Ozeane ohne Plastik: Müllsammler mit Vision

Boyan Slat hat sich eine unmöglich scheinende Aufgabe vorgenommen. Doch daran arbeitet er schon so lange und mit so großer Beharrlichkeit, dass sie doch wieder bewältigbar erscheint. Der Niederländer will die Weltmeere vom Plastikmüll befreien. Er hat Gerätschaften entwickeln lassen, mit denen sich die Plastikberge der Ozeane einsammeln lassen oder die den Zustrom des für Ökosysteme gefährlichen Materials verhindern. Und obwohl er in eineinhalb Jahrzehnten Einsatz gemerkt hat, dass es nur in Trippelschritten vorangeht, sagt er: „Das ist ein No-Brainer, das billigste globale Pro­blem, das man lösen kann.“

Als Teenager schnorchelte er an der griechischen Küste und störte sich bald daran, dass er mehr Plastik als Fische sah. Das wurde zum Erweckungserlebnis, das ihn früh zum Unternehmer und Erfinder machte. „Der Kern dessen, was wir tun, ist wissenschaftliches Wissen und die beste Technik zu finden“, sagt er über die Arbeit seiner nicht gewinnorientierten Organisation The Ocean Cleanup mit Sitz in Rotterdam.

Diese Aufgabe ist alles andere als trivial. Zunächst überzeugte Slat Dutzende von Fachleuten, die vor gut zehn Jahren in einer Machbarkeitsstudie zu dem Ergebnis kamen, dass das Vorhaben lohnend sein könnte. Schiffe sollten aufs Meer hinausfahren und mit breiten Fangarmen große Mengen des Plastikmülls, der auf dem Wasser treibt, einsammeln und so verhindern, dass der Müll zu Mi­kroplastik zerfällt.

Am Anfang tat sich das Team mit der richtigen Technik schwer

Unter großem Medienwirbel wurde ein Jahr später ein erster Prototyp ins Meer geschickt. Doch die Technik war noch nicht ausgereift und erreichte nicht die angestrebten Ziele des jungen Non-Profit-Unternehmers. „Es brauchte einige Schritte, bis wir ein System gefunden haben, das funktionierte. Das erste scheiterte, das zweite war nicht skalierbar, das dritte funktionierte“, sagt Slat in einem Videogespräch mit der F.A.Z.

Es dürfte diese Unerschütterlichkeit als Unternehmer sein, die auch Geldgeber immer wieder überzeugt, in die nächste Generation der Technik zu investieren. Nach einigen Versuchen stellte sein Team überdies fest, dass entscheidend für das Müllaufkommen nicht die Mengen an den Küsten sind, sondern der stete Zuwachs aus den Flüssen eingedämmt werden müsse, wenn man das Problem beheben will. Das sei kein Strategiewechsel gewesen, sondern eine Erweiterung des Aktionsfeldes, sagt Slat. „Die oberste Priorität ist, dass kein Plastik mehr ins Meer gerät. Damit allein werden wir aber noch keine sauberen Ozeane erreichen“, sagt er.

Die Auseinandersetzung mit den Flüssen kommt wieder einem unternehmerischen Trial and Error gleich. Mit wissenschaftlichen Studien tastete sich das wachsende Team an das Thema heran. Schon im Jahr 2017 konnte es eine Arbeit vorlegen, die wenig später auch von der akademischen Forschung unterstützt wurde: Demnach hätten zehn Flüsse auf der Welt etwa 90 Prozent des Plastikmülls in die Meere getragen. Daraufhin entwickelte The Ocean Cleanup spezielle Fangarme, die in Flüssen installiert wurden und dort den Zustrom aufhalten sollen. Doch auch hier zahlten Slat und seine Leute nach und nach Lehrgeld.

Der Müll sammelt sich an verschiedenen Stellen eines Flusssystems

„Die Wahrscheinlichkeit ist sehr gering, dass ein Stück Plastik vom Himalaja bis zum Indischen Ozean verfolgbar ist“, sagt er. Tatsächlich sei der Zustrom der Abfälle komplexer und beziehe ganze Flusssysteme ein. Riesige Metropolen des indischen Mumbai seien dann Kulminationspunkte. Das mache es notwendig, mit lokalen Verantwortlichen in den Austausch zu treten. „Jede Regierung ist im Gespräch erst einmal begeistert und erkennt die Größe des Problems an“, sagt Slat.

Doch in der Umsetzung werde es kompliziert: Es gelte, Sicherheitsfragen zu klären, Berechtigungen auszuhandeln, lokale Partner für den Betrieb der Geräte zu finden, Qualitätskontrollen effizient zu gestalten, was angesichts der zunehmenden Dimension des Projekts herausfordernd sei.

Obwohl die Entwicklung nie zuvor eingesetzter Techniken einem Auf und Ab gleicht, gelingt es Slat nach eigener Auskunft, Geldgeber weiter bei Laune zu halten. „Wir haben sie immer so behandelt, als wären sie selbst Teil des Projekts“, sagt er. Es habe gedauert, aber sie könnten inzwischen erkennen, dass sich ihr Risiko lohne. Wer sich finanziell beteiligt, kann dies in seiner Außendarstellung für Imagezwecke nutzen. Immer noch kontaktierten ihn neue Unternehmen, die sich dafür interessierten, The Ocean Cleanup zu fördern.

Besseres Abfallmanagement wäre erstrebenswert

Eine einfache Skalierung, wie sie unternehmerische Start-ups anstreben, ist für Slat und seine Leute nicht so einfach. „Jeder Fluss ist anders“, sagt er. Von der Breite über die Fließgeschwindigkeit bis zur Form der Mündungen unterschieden sich die Gegebenheiten. Und der Abfall, der herausgefischt werde, ist zum Teil zu verschmutzt, um ihn zu recyceln. Durch die intensive Auseinandersetzung mit all den Details sei sein Forschungsteam inzwischen international führend darin, neues Wissen zu erzeugen.

Sein Erlebnis im griechischen Meer liegt inzwischen bald 15 Jahre zurück, Slat wirkt mit Anfang 30 immer noch jugendlich, aber in seinen Enthusiasmus mischt sich die Erfahrung eines Unternehmers, der viel Geld eingesetzt hat, einige Male gescheitert, aber gerade dadurch wieder vorangekommen ist. Ob die Arbeit nicht manchmal vergeblich wirke, wenn Regierungen, die einem Zugeständnisse machten, dann doch keine funktionierende Müllentsorgung aufbauten?

Natürlich wäre ein besseres Abfallmanagement erstrebenswert, sagt der Non-Profit-Unternehmer. Aber die Dinge entwickelten sich nur langsam, in der Zwischenzeit gelte es zu handeln. Er erinnert an das zurückliegende Gespräch mit der F.A.Z. vor vier Jahren. Damals sei es gelungen, 780 Tonnen Abfall im Jahr einzusammeln, in diesem Jahr seien es 24.000 Tonnen – 32-mal so viel. Heute sammle The Ocean Cleanup in eineinhalb Wochen so viel ein wie damals in einem ganzen Jahr. „Heute wissen wir, was wir skalieren müssen“, sagt er und klingt deutlich gereift. „Wir brauchen noch fünf weitere Verdopplungen, um das Problem zu lösen. Also lass uns weiter verdoppeln.“ Und nun klingt er wieder ganz wie der jugendliche Visionär.