AfD im Europaparlament: Endet die AfD an welcher extremistischen Rechtsaußen-Flanke?

Die AfD mag sich an ihrem Erfolg bei der Europawahl
laben, doch die künftige Stellung ihrer Abgeordneten im Parlament ist unklar.
Die Parteiführung widersprach am Montag Informationen, wonach die AfD am
Donnerstag in Brüssel eine eigene Fraktion gründen wollte, dementierte
aber nicht, dass das Vorhaben nur eine Frage der Zeit ist: „Am Donnerstag wird keine Fraktion gegründet“, hieß es auf Nachfrage von ZEIT ONLINE aus der
Parteiführung. Ein Mitarbeiter der AfD im Europaparlament hatte für diesen Tag
um zehn Uhr bereits einen Raum reservieren lassen, „für die Konstituierung einer
Fraktion“. So heißt es in einer Konversation, in die ZEIT ONLINE Einblick
hatte. Die neue Fraktion solle Die Souveränisten heißen.

Eigentlich ist es nach Europawahlen Routine,
dass sich die Parteien zu Fraktionen zusammenfinden, auch neue gründen. Für die
AfD ist die Fraktionssuche diesmal allerdings hochbrisant. Bisher war sie im
Europaparlament Teil der ID-Fraktion, in der sich politisch rechtsradikale
Kräfte zusammengeschlossen hatten, darunter Abgeordnete der italienischen Lega,
des französischen Rassemblement National, der belgischen Vlaams Belang, der
tschechischen Svoboda, estnische Konservative und die österreichische FPÖ. Die
AfD war 2023 auch der europäischen ID-Partei beigetreten, die gegenseitige
Bindung war also eng.

Wegen der Skandale um den AfD-Spitzenkandidaten
Maximilian Krah hat sich die ID-Fraktion aber im Wahlkampf von der AfD-Fraktion distanziert.
Maßgeblich dabei war die französische RN-Spitzenpolitikerin Marine Le Pen, die
hofft, in Frankreich mit ihrem gemäßigteren Auftreten auch bürgerliche
Wählerinnen und Wähler erreichen zu können. Versuche von AfD-Parteichefin Alice Weidel, das belastete Verhältnis zu Le Pen zu kitten, verliefen ergebnislos.
Kurz vor der Wahl Anfang Juni warf die ID die AfD-Delegation sogar aus der
Fraktion raus. Plötzlich stand die Partei ohne potenzielle Partner für die Zeit
nach der Wahl da. Um den Hauch einer Chance auf Wiederaufnahme zu bewahren,
distanzierten sich die 14 anderen Gewählten der AfD von Spitzenkandidat Krah –
sie nahmen ihn nach der Europawahl nicht in ihre europäische Delegation auf.
Der Anlass war, dass Krah in einem Interview mit einer italienischen Zeitung
kurz vor der Wahl die SS-Verbrechen relativiert hatte.

„Nationalsozialisten und Postfaschisten“

Als Delegation einer Fraktion anzugehören,
bedeutet, deutlich mehr Geld und Einfluss im Europaparlament zu haben als
fraktionslose Abgeordnete. In der AfD wird nun aber wild diskutiert, wie
sinnvoll es ist, sich deshalb mit der „rechtsextremen Resterampe“ zu
vereinigen. Denn für die mögliche Fraktion der Souveränisten kommen neben den
15 AfD-Abgeordneten in erster Linie Gewählte von rechtsradikalen und
-extremistischen Parteien infrage. 23 Parlamentarier aus sieben Nationen sind
für eine Fraktion erforderlich – daher müsste sich die AfD zum Beispiel mit der
rechtsextremistischen Konfederacja aus Polen, die zur Wahl fünf oder sechs
Mandate errang, zusammentun. Jeweils ein bis drei weitere Abgeordnete könnten
von Parteien aus Rumänien, Bulgarien, der Slowakei, Spanien und Frankreich
kommen.

Soll die AfD sich wirklich auf diese Gesellschaft
einlassen? Darüber diskutiert die Partei gerade erregt: „Gründet die AfD diese
Fraktion, wechselt sie ins politische Segment der Nationalsozialisten und
Postfaschisten“, schrieb ein Bundestagsabgeordneter offenkundig frustriert in
eine interne Chatgruppe: Die bisherigen politischen Partner seien für die AfD
„völlig unerreichbar“. Stattdessen wolle man nun mit Parteien kooperieren,
„auf deren Märschen noch vor 15 Jahren Hakenkreuzfahnen gehisst wurden“. Weiterhin
mit der Konfederacja, „deren Leute den Chanukka-Leuchter mit dem Feuerlöscher
ausmachen und behaupten, Frauen gehören ausschließlich an den Herd“. 

Auch in Brüssel regt sich Widerstand, sogar innerhalb
der AfD-Delegation. Man befürchtet dort, dass die Rechtsaußen-Fraktion den
kaltgestellten Krah per Beschluss doch wieder in ihre Reihen aufnehmen könnte.
Auch sei es „völlig geisteskrank“ gewesen, einen Raum zu buchen, bevor die
Sache spruchreif war, sagt ein Frustrierter ZEIT ONLINE. Nun könnten die
anderen europäischen Rechtspopulisten in der Zeitung lesen, dass die AfD
mit ihnen eine Fraktion gründen wolle. Dies sei noch lange nicht sicher, wiegelt
ein anderes Mitglied gegenüber ZEIT ONLINE ab, am Dienstagvormittag will die
AfD-Delegation darüber beraten. Fast täglich sitze man auch mit Abgesandten der
bisherigen politischen Partner zusammen, sagt ein Beteiligter. Das Ziel: die
Plätze innerhalb der gemäßigteren ID-Fraktion für die AfD zurückzuerobern,
statt an der extremistischen Rechtsaußen-Flanke zu enden.

Noch ein Funken Restanstand?

Ob das gelingt, hängt maßgeblich von der erstarkten
französischen RN ab. Doch die Partei von Le Pen ist mit dem Wahlkampf in
Frankreich beschäftigt, dort könnte sie nach der Neuwahl des Parlaments am 7.
Juli sogar den Premierminister stellen. Für die Befassung mit der AfD sei da
wenig Raum, schätzen Beteiligte in Brüssel ein. Zumal es zeitlich eng werden
dürfte: Letzte Chance, im Parlament eine Fraktionsgründung bekannt zu geben, ist
eine Woche nach der Frankreich-Wahl – am Tag der konstituierenden Sitzung in
Brüssel, am 16. Juli.

Ziel des Frustes ist daher auch die Führung der AfD um
Tino Chrupalla und Alice Weidel: „Hat die AfD noch einen Funken Restanstand,
verzichtet sie auf diese Krüppelfraktion, räumt parteiintern auf (indem sie
z.B. endlich mal dieses inkompetente Führungsduo in Rente schickt) und macht
sie vorzeigbar für angehende Regierungsparteien“, wird in dem internen Chat
gefordert – gemeint ist etwa die französische RN. 

Damit ist der Ton gesetzt für die Aussprache zum
Bundesparteitag am Wochenende in Essen. Weidel und Chrupalla werden sich Fragen
anhören müssen, warum sie nicht verhinderten, dass die AfD-Delegation Krah
verstieß – obwohl bei der entsprechenden Sitzung beide mit am Tisch waren. Es
wird die Frage aufkommen, warum man den Skandalkandidaten Krah im Wahlkampf
kaltstellte, wo er doch gerade unter jungen Wählern so gut ankomme. Denn die
erhoffte Wirkung blieb aus – das Verhältnis zu Le Pen und den anderen bisherigen
Partnerparteien hat sich nicht entspannt.

Der
Parteispitze könnte eigentlich gelegen kommen, wenn sich bis zum Essener
Delegiertentreffen eine Fraktion gebildet hätte – das Problem wäre vom Tisch,
die Abrechnung kritischer Delegierter mit der Parteispitze könnte milder
ausfallen. Doch dass die AfD im Europaparlament wieder mit ihren bisherigen
Partnern zusammenkommt, ist äußerst fraglich. Am Montag beschloss der
Bundesvorstand nach ARD-Informationen, dass die AfD aus der europäischen
ID-Partei wieder austritt. So eng scheinen die Bande zu Le Pen und den anderen
also nicht mehr zu sein.