„Amerika ist und bleibt ein Wachstumsmarkt“

Herr Setzer, mitten im Zollchaos treibt Continental einen komplexen Umbau voran. Der Dax-Konzern soll aufgespalten werden, damit die Einzelteile flexibler sind. Wann kommt der Punkt, an dem Sie alles stoppen, weil die Unsicherheit zu groß ist und die Aktienmärkte verrücktspielen?
Die Neuaufstellung von Continental kommt voran wie geplant. Wir haben keinen Grund, davon abzuweichen, im Gegenteil: Die Märkte sind extrem volatil, und genau das bestätigt, dass wir unsere Unternehmensteile möglichst robust und vor allem wendig zugleich aufstellen müssen. Schnelle Einheiten mit kurzen Entscheidungswegen können nun einmal besser mit der schnell wechselnden Weltlage umgehen. Und die ist nicht erst seit Trump dynamisch. Seit 2018 beschleunigt sich die technologische Transformation. Wir haben die Covid-Pandemie erlebt und die Chipkrise, dann kam der Ukrainekrieg. Jetzt sehen wir noch stärkere geopolitische Spannungen und Handelshemmnisse.
Conti hat drei Hauptgeschäftsfelder: die Reifen, die Elektroniksparte „Automotive“ und das Geschäft mit Industriegummiprodukten, „Contitech“. Wie soll die Aufteilung jetzt vorangehen?
Wenn die Hauptversammlung Ende April zustimmt, planen wir im September die Abspaltung der Automotive-Sparte mit rund 92.000 Beschäftigten und einem Umsatz von 19,6 Milliarden Euro. In der Sparte Contitech streben wir zudem an, das Geschäft mit Gummiprodukten für Automobilhersteller, Original Equipment Solutions, noch dieses Jahr herauszulösen und zu verkaufen. Im kommenden Jahr wollen wir schließlich auch den verbleibenden Teil von Contitech verselbstständigen. Dieser beschäftigt etwa 23.000 Mitarbeiter, setzt rund 4,5 Milliarden Euro um und erwirtschaftet mehr als acht Prozent Ergebnis-Marge. Die wahrscheinlichste Option ist derzeit ein Verkauf. Uns ist immer wieder zugetragen worden, dass es dafür am Markt Interesse gibt, etwa durch eine Übernahme von strategischen Käufern oder Finanzinvestoren, die schon Industrieunternehmen im Portfolio haben. Die verbleibende Continental AG wird dann ein reiner Reifenhersteller werden.
Man muss sehen, wo wir herkommen. Als ich 1997 bei Continental angefangen habe, bestand das Unternehmen im Wesentlichen aus den Reifen und den technischen Gummiprodukten. Mit dem Geschäftsteil „Automotive Systems“ haben wir damals den Kern eines neuen Automobilgeschäfts aufgebaut, und Übernahmen wie Siemens VDO haben das Elektronikgeschäft stark vergrößert. Unter dem Dach des Konzerns wurde viel Wert geschaffen. Wir haben zahlreiche Unternehmen zusammengeführt. Dabei haben wir Integrationskraft bewiesen und starke Unternehmensbereiche geformt, die jetzt reif sind für die Unabhängigkeit. Mit der Neuaufstellung schaffen wir drei starke unabhängige Champions.
Auch und gerade unter dem Dach von Continental haben wir immer daran gearbeitet, dass die Konzernteile wettbewerbsfähig sind. Wir sind mit den Arbeitnehmervertretern im Austausch, und ich bin sicher, dass wir die Sorgen adressieren und gemeinsam Lösungen finden können. Ich will aber auch ganz grundsätzlich sagen: Das Abgeben von Unternehmensteilen wird oft negativer gesehen, als wenn man neue Geschäfte aufnimmt. Man muss den Mut aufbringen und loslassen können, wenn sich eine Einheit allein nun einmal besser entwickeln kann. Gerade dadurch werden auch Arbeitsplätze gesichert.
Amerika versetzt mit seinem Hin und Her in der Zollpolitik die ganze Autobranche in Aufruhr. Wie stark ist Continental betroffen?
Die Situation ist so komplex, dass man jede Produktgruppe einzeln analysieren muss. Als Konzern macht Continental etwa 20 Prozent des Umsatzes in den Vereinigten Staaten, alle Konzernteile haben da einen ähnlich hohen Anteil. Wir haben drei Standorte in Kanada, 20 in Mexiko und mehr als 50 in den Vereinigten Staaten. Wir produzieren also schon im großen Stil innerhalb der USA und sind dort gut aufgestellt. Auch dort treffen uns mögliche Zölle, denn viele Vorprodukte wie beispielsweise Kautschuk sind vor Ort gar nicht verfügbar. Aber: Auch unsere Wettbewerber müssen solche Materialien importieren. Im Wettbewerb sehen wir also erstmal keinen direkten Nachteil.
Ihre große Zahl an Elektronikwerken in Mexiko wird zum Problem, wenn die Zollschranken so bleiben wie befürchtet.
Mexiko ist das Land, aus dem wir am meisten in die USA exportieren. Und das meiste davon kommt aus der Automotive-Sparte, also aus Werken, die Fahrerinformationssysteme, Sensoren, Steuergeräte oder elektronische Module herstellen. Manche Kunden nehmen die Produkte direkt vom Werk ab, dann regeln sie die Zollabwicklung selbst. Für andere liefern wir in die USA. Wir müssen abwarten was passiert. Im Moment ist vieles nur Spekulation.
Wollen Sie mehr Produktion in die Vereinigten Staaten verlagern?
Wir haben in den vergangenen zehn Jahren mehr als drei Milliarden Euro in den Vereinigten Staaten investiert. Wenn die Produktion vor Ort Sinn ergibt, werden wir das auch weiter tun. Aber dafür müssen wir langfristig verlässliche Rahmenbedingungen haben. Klar ist, dass die Nachfrage für unsere Produkte groß ist, etwa für die Reifen: Unsere drei US-Fabriken in Mississippi, South Carolina und Illinois haben eine Kapazität von mehr als 16 Millionen Reifen im Jahr, und der Markt hat noch viel Potential. Amerika ist und bleibt für alle unsere Sparten ein strategischer Wachstumsmarkt, genau wie China und andere Märkte in Asien.
Was erwarten Sie von Deutschland und Europa, um im Kampf mit Trump die Interessen der hiesigen Autobranche zu wahren?
Es ergibt wenig Sinn, wenn jedes Industrieunternehmen jetzt einzeln Vorschläge macht. Aber ganz klar ist, dass wir als global aufgestelltes Unternehmen für freien Handel eintreten. Und das bedeutet im Idealfall, dass Zölle auf beiden Seiten komplett entfallen.
Zu den Zöllen kommt hinzu, dass Amerika chinesische Technik von seinem Markt verbannt. Conti ist betroffen. Denn Sie liefern zum Beispiel Telematik aus der Volksrepublik in die ganze Welt, auch in die Vereinigten Staaten.
Wir sehen schon seit einiger Zeit, dass sich unterschiedliche Anforderungen in den Weltregionen herauskristallisieren. Das ist nicht neu. Wir reagieren darauf, indem wir noch stärker vor Ort für die lokalen Märkte entwickeln und produzieren. Der Balanceakt besteht darin, gleiche Basistechnologie zu nutzen und für die Anwendung zu lokalisieren, etwa mit verschiedenen Partnern. Ein gutes Beispiel ist das autonome Fahren, für das wir in China mit lokalen Chip-Unternehmen wie Horizon Robotics kooperieren und in Amerika mit Ambarella. Der Weltmarkt wird komplexer, aber wir können damit umgehen.
Sie persönlich werden all diese Themen wohl bald gar nicht mehr bearbeiten. Wenn Conti aufgeteilt wird, erübrigt sich auch ihre Position, denn jeder Konzernteil hat ein eigenes Management. Die übergeordnete Holding entfällt.
Ich arbeite seit 28 Jahren für dieses Unternehmen und sehe es als Privileg, dass ich hier so viel bewegen konnte und gestalten kann. Ob es in der Reifensparte war, im Automotive-Geschäft oder eben jetzt als Vorstandsvorsitzender. Die Neuaufstellung von Continental werde ich bis zu ihrem erfolgreichen Abschluss im Sinne aller unserer Stakeholder gestalten und vorantreiben. Das ist mir ein wichtiges Anliegen. Aber wie ich schon gesagt habe: Man muss loslassen können. Wenn die Verselbstständigung von Contitech so läuft, wie wir uns das vorstellen, wird im nächsten Jahr der Zeitpunkt kommen, die Verantwortung weiterzugeben. Bis dahin bin ich CEO von Continental – mit Herz und Seele.
Die verbleibende Continental AG wird als reiner Reifenhersteller künftig ganz anders aussehen. Ist das Unternehmen nicht zu klein, um sich global zu behaupten?
Nein, die Reifensparte hat aktuell etwa 57.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie erwirtschaftete einen Umsatz von rund 13,9 Milliarden Euro und sehr stabile Margen, zuletzt eine Umsatzrendite von 13,7 Prozent. Damit ist Continental der viertgrößte Reifenhersteller der Welt nach Michelin, Bridgestone und Goodyear. Wir haben also global eine sehr gute Position. Und wenn wir weiterwachsen wie geplant, besteht die Möglichkeit, dass wir zur globalen Nummer drei werden. Größe allein ist aber nicht erstrebenswert. Wir wollen mit hochwertigsten und damit margenstarken Produkten möglichst viel Wert schaffen, für uns und unsere Kunden. Auf unserem Kapitalmarkttag im Juni werden wir mehr zur Strategie sagen, auch zu Contitech und der Automotive-Sparte.
In Hannover, ihrem traditionellen Stammsitz, war man immer stolz darauf, mit Conti einen High-Tech-Konzern zu haben. Jetzt bleiben die Reifen – ein Geschäft, das für die meisten Leute wenig Esprit ausstrahlt. Verstehen Sie, dass viele das als einen Verlust empfinden?
Reifen sind absolute High-Tech-Produkte. Pkw-Reifen von Continental bestehen zum Beispiel aus bis zu einhundert unterschiedlichen Rohmaterialien, und um Rollwiderstand und Verschleißfestigkeit gleichzeitig zu verbessern, ist permanente Weiterentwicklung an allen Stellschrauben nötig. Mit Sensoren im Reifen messen wir außerdem Druck und Temperatur sowie auch die Profiltiefe. Nachhaltigkeit im Reifen gelingt nur mit Technologiesprüngen. Und Continental hat mit dem UltraContact NXT auch einen der nachhaltigsten Reifen. Er zeichnet sich neben seinen hervorragenden Fahreigenschaften durch einen besonders hohen Anteil aus recycelten und erneuerbaren Materialien aus. Als ehemaliger Reifenentwickler und heute Vorstandsvorsitzender von Continental bin ich sehr stolz auf unsere Reifen, und unsere Heimat Hannover kann es auch sein.
Vom Reifenentwickler zum Konzernchef
Nikolai Setzer arbeitet seit fast drei Jahrzehnten für den Autozulieferer und Dax-Konzern Continental aus Hannover. Der 53 Jahre alte Wirtschaftsingenieur begann seine Karriere in der Reifenentwicklung. Heute leitet er ein Unternehmen, das derzeit aus drei Teilen besteht, aber bald aufgespalten werden soll. Conti hat eine lange Krisenzeit hinter sich: Tausende Stellen wurden abgebaut und die Geschäftsteile umgebaut. Das Management und der tonangebende Großaktionär, die Industriellenfamilie Schaeffler, hoffen jetzt, dass die einzelnen Unternehmensteile unabhängig erfolgreicher sein werden. Mit dem Umbau läuft auch Setzers Zeit an der Konzernspitze ab. Denn wenn die Unternehmensteile aufgespalten sind, entfällt auch die übergeordnete Holding.