AfD in Baden-Württemberg: Ganz rechts am Fuße des Schwarzwalds

Pforzheim also. Die Stadt ist nicht erst eine Hochburg der AfD, seit Anfang Juni bei den Kommunalwahlen 22 Prozent der Wähler:innen die Partei zur stärksten Gemeinderatsfraktion gemacht haben. Trotzdem lohnt der Blick auf die achtgrößte Stadt Baden-Württembergs auf halbem Wege zwischen Stuttgart und Karlsruhe. Denn über die Jahre wurde hier am Fuße des Schwarzwalds vieles versucht, um die politische Stimmung zu verändern. Gelungen ist das nicht.

Diana Zimmer, Mitte zwanzig, alte und neue AfD-Fraktionschefin im 40 Köpfe zählenden Stadtparlament, erklärt es so: Es gehe den Menschen eben primär um Identitäts- und Souveränitätsfragen. Alle bisherigen Analysen bestätigen in der Tat, dass in Pforzheim weniger auf Basis des Ist-Zustands, nach Zahlen und Fakten, etwa der niedrigen Kriminalitätsrate, sondern eher emotional gewählt wurde. Und da sei die AfD „die einzige verbliebene konservative Kraft“, behauptet Zimmer, „die die Gestaltungsinstrumente von Innen- und Außenpolitik wieder in unsere eigenen Hände legen möchte“.

Außenpolitik? Innenpolitik? Was hat ein Gemeinderat damit zu tun? Wenig bis nichts, vor allem nicht gemessen an den bisherigen Leistungen der „Alternative für Deutschland“, berichten Vertreter:innen der anderen Parteien übereinstimmend. Von denen gibt es einige: Im neuen Gemeinderat, der am Dienstag nach Redaktionsschluss zu seiner ersten Sitzung zusammenkommen sollte, sitzen Abgeordnete von 17 verschiedenen Listen. Es wird am Oberbürgermeister von Pforzheim, Peter Boch von der CDU, liegen, Mehrheiten zu organisieren.

Dass der Souverän so zerstreut gewählt hat und die AfD so stark geworden ist, liegt auch daran, dass die Kommunalwahlen am 9. Juni mit den Wahlen zum EU-Parlament zusammenfielen. Zwei Urnengänge animieren mehr Leute zur Teilnahme – doch oft geht es dann nicht mehr um kommunalpolitische Bilanzen, sondern Themen wie Migration oder Ukraine.

Russlanddeutsche Aufsteiger

Aus anderen Städten werden ähnliche Erkenntnisse vermeldet, zum Beispiel aus Burladingen auf der Schwäbischen Alb, bekannt durch das Textilunternehmen Trigema. Dort haben sogar noch mehr Wähler:innen der AfD ihre Stimme gegeben, doch ist die Partei nur zweite Siegerin hinter den Freien Wählern. Auch in Rastatt, nahe Baden-Baden, kommt sie auf fast 21 Prozent im Gemeinderat. Dabei gibt es hier eine Arbeitslosenquote von unter vier Prozent und seit mehr als drei Jahrzehnten das Daimler-Werk.

Wer im Bahnhof von Pforzheim ankommt, sieht zwar nicht so viele Daimler-Autos, dafür aber die mehrspurigen Verkehrsadern in der Kessellage am Zusammenfluss von Würm, Nagold und Enz. Wie in vielen anderen im Zweiten Weltkrieg schwer zerstörten Städten – am 23. Februar 1945 reichten 379 britischen Bombern 22 Minuten, um die Schmuck- und Feinmechanikmetropole in Schutt und Asche zu legen – sind im schnellen Wiederaufbau zusätzliche Wunden gerissen worden. Nein, die Stadt sei nicht die hässlichste Deutschlands, versuchen die Macher:innen von „Pforzheim – Anders. Schön“ mit Videoclips von unbestreitbar vorhandenen Sonnen- und grünen Seiten im Netz gegenzuhalten.

Ein Beispiel von vielen: 1992, als der Begriff innovativ noch nicht Konjunktur hatte, setzte eine Landesgartenschau nicht auf „Blümchen“, sondern auf Natur und Technik inmitten weitläufiger Parkanlagen. Aber längst sind die für die Stadt so wichtigen Umgestaltungen zwischen Enz und Buckenberg eingepreist und werden nicht mehr wahrgenommen als herausragende Gemeinschaftsleistung. Erst recht nicht auf dem Buckenberg selbst, einer AfD-Hochburg in der Hochburg. Schon bei der Landtagswahl 2016 (!) wählten 43,2 Prozent ganz rechts. Damit ging eine Ära zu Ende, denn traditionell hielten hier überproportional viele der Anwohner:innen – lange Zeit waren zwei von drei Bewohner:innen Russlanddeutsche – der CDU die Treue.

Heute hingegen ziehen AfD-Botschaften auf spezielle Weise: Wer meint, durch Anpassung den Aufstieg oder zumindest den Anschluss geschafft zu haben, ist für Abstiegsängste anfällig. Das führt zur Abgrenzung der Geflüchteten aus Russland gegen die Flüchtlinge von heute und zum Paradoxon, dass die AfD ausgerechnet in dieser einigermaßen zurechtkommenden Zuwanderergesellschaft punkten kann. Noch ist nicht abzusehen, was und wer diese Welle brechen könnte.