Altersvorsorge: Ist die Rente sicher, Monika Schnitzer?

Dieses Interview basiert
auf Auszügen eines Gesprächs im Rahmen der neuen ZEIT-Serie „Nur eine Frage“,
die auch als Podcast und Video erscheint. Die Auszüge wurden gekürzt, redigiert
und teilweise umgestellt, um die Lesbarkeit zu verbessern. 
Redaktion: Jens Lubbadeh

DIE ZEIT: Frau Professor Schnitzer, ist die Rente
sicher?

Monika Schnitzer: Das würde man gerne bejahen, und
natürlich wird hier keiner im Alter am Hungertuch nagen, aber wir müssen schon etwas
dafür tun, dass sie sicher bleibt.

ZEIT: Haben Sie gerade Nein gesagt?

Schnitzer: In diplomatischen Worten.

ZEIT: Die Rente ist also nicht sicher?

Schnitzer: Eigentlich nicht – wenn wir so
weitermachen wie bisher. Wir brauchen eine Reform.

ZEIT: Wir haben während des Wahlkampfs mit
verschiedenen Spitzenpolitikern über das Thema Rente debattiert. Unser
Eindruck: Richtig gerne redet keiner darüber.

Schnitzer: Es wird überhaupt nicht gerne über die
Rente gesprochen. (lacht) Das ist auch einfach zu erklären. 40 Prozent
der Wahlberechtigten bei der jüngsten Bundestagswahl waren älter als 60. Die
sind schon mal sehr daran interessiert, dass sie eine auskömmliche Rente
bekommen. Ganz sicher sind sie dagegen, dass man die Rentenanstiege begrenzt.
Und vermutlich möchten sie auch nicht, dass das Renteneintrittsalter angehoben
wird. Ihnen ist das Thema Rente vermutlich wichtiger als vielleicht das Thema
Bildung für Kinder.

ZEIT: Es muss doch auch Ältere geben, die sich
um ihre Kinder sorgen und ein Interesse daran haben, dass die nachfolgenden
Generationen einen neuen Deal bekommen?

Schnitzer: Im Wahlergebnis sieht man das aber
nicht. Es gibt eben auch viele Menschen ohne Kinder. Für die ist das kein
Thema.

ZEIT: Dann ist es also für Friedrich Merz
nicht so klug, über radikale Reformen zu reden, die dazu führen würden, dass
Leute, die bald in Rente gehen, vielleicht weniger bekommen?

Schnitzer: Genau. Dieses Thema verspricht einfach
keine Wahlsiege. Wenn überhaupt, spricht man damit nur die ganz Jungen an. Die
aber machen ihre Wahlentscheidung offensichtlich noch nicht so stark davon
abhängig. Und sie haben auch insgesamt nicht so viele Stimmen, als dass das die
Wahl entscheiden könnte.

ZEIT: Der legendäre Arbeitsminister Norbert Blüm versprach vor rund 30 Jahren noch das Gegenteil: „Die Rente ist sicher“, so
sein berühmt gewordener Satz. Immer wieder hieß es seitdem, dass das System
zusammenbrechen werde. Das ist aber nicht passiert, trotz mehrerer Krisen. Die
Rentendebatte ist aber immer noch da. Und Sie sagen jetzt erneut: Die Rente ist
nicht sicher. Was stimmt?

Schnitzer: Die Rente ist nicht sicher, wenn man
jetzt nicht entsprechende Reformen in Angriff nimmt. Das Problem ist: Wir leben
länger. Das ist eine tolle Sache. Aber es heißt auch, dass wir im Schnitt acht
Jahre länger in Rente sind als noch vor 40 Jahren. Ich kann es am Beispiel
meiner eigenen Familie erläutern: Zur Zeit meiner Großeltern lag das
Renteneintrittsalter bei 65. Das haben meine Großeltern nicht erreicht. Meine
Eltern aber sind schon über 90 geworden. 
Zweites Problem: Wir haben als Gesellschaft nicht ausreichend Kinder
bekommen, um die Bevölkerung konstant zu halten. Die durchschnittliche
Geburtenrate pro Frau liegt seit den Siebziger Jahren unter 2. Aber 2,1
bräuchte es.

ZEIT: Bevor wir ins Detail gehen: Können Sie
kurz erklären, wie das deutsche Rentensystem funktioniert? Es heißt immer, das gebe
es ja schon seit der Kaiserzeit. Aber das bestehende System ist doch eigentlich
eine relativ neue Erfindung?

Schnitzer: Tatsächlich wurde erst in den 1950er-Jahren
das Rentensystem auf ein sogenanntes Umlagesystem umgestellt. Das heißt: Die
jungen Leute zahlen in die Rentenversicherung ein, aus den unmittelbar
eingenommenen Zahlungen werden die Rentnerinnen und Rentner ausgezahlt.
Deswegen ist die demografische Entwicklung so wichtig.

ZEIT: Wie hat man es früher gemacht?

Schnitzer: Entweder hat jeder für sich selbst
gespart. Oder einfach für eigenen Nachwuchs gesorgt, der einen dann im Alter versorgt
hat. Das Schöne am Umlagesystem ist, dass man darauf nicht mehr angewiesen ist.
Schließlich kann auch nicht jeder Kinder bekommen, oder will es vielleicht auch
nicht. Nur: Es braucht eben insgesamt genügend neue Kinder, um das Umlagesystem
am Laufen zu halten.

ZEIT: Wir haben die Großfamilie sozusagen verstaatlicht.

Schnitzer: Wir haben sie vergemeinschaftet. Manche bekommen
mehr Kinder. Dann fällt es nicht ins Gewicht, wenn andere nur ein Kind haben
oder vielleicht gar keines.

ZEIT: Wie viele Leute zahlen gerade die Rente
von wie vielen?

Schnitzer: Momentan ist es so, dass es pro Rentner
drei Beitragszahlende sind. In zehn, 15 Jahren werden es aber nur noch zwei
sein. 

ZEIT: Woher weiß man jetzt schon, wer in 15
Jahren die Rente zahlt?

Schnitzer: Wir wissen, wie viele Kinder es gibt, somit
wissen wir, wie viele 10-Jährige, 20-Jährige, 30-Jährige wir in 10, 20, 30
Jahren haben werden. Was wir jedoch nicht wissen, und das ist auch wichtig: Wie
viel Zuwanderung werden wir haben? Natürlich gibt es Prognosen, aber die haben
immer Unwägbarkeiten. Wir wissen außerdem nicht, wie viele Menschen das Land
verlassen werden. Genauso wenig, wie viele von den Menschen, die hier einmal leben
werden, dann wirklich in Beschäftigung sein werden. Denn natürlich zahlen nur
die Rentenbeiträge ein.