„A Killer Romance“ mit Glen Powell: Ein fantastischer falscher Auftragsmörder
Einen Film mit einem Zitat von Friedrich Nietzsche zu beginnen, ist schon mal eine gute Idee. Vor allem wenn in der ersten Szene ein Lehrer damit junge Menschen auf das Leben vorbereiten möchte. „Das Geheimnis, um die größte Fruchtbarkeit und den größten Genuss vom Dasein einzuernten, heißt: gefährlich leben!“, lässt Gary (Glen Powell) seine Klasse wissen. Gary unterrichtet Psychologie an der Universität von New Orleans, stellt sich, nachdem ihn seine Frau verlassen hat, als glücklicher Single vor, interessiert sich für Vögel und nennt seine Katzen Id und Ego. Zur Arbeit fährt er mit einem Honda Civic. Er sei sehr zufrieden gewesen mit seinem Leben, lässt er uns als Erzähler seiner eigenen Geschichte wissen. Auch der Nebenberuf als Techniker für die Polizei habe ihm Freude bereitet. Bis er eines Tages wegen Personalmangels aus dem Überwachungswagen heraus in die Rolle eines falschen Auftragsmörders schlüpfen musste. Doch Gary schlug sich fantastisch. Weshalb er nun, wenn er nicht an der Uni deutsche Philosophen zitiert, als verwanzter Profikiller jene hinter Gitter bringt, die ihn beauftragen.
Man sollte meinen, eine solche Geschichte könnte nur das Kino schreiben – würde sie nicht auf dem wahren (Doppel-)Leben des echten Gary Johnson (1947 – 2002) basieren, das wiederum US-Filmemacher Richard Linklater und Hauptdarsteller Powell zu dem Drehbuch für Hit Man inspiriert hat. Vergangenes Jahr bei den Filmfestspielen von Venedig präsentiert und bereits seit einigen Wochen in Nordamerika auf Netflix zu sehen, hat der Film für seinen deutschen Kinoeinsatz den Titel A Killer Romance verpasst bekommen. Das trifft nicht unbedingt ins Schwarze, denn weder entwickelt sich der sympathische Lehrer in seinem neuen Job tatsächlich zum Killer, noch schenkt Linklater der romantischen Liebe, die Gary bei der Arbeit bald einholt, allzu große Aufmerksamkeit. Dass das erste Treffen mit der schönen Madison (Adria Arjona), die ihren widerlichen Ehemann zu entsorgen wünscht, wie ein Date abläuft, bringt Gary zwar dienstlich und bald privat in die Bredouille, befeuert aber zunächst eine andere Leidenschaft: die Lust an der neuen Identität.
Dass sich Richard Linklater wiederum vom Motiv der Wandelbarkeit fasziniert zeigt, ist wenig überraschend. Seit 30 Jahren gilt der gebürtige Texaner als einer der wichtigsten Vertreter des US-Indiekinos, der im Laufe seiner Karriere nicht nur unzählige Formate und Genres – Drama, Dokumentarfilm, Komödie und Animation – ausprobiert hat, sondern mit seinen Arbeiten aus unterschiedlicher Perspektive wiederholt dieselben scharfsinnigen Fragen stellt: Was ist das Leben außer der Möglichkeit zur steten Veränderung? Und was muss man tun, um diese Möglichkeit als Chance zu begreifen?
Linklater ist nämlich, obwohl seine Filme es auf den ersten Blick nicht vermuten lassen, einer der großen Optimisten des US-Kinos. Selbstverständlich nicht, weil er seine Arbeiten mit einem konventionellen Happy End ausstatten würde (und falls dennoch nötig, wirkt es wie in A Killer Romance so unglaubwürdig wie der Rest). Auch sind seine Drehbücher nicht unbedingt von einer heiteren Grundstimmung gekennzeichnet. Doch Linklaters Arbeiten erzählen stets von einer großen Zuversicht: Das eigentliche Ende ist immer ein Neubeginn. Das Leben ist ein Prozess und prinzipiell offen für jene, die vor ihm nicht die Augen verschließen.
Man kann diese Haltung schon in seinen ersten Filmen wie Rumtreiber (1990) und Confusion (1993) über den letzten Schultag einer Teenagergruppe im Sommer 1976 finden, die längst als moderne Indieklassiker gelten. „Bei seinen ersten vier oder fünf Filmen dachte man vielleicht, man hätte Rick durchschaut“, behauptete Kollege und Freund Quentin Tarantino anlässlich von Linklaters großartigem Dokudrama Boyhood (2014), „aber wir haben uns getäuscht“. In der Langzeitstudie einer über zwölf Jahre alternden, fiktiven Patchworkfamilie konnte man bisher wohl am deutlichsten erkennen, wie Linklater scheinbar festgeschriebene Identitäten – hier innerhalb einer Familie – in Frage stellt, wenn Patricia Arquette, Ethan Hawke und vor allem der junge Ellar Coltrane sich an einer ständigen Neuausrichtung ihres Lebens versuchen. Und selbst in scheinbar harmlosen Romanzen wie der Before-Trilogie (1995 – 2013), in der Ethan Hawke und Julie Delpy nach einer Nacht in Wien und einem Nachmittag in Paris schließlich in einer Ehe mit Zwillingen enden, erzählt Linklater am Ende davon, nicht das zu vergessen, was man im Leben vorhatte – und dass es für einen Neuanfang nie zu spät ist.
Linklaters Botschaft ist relativ simpel: Veränderung ist, was man aus ihr macht. Und genau darin liegt die Schwierigkeit, denn erstens ist das den anderen nicht immer recht, und zweitens muss man vom neu eingeschlagenen Weg auch abweichen können. Das gilt für A Killer Romance ebenso wie für die schwarze Satire Bernie (2011) mit Jack Black als Witwenmörder, die Tragikomödie Bernadette (2019) oder für seine formidablen Animationsfilme Waking Life (2001) und vor allem A Scanner Darkly (2006), in dem sich Keanu Reeves und Winona Ryder in Zeichenfiguren verwandeln. In der Philip-K.-Dick-Adaption gibt es sogar einen „scramble suit“, der das Aussehen buchstäblich augenblicklich verändert – wodurch die Identitäten für den Träger selbst ununterscheidbar werden.
A Killer Romance schlägt als Komödie andere Töne an, und Linklater inszeniert, ganz ohne intellektuelle Eitelkeit und handwerkliche Virtuosität, jede Szene mit derselben Lässigkeit, mit der Gary seine Figuren mit falschen Brillen, Perücken, Zähnen oder Tattoos ausstattet. Dass diese Camouflage irgendwann auffliegen und die Erzählung sich fortan darum kümmern muss, wie Gary seine selbst geschaffenen Probleme löst, versteht sich von selbst. Doch eins steht fest: Ohne den perfekt gespielten Auftragskiller hätte der langweilige Lehrer weniger Potenzial. „Das Selbst ist ein Konstrukt“, steht auf Garys Lehrplan für das nächste Semester.
A Killer Romance Richard Linklater USA 2023, 115 Minuten