Als sich „Star Wars“-Fans darüber hinaus eine „Mogelpackung“ unterm Weihnachtsbaum freuten
Auf dem Wunschzettel vieler Kinder stand zu Weihnachten 1977 ganz oben: „Star Wars“-Actionfiguren! Doch Hersteller Kenner hatte letztere nicht rechtzeitig zum Fest fertig bekommen. Mit dem Mut der Verzweiflung ersann man eine etwas dreiste Notlösung.
Alle Jahre wieder scheint die Adventszeit viel zu schnell zu vergehen: Schon ist der 4. Advent da, und längst sind noch nicht alle Geschenke besorgt. Nun wird die Zeit bis zur Bescherung denkbar knapp.
Doch nicht nur Konsumenten, auch Produzenten kommen in der Zeit vor dem Fest bisweilen in die Bredouille – etwa, wenn sie es nicht schaffen, ihre Ware rechtzeitig in die Läden zu bekommen. Ein legendäres Beispiel dafür ereignete sich zu Weihnachten 1977.
In jenem Jahr hatte George Lucas‘ Weltraum-Epos „Star Wars“ seit seinem US-Kinostart im Mai nicht nur einen beispiellosen Erfolg an den Kinokassen erzielt, sondern sich zu einem popkulturellen Phänomen entwickelt. Die USA waren von einem regelrechten „Star Wars“-Fieber erfasst, der Film (welcher in Deutschland unter dem Titel „Krieg der Sterne“ erst Anfang 1978 startete und hier wie weltweit für ähnlich viel Furore sorgte) war ein Meilenstein des Blockbuster-Kinos und löste eine Welle von Nachahmer-Werken aus.
Früh hatte Lucas erkannt, dass „Star Wars“ ein enormes Potenzial für lukrative Merchandising-Produkte hatte, und sich die entsprechenden Rechte gesichert. Unzählige Artikel in allen erdenklichen Varianten sollten in den kommenden Jahren und Jahrzehnten zu „Star Wars“ und seinen Sequels erscheinen.
Und da „Star Wars“ Heerscharen von Kindern begeisterte, war entsprechendes Spielzeug dabei eine der wichtigsten Produktkategorien. Lucas machte Mitte 1977 einen Deal mit dem US-Spielzeughersteller Kenner, um Actionfiguren der Filmcharaktere wie Luke Skywalker, Darth Vader und Han Solo herauszubringen, mitsamt ihrer entsprechenden Raumschiffe: X-Wing-Fighter, TIE-Fighter, Millennium Falcon – und zwar einigermaßen maßstabsgetreu, die Figuren sollten in die Vehikel passen.
Bei Kenner freute man sich über den vielversprechenden Auftrag, sah sich nun jedoch vor zwei große Probleme gestellt. Bei deren Lösung sollte sich das Sprichwort „Not macht erfinderisch“ als zutreffend erweisen.
Da war erstens die Frage nach den Proportionen der Ware. Bei der bis dahin gewohnten Actionfiguren-Größe von bis zu 30 Zentimetern, etabliert etwa von Barbie-Puppen für Mädchen und G.I. Joe-Figuren für Jungen, hätten entsprechend maßstabsgetreue Raumschiffe jeden Rahmen im Hinblick auf Größe und Verkaufspreis gesprengt. Was tun?
Kenner-Chef Bernie Loomis entschied kurzerhand, die Figuren dann eben in einem bis dato ungewohntem, kleinerem Maßstab herauszubringen. Kenner-Chefdesigner David Okada fragte Loomis, welche Größe ihm denn genau vorschwebe. Zur Antwort hielt Loomis schlicht seine Hand hoch, Daumen und Zeigefinger abgespreizt. Okada zückte ein Lineal und maß nach: 3,75 Inches, also gut 9,5 Zentimeter.
Das kleinere Format hatte den weiteren Vorteil, dass die Figuren günstiger angeboten werden konnten. Doch hier ergab sich Problem Nummer 2: Die Zeit drängte. Das Spielzeug sollte so schnell wie möglich, auf jeden Fall aber rechtzeitig für den wichtigsten jährlichen Termin aller Spielzeughersteller in die Läden kommen: Weihnachten. Aber um ein Produkt anbieten zu können, muss es eben erst einmal bis zur Serienreife entwickelt, in ausreichender Zahl hergestellt und dann in den Handel gebracht werden.
Das geht nicht von heute auf morgen, zumal Kenners in den USA entworfene „Star Wars“-Ware aus Kostengründen in Fernost produziert wurde, wobei wochenlange Verschiffungszeiten einkalkuliert werden mussten. Bald wurde absehbar, dass Kenner die Produkte nicht bis Weihnachten 1977 fertig haben würde.
Ein Riesen-Dilemma, denn zum einen wollte man nicht die vielen Kinder enttäuschen, bei denen „Star Wars“-Actionfiguren ganz oben auf dem Wunschzettel standen, zum anderen wollte man sich keinesfalls das lukrative Festtagesgeschäft entgehen lassen. Mit dem Mut der Verzweiflung ersann man eine Notlösung, die ein wenig dreist war, fast schon eine „Mogelpackung“: das „Early Bird Certificate Package“ (Zertifikats-Paket für den frühen Vogel).
Dabei handelte es sich um eine breite Pappschachtel, auf der bunte „Star Wars“-Figuren aufgedruckt waren – die selbige aber gar nicht enthielt. Ganz leer war die Box immerhin nicht, sie beinhaltete das namensgebende „Zertifikat“, d.h. einen Gutschein für die ersehnten Figuren, den die Beschenkten an Kenner schicken konnten, sodass sie die ersten vier Figuren (Luke Skywalker, Princess Leia, R2-D2 und Chewbacca) per Post erhielten, sobald diese im Frühjahr 1978 endlich verfügbar waren.
Dazu noch ein Papp-Display, auf dem man die Figuren aufstellen konnte, eine Mitgliedskarte, die bescheinigte, man gehöre nun zum „Star Wars Space Club“ und einige Aufkleber. Aus der Beschriftung der Packung ging hervor, dass sie keine Figuren enthielt, auch wenn es auf den ersten Blick so aussah.
Damit war letztlich allen gedient: Kenner (und George Lucas) entging das große Weihnachtsgeschäft nicht; Eltern konnten zum Fest ein „Star Wars“-Geschenk für ihre Kinder kaufen; die Kleinen zwar noch nicht mit dem Spielen loslegen, aber immerhin etwas auspacken, die Bilder betrachten, den Gutschein ausfüllen und in Vorfreude schwelgen, bald zu den allerersten „frühen Vögeln“ zu gehören, die „Star Wars“-Actionfiguren besitzen würden.
Die „Star Wars“-Spielzeuglinie wurde in den Folgejahren (in denen auch weitere Filme erschienen) ungeheuer erfolgreich. Kenner brachte dutzende Charaktere, Raumschiffe und Playsets heraus, die reißenden Absatz fanden. Heute erzielen die Produkte von damals unter Sammlern hohe Preise, je nach Erhaltungsgrad und Seltenheitswert. Für ein nunmehr fast fünf Jahrzehnte altes „Early Bird Certificate Package“, vollständig und in Top-Zustand, werden dabei inzwischen vierstellige Summen aufgerufen. 1977 war der ursprüngliche Verkaufspreis 7,99 Dollar.
Für WELTGeschichte blickt Martin Klemrath neben klassischen historischen Themen auch regelmäßig auf Firmen- und Produktgeschichte(n) vergangener Jahrzehnte zurück – etwa die Genese von Markennamen.
Source: welt.de