AfD übernimmt Gaststätte: Es geht ein Riss durch Gauersheim
Vor einzelnen Häusern in Gauersheim hängt die Deutschlandflagge schlapp am Fahnenmast. Vier Flaggen sind es vielleicht im Ortskern. Reiner Schlesser, parteiloser Ortsbürgermeister von Gauersheim, sagt: „Die Flagge ist das Erkennungszeichen der AfD-Leute geworden.“ Andere im Dorf bestätigen das. Spätestens seit dem 3. Oktober, dem Tag der Deutschen Einheit, geht ein Riss durch Gauersheim.
Auf einem Bürgerdialog, den Schlesser an jenem Tag organisierte, wollte er über die Frage reden, wieso jeder Dritte im Dorf bei der Bundestagswahl für die AfD stimmte. Einige Interessierte kamen auf den Dorfplatz. Es sei friedlich gewesen, sagt Schlesser, bis mehrere Dutzend AfD-Leute mit Deutschlandflaggen gekommen seien. Die wiederum sagen: Friedlich hätten sie den deutschen Nationalfeiertag feiern wollen. Der AfD-Politiker Jürgen Wiedenhöfer war unter ihnen. Er sagt, der Bürgermeister habe ihn angegriffen. Als Wiedenhöfer am Rande des Bürgerdialogs einen Videoaufsager aufnehmen wollte, habe Schlesser ihn daran gehindert, berührt und bedrängt. Ein Video der AfD zeigt das.
Schlesser bestreitet das nicht – nur sei der veröffentlichte Ausschnitt zu kurz. Die Männer hätten die Veranstaltung „überfallen“, Frauen sei mit Vergewaltigung gedroht worden. „Meine Oma hat erzählt, wie es 1933 war, als die Nazis die Dörfer übernommen haben. Das war genauso“, sagt Schlesser. Ein Anwohner bestätigt das aggressive Auftreten der Männer. Beide Seiten erstatteten Anzeige.
Ein Angebot an die Jugend

Im Sommer hat die AfD eine Gaststätte in Gauersheim gemietet und sie zum parteieigenen „Treffpunkt Nordpfalz“ gemacht, etwa 40 Autominuten von Mainz entfernt. Immer donnerstags finden laut den Verantwortlichen Thekenabende zum „gemütlichen Beisammensein“ statt, außerdem Veranstaltungen zu besonderen Anlässen. Der AfD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Münzenmaier, in dessen Wahlkreis Gauersheim liegt, sagt, die Partei wolle auf dem Land ein Angebot machen, das sich gezielt an die Jugend richtet. Es fehlten dort „Orte der Begegnung und der freien Debatte“.
Ziel sei es, dass in jeder Region in Rheinland-Pfalz ein solches Zentrum entstünde. Bis zur Landtagswahl im März kommenden Jahres sollen weitere AfD-Treffpunkte im Landkreis Kusel und in Kaiserslautern eröffnet werden. Damit will Münzenmaier auch das Problem lösen, dass der AfD in der Vergangenheit häufig eine Vermietung verwehrt wurde. Kritiker sagen, die AfD wolle auf dem Land Raum greifen, Dörfer für sich erobern.

Am Sonntagmittag lädt die AfD zum Weihnachtsmarkt in Gauersheim. Er findet in der Gaststätte der Partei statt. Es ist ein zweistöckiger, beiger Bau, von außen deutet nichts auf die AfD hin. Über die Einfahrt geht es zum einen überdachten Hinterhof. Die Schlange am Imbisswagen ist lang. Pommes, Würstchen und Glühwein sind für die Besucher kostenlos – die EU-Fraktion der AfD übernimmt die Kosten, wie Münzenmaier sagt. Das ersparte Geld könne man aber gern an den Treffpunkt spenden. Auf der Theke steht eine volle Spendenbox. Im Gespräch sagt Münzenmaier, in der Stadt finde man viele Weihnachtsmärkte. „Auf dem Dorf ist das schwieriger. Diese Lücke möchten wir schließen. Wir bringen Weihnachtsstimmung nach Gauersheim.“ Die Gäste könnten über Politik reden, sie könnten aber auch bloß einen Glühwein trinken und neue Leute kennenlernen.
Im Gastraum läuft über Boxen, die an einen Laptop geschlossen sind, Weihnachtsmusik. Auf dem Bildschirm lodert ein Lagerfeuer. An einem Tisch werden Crêpes gebacken und mit Nutella bestrichen. An einem Stand gibt es „Handwerkskunst“: Ein Schneidebrett mit der Aufschrift „Mit Liebe gemacht schmeckt es am besten“ und blaue Weihnachtskugeln der AfD. Sie seien im Westerwald handgefertigt, heißt es, 16 Euro das Stück. Neben der Theke bietet der AfD-Politiker Wiedenhöfer, der schon am Einheitstag hier war, Mützen mit dem Schriftzug „Heimatliebe“ und einem Pfälzer Löwen gegen eine Spende an. Ein junger Mann nimmt die letzte, spendet 20 Euro und bedankt sich für das Engagement der AfD in Gauersheim. Mit der F.A.Z. sprechen möchte er wie einige andere auf der Veranstaltung nicht. Einer spricht von „Lügenmedien“, andere drehen sich wortlos um.
„Achtung, Presse!“
Als ein Kamerateam des niederländischen Fernsehens, das sich bei Münzenmaier angemeldet hatte, in die Gaststätte kommt, ruft einer: „Achtung, Presse!“ Alle drehen sich um, ein kräftiger Mann eilt herbei. Letztlich dürfen die Fernsehleute aber das Ende einer kurzen Ansprache Münzenmaiers aufnehmen.
Vorher war Jean-Pascal Hohm aufgetreten. Er ist der Bundesvorsitzende der AfD-Jugend „Generation Deutschland“. Bei der Gründung des Landesverbandes am Morgen konnte Hohm nicht wie geplant dabei sein. Am Abend zuvor war die Weihnachtsfeier seines Kreisverbandes so lang gegangen, dass er seinen Flug am Morgen verpasste. Bei seiner fünfstündigen Autofahrt von Brandenburg hierher habe er die Schönheit Deutschlands gesehen, sagt Hohm und spricht von sich als Teil der „letzten Generation“, die das Ruder im Land noch herumreißen könne.
Rheinland-Pfalz rühmt er als den „Osten des Westens“. Er bezieht sich offenbar auf die Strukturschwäche des Bundeslandes und hohe Wahlergebnisse der AfD. In Kaiserslautern hätte Münzenmaier beinahe das erste direkte Bundestagsmandat im Westen gewonnen. Bei der Landtagswahl im kommenden Jahr könnte dies in manchen Wahlkreisen in der Pfalz gelingen. Die Partei liegt landesweit in Umfragen etwa bei 20 Prozent, wenige Prozentpunkte hinter CDU und SPD.
Ist die schweigende Mehrheit für die AfD?
In Gauersheim wurde die AfD mit knapp 35 Prozent bei der Bundestagswahl stärkste Kraft. Ein junger Mann, der im Ort wohnt, sagt beim Weihnachtsmarkt: „Die AfD steht hier für die Mehrheit. Aber viele trauen sich nicht, das offen zu zeigen.“ Seine Frau sympathisiere zwar mit der AfD, wolle aber nicht zu Veranstaltungen kommen, weil sie Sorge um ihren Arbeitsplatz in der Baubranche habe. „Ein Foto von ihr hier, und sie ist ihren Job los“, behauptet er. Ihr Chef habe gesagt, dass er kein Engagement seiner Mitarbeiter bei der AfD dulde. Und irgendwas finde man immer, um jemanden rauszuwerfen.
Seinen eigenen Namen will der Familienvater Mitte 30 deshalb lieber nicht nennen. Er tritt freundlich und verbindlich auf, hat zwei Kinder und arbeitet nach eigenen Angaben in der Automobilbranche. Kollegen fragten ihn, was denn in Gauersheim los sei. Die Regionalzeitung „Rheinpfalz“ berichtet regelmäßig über den AfD-Treffpunkt und die Konflikte, die er im Ort auslöst. An diesem Tag wurden die Ortseingänge von Gauersheim von der Polizei kontrolliert, mehrere Mannschaftswagen parkten nahe der Gaststätte. Etwa 30 Demonstranten standen mit Transparenten und Schildern in der Kälte. Der Mann sagt: „Wir sind hier friedlich und tun keinem was.“ Für Ärger sorgten die Demonstranten und der Bürgermeister.
Am Mittag war Bürgermeister Schlesser zum AfD-Treffpunkt gekommen, um die Demonstranten zu besuchen. Auch die AfD-Leute sollten ihn ruhig sehen. Schlesser ist schon bedroht worden, Angst hat er aber keine, sagt er. Seine Familie will er aus allem raushalten. Zur Sicherheit ist sein Haus vollständig videoüberwacht. Als Zugeständnis an seine Frau, die sich um ihn sorgt, hat er eine Dose Reizgas dabei. Er öffnet seine rote Jacke und zeigt sie. „Die habe ich zur Verteidigung gegen scharfe Hunde dabei“, sagt er. Ob es davon viele in Gauersheim gibt? Schlesser, Oberlippenbart und Brille, schaut müde. Seit Kurzem ist er Rentner, das Ehrenamt des Ortsbürgermeisters hat er seit 2014 inne. Jetzt habe er wenigstens Zeit, sagt er.

Nur: Handhabe gebe es gegen den AfD-Treffpunkt nicht. Es handelt sich um ein Privatgrundstück, das die Partei gemietet habe. Der Kontakt entstand wohl eher durch Zufall, die Besitzer vermieteten die ungenutzten Räume bereitwillig. Schlesser wehrt sich dagegen, dass die AfD seinem Dorf einen Begegnungsort schaffe. Es gebe schließlich eine andere Kneipe, die derzeit allerdings nur selten geöffnet habe. Es gebe auch einen Fußballverein, einen Weihnachtsmarkt und eine Kerb, führt Schlesser an. Er merkt aber, dass die Zustimmung für die AfD steigt. Er will diejenigen umstimmen, „die noch nicht hardcore“ seien.
Ein paar derer, die vorher bei der AfD waren, stehen jetzt mit ein paar Flaschen Bier am Dorfplatz. Es ist Abend geworden in Gauersheim. Sie wollen eigentlich nicht mit der Presse reden, das Wort werde ihnen im Mund verdreht, und ihr Dorf in Misskredit gebracht. Es sind zwei Paare, die einen Ende dreißig, die anderen Ende fünfzig. Am 3. Oktober, als es hier eskalierte, waren sie nicht dabei, aber die Videos der AfD zeigten doch, dass der Bürgermeister den Streit angefangen habe, sagen sie. Er habe einen von der AfD „geschlagen“. Sie halten ihn für „den Krawallmacher“ im Dorf. Die AfD mache doch bloß ein Angebot.
Der ältere Mann, nach eigenen Angaben „über Jahrzehnte“ SPD-Wähler, sagt, Schlesser sei ein „Parasit“. Er läuft während des Gesprächs zornig auf und ab. „Irgendwann gerät der an den Richtigen“, sagt er. Auf die Frage, ob das eine Drohung sei, fasst ihm seine Frau an den Arm. Er schweigt. Als Zeichen seines Protests habe er die Deutschlandflagge hängen, erzählt er. Bald aber könnte er auch „die blaue“ hissen – gemeint ist wohl die Parteifarbe der AfD. „Die Mehrheit ist heute im Dorf für die AfD“, sagt die jüngere Frau. Viele schwiegen nur aus Angst.
Ein Handwerker sieht das anders. Er glaube nicht, dass die Mehrheit der Gauersheimer für die AfD sei, erzählt er bei einer abendlichen Begegnung. Vielmehr seien die meisten verunsichert und schwiegen deshalb. Sie wollen nicht, dass Gauersheim ständig in den Schlagzeilen sei. Sie nervt, dass so viele Autos auf dem Bordstein parkten und die Polizei mit Mannschaftswagen anrücke. Gleichzeitig spricht der Mann von Hakenkreuz-Schmierereien und offenen Drohungen durch AfD-Leute. Davon, dass die Partei immer mehr Zuspruch im Fußballverein und damit bei den Jungen habe. Er selbst hält sich lieber zurück, will seinen Namen nicht in der Zeitung lesen. Er fürchtet um Aufträge für seine Firma.
Source: faz.net