Altersvorsorge: Wie soll ich eine Million Euro schaffen?

Mit Zahlen kennt sich Judith Sonnen aus. Keine zwei Sekunden braucht sie, um im Kopf zwei Ziffern miteinander zu multiplizieren, selbst wenn es sich um größere Beträge handelt. Die Steuerberaterin fühlt sich wohl in dieser klar zu kalkulierenden Welt und behält stets den Überblick über jedes noch so kleine Detail. Doch ausgerechnet eine Zahl ist es nun, die die 62-Jährige ziemlich beschäftigt: eine Million Euro.

Mit diesem Geldbetrag wird sich Sonnen, die eigentlich anders heißt, bald auseinandersetzen müssen. Sie will ihre Kanzlei verkaufen, noch bevor sie in Rente geht. Mehr als vier Jahrzehnte hat sie sich ihrem Job gewidmet, mit großer Leidenschaft, doch nun reicht es.

Ein Investor hat ihr ein gutes Angebot für ihre Kanzlei gemacht, er möchte sie schon jetzt übernehmen. Sonnen wird dann die paar Jahre bis zum Ruhestand in der Kanzlei als Angestellte weiterarbeiten, als ehemalige Eigentümerin bekommt sie einige spezielle Rechte eingeräumt und kann selbst entscheiden, wann sie endgültig aufhört. Ein guter Deal, findet sie. Damit ist ihr die Suche nach einem Nachfolger abgenommen, und sie kann ohne große Sorgen in Rente gehen.

Das Geld muss für die Rente reichen

So weit der zeitliche Plan. Wie aber geht es finanziell dann am klügsten weiter, fragt sie sich: „Wie lege ich die eine Million Euro am besten an? Wie bekomme ich eine möglichst gute Rendite und bezahle dabei nicht allzu viele Gebühren und Steuern?“

Sonnen war die meiste Zeit ihres Berufslebens selbständig und bekommt daher nur wenig von der gesetzlichen Rentenkasse. Ihr Vermögen hat sie daher stets genau im Blick. Der Verkauf ihres Büros wird ihr mehrere Hunderttausend Euro einbringen, weiß sie. Während ihres Berufslebens hat sie lange in Lebensversicherungen eingezahlt, diese wurden vor zwei Jahren fällig, seither ist das Geld in einen Aktienfonds investiert, 400.000 Euro sind das. Die Beraterin ihrer Hausbank, bei der Sonnen seit 30 Jahren Kundin ist, hat ihr den Fonds empfohlen.

Zudem plant Sonnen, dass sie von ihrem Einkommen als Steuerberaterin bis zum Ruhestand auch noch ein bisschen spart. So kommt sie auf eine Million Euro. Außerdem hat Sonnen zwei Immobilien, beide sind abbezahlt. Zum einen handelt es sich um ein Haus: eine Hälfte bewohnt sie selbst, die andere vermietet sie. Und sie besitzt eine weitere kleine Wohnung, die sie ebenfalls vermietet. Daraus erzielt sie aber kaum Mietüberschüsse. Die Immobilien plant sie auch langfristig zu behalten.

Ihre Rente will sie komplett aus der Million an flüssigem Vermögen finanzieren. Um dafür einen Plan auszuarbeiten, wendet sich Sonnen an die F.A.S., die sie wiederum mit Michael Huber, Finanzberater und Deutschland-Chef des VZ Vermögenszentrums, zusammenbringt. Für Sonnens Strategie, die gesamte Million fast vollständig in Aktien zu investieren, findet er klare Worte: „Das ist eindeutig der falsche Ansatz. Eine so hohe Aktienquote halte ich in Ihrer Situation für absolut nicht empfehlenswert.“

Selbst wenn es jetzt an den Aktienmärkten gerade gut läuft, wird das gewiss nicht immer so bleiben. „Denken Sie an den Corona-Crash, da sind die weltweiten Kurse kurzzeitig um 35 Prozent gefallen. Bei einer Million Euro wäre das ein Minus von 350.000 Euro.“ Die Steuerberaterin, die so schnell eigentlich nichts aus der Ruhe bringt, gibt zu: „Das wäre gar nicht gut.“ Und Huber wiederum ergänzt: „Nicht nur das, Sie brauchen auch ein sehr dickes Fell, um das emotional auszuhalten und nicht zu einer unpassenden Zeit die Aktien zu verkaufen.“

Sie will durch Europa reisen

Sonnen wünscht sich für ihre Rente, sich so wenig wie möglich Sorgen um ihr Geld machen zu müssen. Und überhaupt will sie sich auch weniger mit Zahlen beschäftigen. Stattdessen möchte sie mit dem Auto durch Europa fahren. Kinder hat Sonnen keine, auch keinen Partner, ihr liebster Gefährte ist ihr Hund. Mit dem möchte sie Strände entlangspazieren, mehr als zehn Kilometer gehen die beiden oft pro Tag. Einfach mal mehrere Wochen am Stück möchte Sonnen Urlaub machen.

Bisher hat sie es nicht geschafft, sich das rauszunehmen. Sie liebt ihren Job, aber er verlangt ihr auch einiges ab. „Es ist eine Last, das System immer aufrechtzuerhalten und bloß keinen Trend zu verpassen.“ Ihr neustes Projekt: Sie ist dabei, sich mit der Künstlichen Intelligenz genauer auseinanderzusetzen.

Die Geldanlage soll also unkompliziert sein und trotzdem etwas Rendite einbringen. Für die Aktienfonds, in die Sonnen bisher investiert hat, hat ihr die Beraterin der Hausbank etwa acht Prozent Rendite versprochen. Damit könnte sie ihren Ruhestand gut genießen, dachte sie.

Vermögensberater Michael Huber aber zweifelt, dass das so klappt: „Wir müssen Ihre Erwartungshaltung eindeutig reduzieren.“ Eine so hohe Rendite sei nicht realistisch, zumal Sonnen unbedingt einen sicheren Teil in ihrem Depot brauche, der nicht so stark schwankt, wie Aktien es tun.

Eine Anlage in mehreren Etappen

Er schlägt daher eine neue Herangehensweise vor, die er Etappenstrategie nennt. Die geht so: Sonnen teilt ihr Vermögen gedanklich in zwei Töpfe auf, einen Verzehrtopf und einen Wachstumstopf. Der Verzehrtopf besteht aus sicheren Anlagen, etwa Festgeld oder Anleihen. Daraus kann sie Monat für Monat Geld für ihre Rente entnehmen.

Der Wachstumstopf besteht aus einem risikoreicheren Teil, etwa Aktienfonds. Dieser dient dazu, Rendite zu erzielen, und hilft, den Verzehrtopf schrittweise wieder aufzustocken, daher auch der Name Etappenstrategie. Aber wie viel Geld soll sie in jeden Topf hineinlegen?, fragt Sonnen sich.

Dazu muss sie erst mal wissen, wie viel Geld sie monatlich in ihrer Rente braucht. Miete zahlt sie keine, da sie ja in ihrer eigenen Immobilie wohnt. Ansonsten geht sie davon aus, dass sie etwa 40.000 Euro, also rund 3300 Euro monatlich, für Versicherungen, Lebensmittel und sonstige Ausgaben aus ihrem Vermögen braucht. Berater Huber trägt alle Angaben in eine Tabelle ein, die er vorbereitet hat.

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Zudem geht er davon aus, dass die Höhe der Ausgaben jährlich steigt, schon allein wegen der Inflation. Wenn die Preise um durchschnittlich zwei Prozent pro Jahr höher ausfallen, braucht Sonnen mit über 80 Jahren schon rund 60.000 Euro für exakt dieselben Ausgaben.

Eine Etappe dauert in Hubers Rechnung zehn Jahre. Für die erste Etappe braucht Sonnen rund 400.000 Euro, so das Ergebnis. Eine Rendite auf das angelegte Geld von zwei Prozent nach Steuern und Abgaben ist da bereits miteinbezogen. Für die Vermögensaufteilung bedeutet das somit, dass die restlichen 600.000 Euro in den Wachstumstopf, also in Aktien, angelegt werden können. Hier setzt Huber eine durchschnittlichen Rendite von knapp fünf Prozent abzüglich Kosten und Steuern an.

Nach der ersten Etappe werden daraus gut 960.000 Euro, womit Sonnen ihren Verzehrtopf wieder auffüllen kann – und die nächste Runde beginnt, also weitere zehn Jahre. So weit die Theorie.

Regelmäßiges Anpassen ist wichtig

Nun muss Sonnen bei der praktischen Umsetzung jedoch aufpassen, warnt Huber: Es kann natürlich passieren, dass just nach zehn Jahren eine Krise auf den Aktienmärkten herrscht, und die Kurse genau zum geplanten Entnahmemoment fallen. Um das zu vermeiden und in keinen Engpass zu geraten, sollte Sonnen ihr Depot regelmäßig anpassen und beispielsweise schon in guten Phasen Aktien verkaufen und Gewinne mitnehmen. „Die Etappenstrategie ist vor allem ein gedankliches Konstrukt, das bei der Aufteilung hilft“, sagt Huber. In der Realität aber ist ein regelmäßiges Ausbalancieren wichtig.

Zu Beginn der zweiten Etappe, die wieder zehn Jahre dauert, erfolgt erneut die Bestandsaufnahme: Knapp 500.000 Euro braucht Sonnen in der zweiten Runde, um ihre Ausgaben zu decken, durch die Inflation ist schließlich alles etwas teurer geworden. Die Umsetzung erfolgt wieder nach demselben Muster wie in der ersten Runde. Nach diesen zehn Jahren, Sonnen wäre dann etwa Mitte 80, sollen ihr laut Berechnung etwa 760.000 Euro bleiben, die Rendite bereits eingerechnet. Und nach der dritten Etappe wären es noch 280.000 Euro.

Zu dem Zeitpunkt wäre Sonnen bereits über 90 Jahre alt. Wie lange sie tatsächlich leben wird, kann natürlich weder sie selbst noch Berater Michael Huber vorhersagen. „Sie wären so aber jedenfalls gut finanziell aufgestellt“, sagt der Finanzberater.

Sollte Sonnen mehr Geld brauchen, etwa für die Pflege oder eine Unterstützung im Haushalt, bliebe sogar noch etwas Puffer. „Auch die Immobilien sind eine zusätzliche gute Absicherung.“ Sonnen hat also durchaus noch etwas Spielraum, ihre Ausgaben anzupassen. Das beruhigt sie. Sie könne schließlich noch gar nicht einschätzen, wie viel Geld sie benötigt, wenn sie mal mehr Freizeit hat.

Die Krux mit den Kosten

Ganz zufrieden ist die Steuerberaterin trotzdem nicht. Ein Punkt sticht ihr ins Auge, detailgenau, wie sie ist: der Unterschied zwischen der Rendite vor Steuern und Kosten und der Rendite danach. Mehrere Zehntausend Euro machen Abgeltungsteuer, Kirchensteuer plus Solidaritätszuschlag aus. Für die Kosten hat Michael Huber in seiner Rechnung 1,2 Prozent pro Jahr des angelegten Vermögens angenommen, auch das ist bei einer Million Euro Ausgangssumme ziemlich viel Geld. „Kann es wirklich sein, dass so viel Geld von meiner Rendite einfach wegfällt?“, fragt sich die 62-Jährige.

An den Steuern kann Sonnen erst mal nichts ändern, die muss sie zahlen. Bei den Kosten für die Geldanlage wiederum gibt es mehr Spielraum. Sonnen weiß die genauen Kosten ihrer Hausbank nicht auswendig, doch es ist davon auszugehen, dass sie dort vergleichsweise hohe Gebühren zahlt. Sie wolle auch nicht unbedingt Kundin dort bleiben, sagt sie. Seit ihre Beraterin kürzlich die Bank verlassen hat, lässt auch Sonnens Verbundenheit mit dem Geldhaus nach.

Am günstigsten wäre es, wenn sie sich selbst um ihre Geldanlage kümmert, ein Depot bei einer Onlinebank eröffnet und auch keine aktiv gemanagten Fonds kauft, die ein Portfoliomanager betreut und deshalb eher teuer sind. Weniger kostet es, wenn sie in einen ETF investiert, der einfach einen weltweiten Index an der Börse nachbildet. Dadurch ist ihre Anlage auch breit gestreut, was das Risiko reduziert. Bislang hat Sonnen von ETF nur gelesen, sie aber noch nie gekauft. „Ich bin aber offen dafür.“

Eigentlich hätte sie jedoch gerne etwas Unterstützung bei der Geldanlage. Zumindest einmal im Jahr möchte sie, dass jemand auf ihr Portfolio schaut. Eine Möglichkeit wäre dabei ein unabhängiger Berater, den sie auf Honorarbasis bezahlt. Wichtig ist jedenfalls, dass sie jemanden wählt, der keine Provisionen bekommt. Sonnen will den Punkt mit den Kosten noch mal selbst genau durchrechnen und überlegen, wie sich diese auf ihre Rendite auswirken.

Erst dann will sie entscheiden, wie viel sie für die Hilfe ausgeben möchte – damit sie ihren langersehnten Ruhestand auch wirklich sorgenfrei genießen kann.

Source: faz.net