Stromausfälle: In Frankreich geht das Licht aus
An die digitalen Türschlösser hatte bislang wohl noch niemand gedacht. „Das ist jetzt nicht im Zentrum der Diskussion“, sagte Xavier Piechaczyk, Chef des französischen Stromnetzbetreibers RTE in einem Radiointerview. Aber während der geplanten Stromausfälle diesen Winter könnten tatsächlich viele Mieterinnen und Mieter, gerade in Paris, nicht die elektrischen Öffner an der Haustüre nutzen. Sie müssten buchstäblich im Dunkeln draußen bleiben. Denn seit diesem Donnerstag ist klar, dass Frankreich konkret damit rechnet, sechs- bis zehnmal in einigen Regionen den Strom kappen zu müssen, um einen noch größeren Blackout zu verhindern. Das Nachbarland hat – ganz unabhängig vom Ukraine-Krieg – ein großes Problem mit seiner Energieversorgung. Rund die Hälfte der 56 Atomkraftwerke kann aufgrund technischer Defekte oder langer Wartungen nicht oder nur teilweise Strom produzieren.
In dieser Woche versandte die Pariser Regierung Anweisungen an die Präfekturen, wie sie ihre Wohnviertel auf mindestens zweistündige Unterbrechungen im Netz vorbereiten sollen. Von jedem einzelnen Stromausfall würden einige Millionen Menschen betroffen sein, sagte RTE-Chef Piechaczyk voraus. Aber sie würden niemals mehr als zwei Stunden anhalten. Die Präfekturen müssten nun Viertel ausmachen, in denen der Blackout am wenigsten Probleme bereitet – ausgespart werden sollen etwa Krankenhäuser, Polizeistationen und Feuerwehren. Wenn all diese Viertel ausgelassen sind, werden noch rund 60 Prozent aller Menschen betroffen sein. Die landesweit rund 4.000 Personen, die in ihrer eigenen Wohnung mit medizinischen Geräten versorgt werden, etwa durch eine Dialyse, würden gesondert benachrichtigt und geschützt.
Abgestellt wird der Strom nicht in einer größeren Region, sondern in vielen kleineren gleichzeitig. Die Karte der schwarzen Flecke dürfte aussehen wie ein Leopardenmuster. Viele öffentliche Angebote werden ausfallen. Schulen werden an dem entsprechenden Morgen geschlossen bleiben, auch die Züge und Metrolinien der Region werden stundenweise gestrichen. Autofahren bleibt zwar erlaubt, allerdings wird es auf den Straßen gefährlicher: Ampeln funktionieren ebenso wenig wie Laternen. Die ausgewählten Viertel werden so in absolute Dunkelheit getaucht sein, schließlich fällt auch die Straßenbeleuchtung aus. „Aber voraussichtlich wird jede Region nur einmal in diesem Winter betroffen sein“, sagte Piechaczyk.
Notrufnummern womöglich außer Betrieb
Noch vor wenigen Monaten war der RTE-Chef für viele ein Unbekannter, heute wird seinen Worten so gelauscht wie denen der Virologen in der Pandemie. Seine Behörde wird schließlich entscheiden, wer und wann in diesem Winter ohne Strom auskommen muss. Schon jetzt gibt sie eine Art Wetterbericht für den Strom heraus – täglich ist zu sehen, ob die Energie knapp wird. Bürgerinnen und Bürger können sich eine App herunterladen, die sie stündlich über den vorhandenen und den benötigten Strom aufklärt.
Aber selbst diese App funktioniert eben im Ernstfall nicht. Internet und Telefon sind ohne Strom nicht zu nutzen. Noch arbeite man daran, dass in den betroffenen Gebieten wenigstens die europäische Notfallnummer 112 anzurufen ist, so die Regierung. Die Generaldirektorin von Frankreichs größtem Telefonanbieter Orange, Christel Heydemann, warnte schon in einer Sitzung vor dem Pariser Senat, dem französischen Oberhaus: „Es ist illusorisch zu glauben, dass wir im Falle eines Stromausfalls unseren Service aufrechterhalten können.“ Auch Notrufnummern würden in den entsprechenden Gebieten nicht funktionieren. Schließlich benötigten auch die Antennen Strom. Heydemann hält es selbst für möglich, dass auch in Regionen mit Strom die Telefonverbindungen ausfallen könnten. Es sei aufgrund der „neuartigen“ Situation nicht vorhersehbar, wie stabil das Netz insgesamt reagiere.
Dass sich Frankreich mit seinen 56 Atomkraftwerken nun in dieser Notlage befindet, ist seiner Strompolitik der vergangenen Jahrzehnte geschuldet. Erneuerbare Energien wurden kaum ausgebaut, obwohl Südfrankreich potenziell günstig Solarstrom herstellen könnte. Dort scheint die Sonne etwa doppelt so viel im Jahr wie in Deutschland. Auch die großen Küstenregionen am Mittelmeer und Atlantik ließ das Nachbarland für Windkraft nahezu ungenutzt. Als einziges Land in der EU hat Frankreich die europaweiten Ziele verfehlt, 20 Prozent seines Bedarfes mit erneuerbaren Energien zu decken.
Auch landesweiter Blackout möglich
Dem gegenüber steht eine der weltweit größten Abhängigkeiten von Atomkraft. Selbst zum Heizen nutzt rund die Hälfte aller Franzosen Strom. Aufgrund des maroden Atomparks hat der staatliche Stromkonzern EDF seine Prognosen über die potenzielle Produktion seiner 56 Meiler zuletzt immer wieder herunterschrauben müssen. Im Januar werden voraussichtlich nur 65 Prozent des üblicherweise produzierten AKW-Stroms zur Verfügung stehen. Ohne Importe aus benachbarten Ländern wie Deutschland wäre Frankreich schon in den milderen Monaten nicht fähig gewesen, seinen Bedarf zu decken. „Wir haben das ganze Jahr über Strom importiert und werden jetzt im Winter von allen umliegenden Ländern massiv Strom einkaufen – aus Deutschland, Großbritannien, Italien, den Beneluxländern und Spanien“, sagte RTE-Chef Piechaczyk.
Laut der Tageszeitung Le Monde würden in den Ministerien selbst für einen totalen Blackout Konzepte entwickelt, obwohl diese Möglichkeit für unwahrscheinlich erachtet würde. Sollte es trotz aller Planungen zu einem ungewollten Stromausfall kommen, dann könnte dies tatsächlich das gesamte Stromnetz Europas gefährden. Wenn die Verbraucherinnen und Verbraucher mehr Strom einfordern, als das Netz hergibt – durch das Einschalten von Heizöfen, Flachbildschirmen, Produktionen in Fabriken –, droht das gesamte System zusammenzubrechen.
Piechaczyk möchte aber auch Optimismus verbreiten. Wenn das französische Volk fleißig Strom spare, könnte der Ausfall noch verhindert werden. Selbst dann, wenn in bestimmten Regionen schon die Alarmstufe gelte, könnte diese bei einer drastischen Drosselung des Bedarfs wieder zurückgenommen werden. Allerdings sieht es bislang nicht danach aus, als würden Französinnen und Franzosen sich angesichts der unheilvollen Prognosen zurücknehmen. Bislang sank der Stromkonsum nur um lediglich ein Prozent. Notwendig seien insgesamt aber rund zehn Prozent.
Nur eine Region in Frankreich wird den Winter in jedem Fall ohne geplanten Stromausfall verleben: Korsika. Die Insel im Mittelmeer bezieht ihren Strom aus dem benachbarten Italien.