. Er beobachtet die Entwicklung von rechten Einstellungen in der Arbeiterschaft seit Jahrzehnten. Laut Umfragen wählten 38 Prozent der zur Wahl gehenden Arbeiter bei den Bundestagswahlen 2025 die AfD.
Doch die Partei könne ihr Potenzial in den Betrieben bisher nicht aktivieren: „Um mehrheitsfähig zu werden, will die AfD Gewerkschaften mit antifaschistischem Grundkonsens destabilisieren und delegitimieren“, sagt Dörre. Hierfür versuche sie einerseits, Gewerkschaften von innen zu infiltrieren und rechte Kandidaten auf Gewerkschaftslisten zu bringen.
Die mysteriöse Rolle des Jens Keller
Andererseits greife sie Gewerkschaften von außen an und streue Sand ins Getriebe – etwa durch das Zentrum. Beide Strategien lassen sich anhand der Geschichte von Personalrat Jens Keller erzählen: das jüngste Beispiel der Vereinbarkeit von AfD und Zentrum. Obwohl – oder weil – Jens Keller öffentlich machte, dass er im Stadtrat der AfD sitzt, wurde er dieses Jahr in den Personalrat gewählt. Als langjähriger Verdi-Gewerkschafter bekam er im Februar fast die Hälfte der Stimmen beim städtischen Müllunternehmen „Zweckverband Abfallwirtschaft Region Hannover“ (Aha).
Somit vertritt er rund 2.200 Beschäftigte im öffentlichen Dienst und eine extrem rechte Partei als Fraktionsvorsitzender in Hannover. Verdi versuchte, ihn auszuschließen – ohne Erfolg. Stattdessen trat Keller selbst aus und lief über zum Zentrum. Im Frühjahr dieses Jahres gründete das Zentrum mit Keller ein neues Regionalbüro „Nord-West“ in Hannover. Von dort aus will es den öffentlichen Dienst, den VW-Konzern und diverse Zulieferer in Niedersachsen erreichen. „Keller wird als Regionalleiter überhöht und größer gemacht, als er ist“, sagt Dörre, „dennoch hat das Regionalbüro Nord-West eine symbolische Bedeutung für das Zentrum.“
Auf einer Pressekonferenz im April dieses Jahres gab das Zentrum seine Pläne für das Regionalbüro bekannt. Eine Deutschlandflagge in Form eines Schmetterlings zierte den Anzug von Keller, ein Symbol der AfD. „Der Schmetterling fliegt immer nach rechts, nie nach links“, heißt es in der PR-Broschüre. Keller ist seit fast zehn Jahren für die AfD tätig. Bisher besteht das Regionalbüro aus einem Briefkasten und einer Telefonnummer. Keller hat laut Berichten von Verdi zunächst Werbung für das Zentrum bei Aha gemacht und Visitenkarten verteilt.
Doch die Presseabteilung von Aha schreibt auf Anfrage des Freitag, dass die Geschäftsführung das Verteilen von Werbematerialien von Vereinen, darunter des Zentrums, auf dem Betriebsgelände untersagt. Das Zentrum gibt sich kämpferisch, es will sich dadurch nicht von seinem Weg abbringen lassen. Doch wie wird dieser Weg weitergehen? Lässt sich die selbsternannte Gewerkschaft noch stoppen?
Was Verdi zu den Machenschaften des Zentrums sagt
Die Gewerkschaft Verdi hat in Hannover klar Position gegen die AfD bezogen. Keller seiner Ämter zu entheben, verlief erfolglos, weil die AfD 2024 noch nicht als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft war. Die inzwischen erfolgte Einstufung könnte es für Verdi und die IG Metall vereinfachen, AfD-Mitglieder auszuschließen. Es bleibt die Sorge, dass sich dann weitere Gewerkschafter dem Zentrum zuwenden – so wie Keller. Er war rund 16 Jahre lang Mitglied bei Verdi, schreibt Keller auf Anfrage des Freitag.
Auf Zuschreibungen wie „extrem rechts“ legt er keinen Wert, ihm gehe es um Inhalte. „Ich war überrascht, dass Keller jetzt das Zentrum vertritt“, sagt Verdi-Gewerkschaftssekretär Arno Peukes. Er glaubt nicht, dass die strategische Idee dahinter von Keller selbst kommt. Mit Keller konnte das Zentrum nun symbolisch Fuß fassen im öffentlichen Dienst.
Oft probiert das Zentrum, größer zu wirken, als es ist. Etwa verteilten Vertreter Flyer, die vorgaben, das Zentrum sei auch in weiteren Branchen, darunter Bildung und Erziehung, mit eigenen Ablegern vertreten. Zudem nennt sich Hilburger nun „Bundesvorsitzender“ und der Verein inzwischen „Zentrum – Die alternative Gewerkschaft“. Der einzig sichtbare Ableger ist jedoch das „Zentrum Gesundheit & Soziales“, das – angetrieben durch die Pandemie – seit 2022 versucht, Unzufriedene aus der Gesundheitsbranche abzufangen. Gleichwohl breitet sich das Zentrum aus, was die Gewerkschaften mit Sorge beobachten.
Im Frühjahr wird es spannend: Dann stehen deutschlandweit Betriebsratswahlen an
Das Zentrum ist seit seiner Gründung 2009 hartnäckig in der Autoindustrie vertreten. Damals nannte es sich noch „Zentrum Automobil“. Was mit wenigen Menschen in der Stuttgarter Mercedes-Benz-Produktion begann, expandierte langsam, aber zäh in einzelnen Regionen.
Die Wahlerfolge sind bisher marginal, aber nicht irrelevant. Bei den Betriebsratswahlen 2018 gewann das Zentrum und ihm zugehörige Listen Mandate rund um Stuttgart und in Leipzig mit 3,4 bis 13,2 Prozent der Stimmen. Teils tritt das Zentrum unter anderen Listennamen an, etwa in Leipzig bei BMW und Porsche als „IG Beruf und Familie“, in Zwickau bei VW als „Bündnis freier Betriebsräte“ oder in Waiblingen bei Stihl als „Mut zur Veränderung“. In Zwickau und in Rüsselsheim erzielte das Zentrum ebenfalls einzelne Mandate. Bei den Wahlen 2018 und 2022 gewann das Zentrum jeweils von den insgesamt 180.000 Betriebsratsmandaten rund 20 Mandate in bis zu acht Betrieben.
Zwar hat das Zentrum zu wenige Mitglieder, um Tarife abzuschließen oder zum Streik aufzurufen. Dennoch wollte es sich diesen Sommer vor Gericht die Erlaubnis einklagen, Vertrauensleute bei einer VW-Tochter zu wählen, was ihnen die Geschäftsführung untersagt hatte. Zu der Verhandlung vor dem zuständigen Arbeitsgericht reisten Hilburger und Keller persönlich an. Als Anwalt vertrat sie Alexander Heinig, der in den 1990er-Jahren bei Noie Werte als Bassist aushalf. Das Gericht lehnte die Klage ab, das Zentrum wird in die nächste Instanz gehen.
Es hat angekündigt, Flyer zu verteilen, Infostände aufzubauen und über Social Media Werbung zu betreiben – insbesondere vor Wahlen. Unterstützt wird es von seinem extrem rechten Netzwerk. Kommendes Frühjahr stehen deutschlandweit Betriebsratswahlen an. „Es ist zu befürchten, dass das Zentrum sich darauf bereits intensiv vorbereitet“, sagt Peukes.