Als die US-Reporterin hört, welches jener Verurteilte in Deutschland zahlen muss, sagt sie nur „Wow“

Was ist schon Hassrede, was noch Meinungsfreiheit? Das US-Magazin „60 Minutes“ beleuchtet Deutschlands Umgang mit Hasskommentaren. Dafür werden sogar Ermittler bei Hausdurchsuchungen begleitet. Die Reporterin kommentiert manchen Fall mit Erstaunen.
In den Plastiktüten stecken ein Laptop, eine Festplatte und ein Handy. Das, was die Polizistin bei der Hausdurchsuchung nach einer Razzia mitnimmt, kann man so gut wie das komplette digitale Leben eines Menschen bezeichnen. „Es ist eine Art Strafe, wenn man sein Smartphone verliert“, wird der Göttinger Oberstaatsanwalt Frank-Michael Laue später in der US-amerikanischen Sendung „60 Minutes“ auf CBS dazu sagen. „Es ist sogar schlimmer als die Geldstrafe, die sie zahlen müssen.“
Zwischen Deutschland und den USA herrscht eine unterschiedliche Auffassung, was im Internet gesagt, gestreamt oder gepostet werden darf. Es gibt sowohl eine gesellschaftliche wie juristische Debatte darüber, was unter die Meinungsfreiheit fällt – und was geahndet werden sollte. Das zeigte nicht zuletzt die Bemerkung des neuen US-Außenministers J.D. Vance in seiner umstrittenen Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Denn während hierzulande gegen Hassrede im Internet strafrechtlich vorgegangen wird, sind in den USA die meisten Online-Äußerungen – selbst hasserfüllte oder beleidigende – durch den ersten Verfassungszusatz geschützt.
Vielleicht veröffentlichte der US-Sender deshalb zeitlich passend seine Reportage zu dem Thema auch auf seiner Homepage unter dem Titel: „Das Posten von Hassrede im Internet könnte in diesem europäischen Land zu einer Polizeirazzia in Ihrem Zuhause führen“. Gemeint ist: Deutschland und sein Umgang mit Beleidigungen und Kommentaren in sozialen Netzwerken.
Dafür hat das TV-Team deutsche Ermittler und Juristen bei ihrer Arbeit gefilmt und interviewt, unter anderem wie die Beamten morgens um 6 Uhr bei Beschuldigten klingeln, um digitale Geräte sicherzustellen. Etwa, wenn eine rassistische Karikatur veröffentlicht wurde. Es sind alles Fälle, die der zuständige Staatsanwalt in roten Ordnern sammelt.
Strafe für „Kletterpark für Flüchtlinge“
In einer dieser Akten steckt etwa die Abbildung von Strommasten, dazu ein Schriftzug „Kletterpark für Flüchtlinge“. Die Intention dahinter sei klar gewesen, erklärt Laue: Die Flüchtlinge sollten sterben. Als die Reporterin nachfragt, wie das Urteil in diesem Fall lautete, antwortete der Staatsanwalt. „Er musste 3750 Euro bezahlen.“
„Wow“, kommentiert die TV-Reporterin.
„Das ist kein Strafzettel für falsches Parken“, reagiert der Staatsanwalt.
Auch die Tatsache, dass viele Menschen in Deutschland gar nicht wissen, was noch erlaubt und was schon verboten ist, wurde thematisiert. „Wir haben es hier mit Straftaten des Redens, des Postens im Internet zu tun, und die Leute sind überrascht, dass es wirklich illegal ist, diese Art von Worten zu veröffentlichen“, ordnet Staatsanwalt Matthäus Fink von der Zentralstelle zur Bekämpfung von Hasskriminalität im Internet der Staatsanwaltschaft Göttingen die Rechtslage ein. Besonders schockierend für Verdächtige sei oft die Erkenntnis, dass selbst das Liken oder Teilen von Hasskommentaren strafbar sein kann. Die Beschuldigten sagen: „Das ist meine freie Meinungsäußerung. Und wir sagen: ‚Ja, Sie haben Meinungsfreiheit, aber sie hat auch ihre Grenzen‘.“
Ein Wendepunkt in der Debatte, so die TV-Reportage, sei der Mord an dem CDU-Politiker Walter Lübcke im Jahr 2019 gewesen. Der Kasseler Regierungspräsident wurde jahrelang wegen seiner Kritik an der Pegida-Bewegung im Netz bedroht, bevor ein Täter mit rechtsextremen Verbindungen ihn schließlich erschoss. „Das zeigt, dass Hass im Internet manchmal seinen Weg ins echte Leben findet und Menschen verletzt“, ergänzt Staatsanwältin Svenja Meininghaus. Seitdem wurden spezialisierte Ermittlerteams in ganz Deutschland eingerichtet. Sie durchforsten soziale Medien, um Hasskommentare zu identifizieren. Sie gehen aber auch Hinweisen und Strafanzeigen nach.
Und das führt letztlich immer wieder zu Diskussionen auch in der deutschen Öffentlichkeit, wie die Strafanzeige des Hamburger SPD-Politikers Andy Grote zeige: Er war im Sommer 2020 im Internet als „Pimmel“ bezeichnet worden, was letztlich zu einer Hausdurchsuchung der Polizei bei dem Verfasser führte. Ein Gericht befand später, dass die Maßnahme als unverhältnismäßig und rechtswidrig eingestuft wurde.
Ein weiteres bekanntes Beispiel für digitale Hetze ist die Grünen-Politikerin Renate Künast. 2015 verbreitete sich ein gefälschtes Zitat von ihr im Netz. „Ich habe das nie gesagt. Und das schadet meinem Ruf“, sagt sie. Künast verklagte daraufhin Meta (damals Facebook) erfolgreich – ein deutsches Gericht entschied, dass das Unternehmen verpflichtet ist, Falschzitate weltweit zu löschen. Meta ging jedoch gegen das Urteil vor mit dem Argument, dass dies nicht zu leisten sei.
Prozess um Falschzitat von Renate Künast geht weiter
Am Dienstag nun soll Künasts langer Kampf fortgesetzt werden: Beobachter erwarten bei einem Urteil weitreichende Konsequenzen für die US-Konzerne. Wenn Politiker nicht vor Hetze geschützt werden, werde sich irgendwann niemand mehr trauen, diese Jobs zu machen. „Das würde der Demokratie schaden“, wird Künast von CBS zitiert.
Dennoch könnte sich auch auf europäischer Ebene Druck auf Social-Media-Plattformen verschärfen. Ein neues Gesetz verpflichtet Konzerne, gegen Hassrede vorzugehen – sonst drohen hohe Strafen. Plattformbesitzer Elon Musk kritisiert das Vorgehen bereits und spricht von „Zensur“ und einem „Angriff auf die Demokratie“.
In Deutschland verteidigen Staatsanwälte jedoch ihre harte Linie. „Was wäre die Alternative? Zu sagen: ‚Wir tun gar nichts?‘ Nein. Wir sind Staatsanwälte. Wenn wir eine Straftat sehen, wollen wir sie untersuchen“, sagt Matthäus Fink in der CBS-Reportage. „Es ist eine Menge Arbeit – und es gibt auch Grenzen. Aber es ist kein rechtsfreier Raum.“
Für US-amerikanische Zuschauer mag diese Rechtsauslegung dennoch absurd daherkommen. An einer Stelle etwa fragt die US-Reporterin: „Ist es eine Straftat, jemanden in der Öffentlichkeit zu beleidigen?“. Meininghaus antwortet: „Ja.“ Nachfrage: „Und es ist es strafbar, jemanden online zu beleidigen?“ Meininghaus wieder: „Ja“, und Fink ergänzt: „Die Strafe kann sogar noch höher ausfallen, wenn man jemanden im Internet beleidigt. Denn das Internet vergisst nicht.“
kami
Source: welt.de