AfD-Paradox: Sie sehen es problemlos nicht

Bei der
anstehenden Europawahl dürften rechtsextreme Parteien – allen voran die AfD – so stark abschneiden wie nie zuvor. Europa könnte erheblich nach rechts rutschen. Eine neue Kurzstudie des DIW Berlin zeigt nun ein erstaunliches Paradox: Ausgerechnet Wählerinnen und Wähler der AfD wären die Leidtragenden einer
AfD-Politik auf EU-Ebene, und zwar in fast jedem der Politikbereiche – von der
Wirtschaftspolitik, über die Klima- und Umweltpolitik, bis zur Außenpolitik und
Gesellschaftspolitik. 

Für die Untersuchung waren die
AfD-Positionen und wie sich diese in den letzten zehn Jahren
verändert haben, ausgewertet und mit denen anderer Parteien verglichen worden. Die Kurzstudie nutzt den Wahl-O-Mat der
Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), um die Positionen der Parteien bei
der Europawahl zu identifizieren und zu vergleichen. Dieser enthält 38 Fragen
zu den wichtigsten Politikbereichen.

Demnach vertritt die AfD in praktisch allen Politikfeldern extreme Positionen, die
sich in vielen Bereichen stark von denen der demokratischen Parteien
unterscheiden. Zudem hat sich die AfD radikalisiert und sich zu einer fast
durchgehend europafeindlichen Partei entwickelt. In der Wirtschaftspolitik
steht die AfD für eine Politik des Neoliberalismus: Dabei wird der Staat als
ein Übel angesehen; den Markt zu stärken und den Sozialstaat abzubauen, gilt als
die Lösung. Die AfD fordert Deutschlands Austritt aus dem Euro und die Wiedereinführung
der D-Mark. Die EU soll keine eigenen Steuern erheben, die Einwanderung von
Fachkräften von außerhalb der EU soll nicht vereinfacht werden.

In der Klima- und
Umweltpolitik will die AfD viele Maßnahmen zum Schutz von Klima und Umwelt
abschwächen oder ganz aufheben. Verbrennungsmotoren sollen auch nach 2035 noch zugelassen
werden, Klimaschutzziele abgeschwächt werden. Dagegen will sie
Subventionen auf fossile Energieträger wie Kerosin beibehalten und die
ökologische Landwirtschaft weniger fördern.

In der
Gesellschaftspolitik steht die AfD für weniger Vielfalt und mehr Intoleranz.
Sie ist gegen die Straffreiheit von Schwangerschaftsabbrüchen in der EU und
lehnt es ab, dass Gewalt gegen Frauen als Asylgrund in Europa anerkannt wird.
Bei Demokratie und innerer Sicherheit sieht die AfD eine kleinere Rolle für die
EU vor. Beispielsweise möchte sie die Kompetenzen des EU-Parlaments deutlich
beschneiden. EU-Fördermittel sollen nicht an die Einhaltung gemeinsamer Regeln
und Werte gebunden sind. Die AfD steht für eine Asylpolitik, bei der Schutzsuchende
ihren Asylantrag stellen müssen, bevor sie die EU-Außengrenze überschreiten. Zudem
sollen dauerhafte Grenzkontrollen wieder eingeführt werden.

Bleibt noch die Außenpolitik, bei der die AfD viele Kompetenzen der EU wieder
auf den Nationalstaat übertragen möchte. Außerdem vertritt die rechtspopulistische Partei prorussische Positionen. Mit dem Bündnis
Sahra Wagenknecht (BSW) ist sie die einzige Partei, die für den Abbau von
Sanktionen gegen Russland, gegen weitere Waffenlieferungen an die Ukraine und
gegen gemeinsame europäische Rüstungsprojekte ist. Und sie will die
Handlungsfähigkeit der EU schwächen, indem sie sich gegen das Mehrheitsprinzip
und für nationale Vetos ausspricht.

AfD-Anhänger würden selbst unter die Räder geraten

Das AfD-Paradox ist bereits länger bekannt. Es zeigte sich bei der Bundestagswahl 2021 und auch manche Landtagswahlen. Und nun besonders auch für
die Europawahlen 2024: Die vermeintlichen AfD-Wähler und -Wählerinnen würden einen
erheblichen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Preis für eine AfD-Politik
zahlen.

Doch wer wählt die
AfD? Die Anhängerinnen und Anhänger kommen überdurchschnittlich häufig aus Ostdeutschland,
sind überproportional im mittleren Alter, meist männlich und leben häufiger in
strukturschwächeren Regionen. Zudem haben sie durchschnittlich einen geringeren
Bildungs- und Berufsabschluss und verdienen unterdurchschnittlich viel. In
anderen Worten: Sie gehören viel häufiger zu den verletzlichen Gruppen.

Außerdem wird keine andere Wählerklientel so stark von Unzufriedenheit und Ängsten getrieben, wie das
der AfD. Fast neun von zehn AfD-Anhängende sind unzufrieden mit der
etablierten Politik. Über die Hälfte beschreibt die wirtschaftliche Lage als
schlecht und erwartet, dass sich diese weiter verschlechtern wird.

Diese Ängste und
Unzufriedenheit spiegeln sich in den politischen Positionen der AfD-Wähler wider: Die meisten AfD-Wähler wollen Steuersenkungen und einen Abbau des
Sozialstaats. Und 83 Prozent sehen Zuwanderung nicht als Chance, sondern als
ein Problem und wollen sie daher deutlich beschränken.

Hier liegt eine Ursache für das Paradox: Sehr viele AfD-Wähler und -Wählerinnen sind auf einen starken
Sozialstaat, eine bessere Daseinsvorsorge und gute staatliche Institutionen
angewiesen. Die AfD-Politik wird somit für viele in ihrer Wählerschaft einen
Einschnitt bei den sozialen Leistungen und einen geringeren Lebensstandard
bedeuten. Steuersenkungen würden die Gelder bei den Kommunen weiter reduzieren
und damit die Daseinsfürsorge vor allem in strukturschwächeren Regionen weiter
erodieren.