„Agenda 2030“ welcher Union : Wer von welcher Wirtschaftsagenda welcher Union profitiert

Die CDU hat ihr Wirtschaftsprogramm mit dem verheißungsvollen Namen „Agenda 2030“ vorgelegt. Das Papier, das ZEIT ONLINE vorliegt, sieht Steuersenkungen in Milliardenhöhen vor, um neues Wachstum zu generieren. Ist es ein sinnvoller Plan? Wir zeigen, in welchen Bereichen die Union ansetzen will – und was das bringt.

Unternehmen: Anreize durch Entlastungen

Deutschland ist beim Wirtschaftswachstum mittlerweile eines der Schlusslichter in der EU und sogar unter allen OECD-Ländern. Das liegt auch daran, dass Unternehmen wenig investieren. Die CDU verspricht daher Steuerentlastungen im großen Stil: Die Körperschaftsteuer, die für Kapitalgesellschaften, Genossenschaften oder Stiftungen anfällt, soll von heute 15 auf 10 Prozent reduziert werden. Die Gewerbesteuer sollen Unternehmen mit mehreren Standorten in Deutschland künftig an ein einziges Finanzamt entrichten, bisher wird sie für jeden Standort einzeln berechnet. Auch der für Firmen fällig werdende Solidaritätszuschlag soll ganz gestrichen werden. Insgesamt würde die Steuerlast von derzeit knapp 30 Prozent bei Kapitalgesellschaften (der zweithöchste Satz in der EU) auf 25 Prozent fallen. 

Geht der Plan auf, würden letztlich die Steuereinnahmen unterm Strich auch wieder steigen. Eine große Steuerreform hat es in Deutschland seit mehr als 15 Jahren nicht gegeben. „Daher trifft die Agenda 2030 einen Nerv“, sagt Tobias Hentze, Leiter des Themenclusters Steuern, Staat und soziale Sicherung am arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Das Wachstum könne aus seiner Sicht einen Schub erhalten. Ob wirklich um zwei Prozent, wie es die CDU annimmt, hänge aber auch von anderen Standortfaktoren und der Entwicklung der Weltwirtschaft ab, sagt Hentze.  

Problem: Der Staat würde zunächst mehr als 30 Milliarden Euro Steuereinnahmen verlieren, wie das IW berechnet hat. Da müssten Länder und Kommunen einen Teil der Mindereinnahmen tragen – obwohl sie sich nur begrenzt neu verschulden dürfen. Hilfreich sei, dass die Steuerentlastungen in vier Jahresschritten kommen sollen, sagt Hentze. Vollständig ausgleichen könnten die erhöhten Steuereinnahmen durch das prognostizierte Wirtschaftswachstum die Einnahmenverluste aus den Entlastungen jedoch nicht.  

Zudem müsse der Staat auch die Verkehrsinfrastruktur modernisieren, Genehmigungsverfahren beschleunigen und die Kita-Betreuung ausweiten, um die Wachstumschancen zu verbessern, sagt der Ökonom. Das alles bedeutet Ausgaben in Milliardenhöhe. Das soll nach Plänen der CDU ohne eine Reform der Schuldenbremse gestemmt werden. Darum will die Partei an anderer Stelle kürzen, etwa im Sozialetat und in der Verwaltung. Wie hoch die Einsparungen dadurch aber genau sein sollen, bleibt unklar. 

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Arbeitnehmer: Die große Steuerreform

Den Menschen soll mehr Netto vom Brutto bleiben, mithilfe einer großen Steuerreform im kommenden Jahr. Der Spitzensteuersatz wäre erst ab einem zu versteuernden Einkommen von mehr als 80.000 Euro als Single fällig (heute liegt er bei 68.430 Euro), der Solidaritätszuschlag soll ganz abgeschafft und der Grundfreibetrag jährlich erhöht werden. Zuschläge bei bezahlten Überstunden sollen steuerfrei werden, zudem will die CDU mehr Ausgaben für Kinderbetreuung und haushaltsnahe Dienstleistungen steuerlich absetzbar machen. Und Ältere, die nach Erreichen des Rentenalters weiterarbeiten, sollen bis zu 2.000 Euro pro Monat steuerfrei behalten können.  

Was nach vielen Entlastungen und Anreizen vor allem für die Mittelschicht klingt, könnte aber bei einem großen Teil der Bevölkerung nicht ankommen, kritisiert der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB). Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat berechnet, dass das einkommensstärkste, oberste Zehntel der Bevölkerung am stärksten entlastet würde. Den Soli zahlen neben Unternehmen nur noch Menschen mit sehr hohen Einkommen, Überstunden bekommt nur ein kleinerer Teil der Arbeitnehmer in Deutschland bezahlt, oft sind es Angestellte in leitender Position und in tariflich gut bezahlten Industriejobs. Auch Personal für Kinderbetreuung oder haushaltsnahe Dienstleistungen zu beschäftigen, können sich eher Wohlhabende leisten. 

Zusammen mit den geplanten Entlastungen für Unternehmen würde der Staat rund 99 Milliarden Euro Einnahmen verlieren, hat das DIW ermittelt. Allein das reichste Prozent würde um 28 Milliarden Euro jährlich entlastet werden, die ärmere Hälfte der Bevölkerung nur um knapp 12 Milliarden Euro.  

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Sozialpolitik: Weg mit dem Bürgergeld

Die CDU will zwar einen „starken und fairen Sozialstaat“, eingreifen soll der auf dem Arbeitsmarkt aber nicht. Stattdessen sollen die Sozialpartner gute Löhne aushandeln. Eine Anhebung des Mindestlohns oder die Allgemeinverbindlichkeitserklärung eines Tarifs wie etwa in der Pflege sind mit der Union nicht zu machen. 

Ein besonderes Anliegen ist der Union die Abschaffung des Bürgergelds. Es soll von einer neuen Grundsicherung abgelöst werden, die aber unbürokratisch zu 100 Prozent gestrichen werden kann, etwa wenn jemand zum zweiten Mal nicht zu einem Beratungstermin mit dem Jobcenter erscheint. Zugleich will die CDU den Vermittlungsvorrang wieder einführen. Das bedeutet, jegliche Arbeit ist einer Weiterbildung oder Qualifizierung vorzuziehen, im Zweifel auch ein Ein-Euro-Job

Mit der Abschaffung des Bürgergelds will die CDU viel Geld sparen. Arbeitsmarktexperten sind aber skeptisch, dass Verschärfungen bei der Grundsicherung dazu führen, viele Arbeitslose schnell wieder in Arbeit zu bringen, erst recht in einer Wirtschaftskrise. Komplett-Sanktionen sind außerdem seit einem Urteil aus dem Jahr 2018 verfassungswidrig, Ein-Euro-Jobs zudem wirkungslos und teuer. Einzig der Anreiz, im Bürgergeld mehr hinzuzuverdienen, könnte eine positive Wirkung haben – ebenso wie das Vorhaben, dass Leistungen nicht mehr sofort gestrichen werden sollen, wenn jemand einige Stunden arbeitet.  

Sinnvoll klingen die Pläne, Prozesse in der Bundesagentur für Arbeit und den Jobcentern durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz zu verschlanken. Damit mehr Menschen aus dem Ausland zum Arbeiten nach Deutschland kommen, will die CDU eine eigene Bundesagentur für ausländische Arbeitskräfte gründen, bei der alle Verfahren gebündelt werden. Ob das zu mehr qualifizierter Zuwanderung führt, ist unklar. Ärger mit den Gewerkschaften ist bei dem Vorhaben vorprogrammiert, das Arbeitszeitgesetz aufzuweichen und die bislang gesetzlich vorgeschriebene Ruhepause zwischen zwei Einsätzen abzuschaffen: Statt der täglichen Höchstarbeitszeit soll es nur noch eine wöchentliche geben – eine jahrzehntealte Forderung der Arbeitgeber. 

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Industriepolitik, Klima und Umwelt: alles fürs Auto

Die Union bekennt sich zu einem „Ja zum Auto“, die individuelle Mobilität ist für sie nicht weniger als der „Inbegriff von Freiheit“. Ein Tempolimit auf Autobahnen lehnt sie ebenso ab wie das Umwidmen von Parkplätzen oder Fahrverbote für Innenstädte. In ihrer Agenda 2030 betont die CDU zusätzlich, dass die Automobilbranche eine Schlüsselindustrie und ein Arbeitsplatzgarant bleiben soll. Daher will sie das sogenannte Verbrennerverbot rückgängig machen. Laut EU-Gesetzgebung müssen neu zugelassene Fahrzeuge ab 2035 emissionsfrei fahren.  

Wenn auch mit weniger Leidenschaft, so hat die Union sich – anders als FDP und AfD – in ihrem Programm zugleich zum deutschen Ziel der Klimaneutralität bis 2045 bekannt. Wie sie das erreichen will, bleibt allerdings vage, zumal vor allem der Verkehrssektor hinter den Zielen bereits seit Jahren zurückbleibt. Das dürfte sich durch die Betonung der Interessen der Autoindustrie noch verschärfen.

In der Agenda 2030 taucht als Fördermaßnahme für die schleppend verlaufende Antriebswende lediglich ein „Infrastrukturversprechen“ auf, sprich, der Ausbau der Ladeinfrastruktur für E-Autos. Mögliche Anreize für den Kauf, wie etwa niedrigere Zulassungs- oder KfZ-Steuern oder Kaufprämien, fehlen. Im Parteiprogramm spricht die Union sich für E-Fuels, Wasserstoff und nachhaltige Biokraftstoffe als mögliche klimafreundliche Alternativen aus. Allerdings sind diese deutlich ineffizienter als Batterien und zudem nicht ausreichend vorhanden.  

Vor allem aber will die CDU die Flottengrenzwerte der EU schwächen, also den Mechanismus, der dafür sorgen soll, dass Fahrzeuge emissionsärmer fahren. Diese Vorgabe will sie für den Zeitraum 2025 bis 2035 schrittweise auslaufen lassen. Ihre Argumentation: Ab 2027 gebe es einen Emissionshandel für Gebäude und Verkehr, das sei eine ausreichende Steuerung. Dass die Union das von ihr beschworene Prinzip des marktwirtschaftlichen Klimaschutzes immer eisern durchziehen würde, ist indes fraglich: Im Parteiprogramm will sie etwa die „übermäßige Belastung durch CO₂-Preis und CO₂-Zuschlag im Transportgewerbe“ reduzieren.  

Ein sozialer Ausgleich für die steigenden CO₂-Preise taucht in der Agenda 2030 nicht auf, dafür aber im Parteiprogramm der Union. Dort spricht sie sich dafür aus, die Einnahmen aus der CO₂-Bepreisung an Verbraucher und Wirtschaft zurückzugeben – zunächst in Form von niedrigeren Stromsteuern und Netzentgelten, später mithilfe eines nicht näher beschriebenen „Klimabonus“. 

Niedrigere Stromsteuern und Netzentgelte würden bei der klimaverträglichen Elektrifizierung von Verkehr und Gebäuden helfen, hier immerhin ist die Agenda 2030 ambitioniert: Um mindestens fünf Cent pro Kilowattstunde will die CDU den Strompreis senken.

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