„Am Scheidepunkt“: Reiches Sparplan für die Energiewende

Wer Eigentümer eines Hauses ist und mit dem Gedanken spielt, eine Solaranlage auf dem Dach zu installieren, könnte bald eine Enttäuschung erleben: Wie sich in den vergangenen Wochen schon angedeutet hatte, will Wirtschafts- und Energieministerin Katherina Reiche (CDU) die Förderung neuer Anlagen in Form der garantierten Einspeisevergütung streichen. „Es rechnet sich für den privaten Verbraucher auch so, sich eine Photovoltaikanlage aufs Dach zu stellen“, sagte sie vor Journalisten in Berlin. Staatliche Subventionen seien nicht mehr nötig.

Reiche stellte am Montag in ihrem Ministerium den mit Spannung erwarteten Monitoringbericht zum Stand der Energiewende vor. Mit diesem hatte das Ministerium das Energiewirtschaftliche Institut an der Universität zu Köln (EWI) sowie die Beratungsgesellschaft BET Consulting beauftragt. „Die Energiewende steht an einem Scheidepunkt”, sagte Reiche. Die installierte Leistung an erneuerbaren Energien sei nicht alles. Aspekte wie die Versorgungssicherheit und die Bezahlbarkeit müssten stärker berücksichtigt werden. An dem Ziel, dass Deutschland bis zum Jahr 2045 klimaneutral werden, also unter dem Strich kein CO2 mehr ausstoßen soll, will Reiche jedoch nicht rütteln, wie sie mehrfach betonte.

Eine Spitze in Richtung Habeck kann sich Reiche nicht verkneifen

Wann die garantierte Einspeisevergütung für private Hauseigentümer entfallen soll, blieb am Montag offen. Reiche äußerte sich auf Nachfrage nicht zum Zeitplan. Es würden nun eine Reihe von Gesetzesänderungen vorbereitet. Sie kündigte eine Pflicht zur Direktvermarktung für neue Anlagen an, sagte aber nicht, ab welcher Größe diese gelten solle. Eine Spitze in Richtung ihres Vorgängers Robert Habeck (Grüne) konnte sich Reiche nicht verkneifen: „Die Annahme, dass Strom aus erneuerbaren Energien praktisch zum Nulltarif zur Verfügung steht, ist bei der Berücksichtigung des Gesamtsystems falsch.“ Die Grünen hatten vor allem zu Anfangszeiten der Energiewende mit dem Argument geworben, Sonne und Wind schickten keine Rechnung.

Will die Energiewende stärker auf Kosteneffizienz ausrichten: Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU), hier mit Alexander Kox (BET) und Philipp Kienscherf (EWI) am Montag in Berlin
Will die Energiewende stärker auf Kosteneffizienz ausrichten: Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU), hier mit Alexander Kox (BET) und Philipp Kienscherf (EWI) am Montag in Berlindpa

Jedes Jahr fließen rund 18 Milliarden Euro aus Bundesmitteln allein in die Förderung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), seit die Stromkunden die EEG-Umlage nicht mehr über die Stromrechnung bezahlen. Die immer höheren Bundeszuschüsse zum Erhalt der „sozialen Tragfähigkeit” des Systems will Reiche senken. Ziel seien „kontrollierbare und degressive Lasten für die öffentliche Hand”. Welche Einsparpotentiale sie konkret sieht, sagte Reiche nicht. Stattdessen hieß es aus dem Ministerium, für die „gebotene volkswirtschaftliche Gesamtkostenanalyse“ fehlten „noch die notwendigen kalkulatorischen Grundlagen“.

Die Wirtschaftsministerin kündigte an, alle Fördermaßnahmen und Subventionen auf ihren volkswirtschaftlichen Nutzen hin zu überprüfen und auf das „unbedingt nötige Maß“ zu reduzieren. Auch die Strompreise dürften „nicht durch Dauerförderung künstlich niedrig“ gehalten werden, sondern müssten sich „an Marktmechanismen orientieren“. Unterstützung solle auf energieintensive Unternehmen, Forschung und Innovation beschränkt sowie zeitlich befristet sein.

Der von EWI und BET am Donnerstagabend im Ministerium eingereichte und nun veröffentlichte Monitoringbericht ist eine Metaanalyse, das heißt, die beiden Institute haben keine eigenen Berechnungen angestellt, sondern nur vorhandene Studien ausgewertet. Große Unsicherheiten sehen die Forscher bei der Entwicklung der Stromnachfrage. Eine Spannbreite von 600 bis 700 Terawattstunden im Jahr 2030 statt der bislang zugrunde gelegten 750 Terawattstunden sei jedoch sowohl erreichbar als auch – möglicherweise – kompatibel mit der Erreichung der Klimaziele (siehe Grafik).

DSGVO Platzhalter

Reiche vermutet den Strombedarf „eher am unteren Ende“ dieser Spannbreite. In den vergangenen Jahren war die Nachfrage leicht gesunken statt – wie eigentlich erwartet – zu steigen. Die Wirtschaftsministerin führt das auf die langsamere Elektrifizierung insbesondere der Industrie sowie die geringere Wasserstoffproduktion in Deutschland zurück.

Am Ziel, dass bis zum Jahr 2030 80 Prozent des Bruttostromverbrauchs aus erneuerbaren Energien stammen sollen, hält Reiche trotz vorheriger Befürchtungen der Erneuerbaren-Branche fest. Die Wissenschaftler von EWI und BET erwarten, dass bis dahin wie geplant 215 Gigawatt Solarkapazitäten in Deutschland stehen, auch wenn sich der Zubau an Aufdachanlagen in den vergangenen Monaten etwas abgeschwächt habe. Beim Ausbau der Windkraft sieht es hingegen schlechter aus: Die von EWI und BET ausgewerteten Szenarien prognostizieren, dass das im EEG festgeschriebene Ziel von 115 Gigawatt installierter Leistung an Land verfehlt wird. Das Offshore-Ziel von 30 Gigawatt werde gar erst zwei Jahre später erreicht, weil die Anbindung an die Stromnetze deutlich länger dauere als gedacht. Außerdem scheint das Umfeld für Investoren derzeit nicht besonders attraktiv zu sein: Vor wenigen Wochen war eine Ausschreibung der Netzagentur zum ersten Mal ohne Gebote geendet.

Zur Senkung der Netzausbaukosten, die laut den Forschern allein für die Übertragungsnetze im aktuellen Netzentwicklungsplan auf 440 Milliarden Euro geschätzt werden, schlägt Reiche die Überbauung von Netzanschlusspunkten, kapazitätsbasierte Netzentgelte und regional differenzierte Baukostenzuschüsse vor. Netzanschlussbegehren – etwa von Batteriespeichern – sollen durch „digitale Queue-Managementsysteme“ erleichtert werden. Was das genau bedeutet, blieb am Montag offen – ebenso wie die Antwort auf die Frage, welche großen Stromleitungen genau demnächst ober- statt unterirdisch geplant werden sollen. Zudem liegen einige von Reiches Vorschlägen nicht in den Händen des Wirtschaftsministeriums, sondern in jenen der Bundesnetzagentur.

Dass bis 2030 zehn Gigawatt Elektrolyseure zur Produktion von grünem Wasserstoff stehen, hält Reiche nicht für realistisch. Die bisherigen Ausbauziele sollen stattdessen durch „flexible Ziele“ ersetzt werden, die sich an „konkreten Projekten auf Nachfrageseite“ orientieren. Diese hatte sich zuletzt sehr zäh entwickelt; die Industrie zögert mit Investitionen aufgrund hoher Preise.

In der Wirtschaft stieß Reiche mit ihren Ideen überwiegend auf Zustimmung. „Alle Unkenrufe, dass die Energiewende nun abgewickelt werde, waren nicht nur verfrüht, sondern auch falsch“, kommentierte etwa der Stadtwerke-Verband VKU. „Durch eine stärkere Fokussierung auf Systemeffizienz lässt sich die Energiewende günstiger und zugleich stabiler gestalten“, lobte auch der Energieverband BDEW. Die Metastudie sei „ganz ordentlich gemacht“, aber eben kein „Arbeitsprogramm für die restliche Legislatur oder gar konkrete Policy-Empfehlungen für Gesetzesnovellen“, kommentierte hingegen Energieökonom Lion Hirth.