Anouk Aimée: Der schönste Name welcher Welt

Manche Leute ergreifen den Beruf der Schauspielerin, andere sind dafür geboren. Anouk Aimée zum Beispiel hätte sicher auch unter ihrem bürgerlichen Namen Nicole Françoise Florence Dreyfus eine große Karriere hingelegt. Ihre Familie besaß einen exzellenten Ruf in der Kunstszene von Paris, die Mutter war ebenfalls Schauspielerin, der Vater ein Komiker. Und doch war es ein früher Geniestreich, dass sich die Tochter im Alter von 14 Jahren den wohl schönsten Künstlernamen der Welt gab.

1947 war das, Anouk Aimée spielte ihre erste Rolle in Henri Calefs Adaption des Romans La maison sous la mer von Paul Vialar, ein Mädchen namens Anouk. Der Film bot alles, was das französische Nachkriegskino auszeichnete: eine emotionale Dreiecksgeschichte vor atemberaubender Meereskulisse, aber auch einen fatalen Ausgang. Was davon in Erinnerung blieb, war die Darstellerin der Anouk. Die junge Schauspielerin fand sich in der Figur wieder, vor allem aber gefiel ihr der Klang des Namens. Also übernahm sie ihn. Als sie kurz danach dem Schriftsteller Jacques Prévert begegnete und dieser sie „Aimée“ nannte – die, die geliebt wird –, war das Pseudonym perfekt: Anouk Aimée, ein Name wie ein Versprechen. Die Schauspielerin sollte es einhalten.

Aimée war einer der größten Filmstars der an großen Stars nun wirklich nicht armen Sechzigerjahre. Eine Diva, die sehr genau wusste, dass man als solche vor allem Anmut ausstrahlen muss. Nur sie konnte 1961 im gleichnamigen Film von Jacques Demy Lola spielen, eine der prägendsten weiblichen Figuren des europäischen Kinos. Ein Kassenschlager war Lola zwar selbst in Frankreich nicht, zumindest von der Kritik wurde der Film aber verspätet als wichtiges Werk der Nouvelle Vague erkannt. Aimée stellte eine junge Frau dar, die in einem Cabaret in Nantes unter dem Künstlernamen Lola auftritt, eine Amüsierdame für US-amerikanische Matrosen. Als sie einen Jugendfreund wieder trifft, kommt es zu den typischen Irrungen und Wirrungen zwischen Liebe und Kleinkriminalität.

Die eigentliche Sensation aber ist die Lola-Figur: mit Zylinder und Zigarettenspitze ausgestattet, in hochhackigen Schuhen unterwegs auf den verregneten Pflastersteinen der bretonischen Stadt. „Das schönste Mädchen, das ich kenne“, nennt einer der Matrosen sie demütig. Regisseur Demy musste trotzdem darum kämpfen, die Rolle mit Aimée besetzen zu dürfen. Man habe sie nicht als sexy genug empfunden, sagte die Schauspielerin später in einem Interview, sie habe eben nicht dem Schönheitskanon der Zeit entsprochen. Vielleicht war es aber auch so: Eine Frau wie Lola war im schroffen Nantes nicht vorstellbar, das sogenannte wahre Leben mit den Traumvorstellungen der Filmindustrie nicht vereinbar. Aimée zeigte als Lola, wie eine Diva auch in solchen Situationen ihre Eleganz bewahrt.

Was eine Diva in anderen Situationen natürlich auch macht: ihr Umfeld in den Wahnsinn treiben. Schon 1960 spielte Aimée in Federico Fellinis La Dolce Vita, dem in Rom gedrehten, überaus präzisen Porträt einer europäischen High Society am Ende der Fünfzigerjahre, eine zentrale Rolle. Ja, es ist die Szene mit Anita Ekberg im Trevi-Brunnen, die heute als Fotodruck in unzähligen Programmkinos hängt. Aber es sind die Szenen mit Aimée und Marcello Mastroianni, die einen noch lange nach dem Film grübeln ließen – darüber, wie Aimée als gelangweilte Erbin Maddalena ihre Spielchen mit dem Cabrio fahrenden Frauenheld Marcello treibt; darüber, wie sie ihn bis an den Rand des Wahnsinns bringt. Nie zu laut, nie zu grell. Großartiger Psychoterror.