Der Steuertipp: Das Testament kommt mit Verspätung

Streit zwischen Hinterbliebenen ist leider keine Ausnahme. Oft wird ein Testament angefochten, insbesondere wenn es erst lange nach dem Tod aufgefunden wird. Dann stellen sich viele steuerliche Fragen, wie ein kürzlich vom Bundesfinanzhof (BFH) entschiedener Fall zeigt.

Die dortigen Richter hatten sich mit der Frage zu beschäftigen, wann die vierjährige Festsetzungsfrist für die Erbschaftsteuer zu laufen beginnt, wenn erst Jahre nach Erteilung eines Erbscheins ein Testament gefunden wird (Urteil vom 4. Juni 2025, II R 28/22). Diese Frist beginnt nicht vor Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Er­be oder Vermächtnisnehmer Kenntnis von seinem Erwerb erlangt. Im Streitfall klagte ein nach dem Tod seiner Tante im Jahr 1988 verbliebener Neffe gegen einen im Jahr 2010 erlas­senen Erbschaftsteuerbescheid. Da zunächst kein Testament auffindbar war, wurde im Jahr 1989 ein Erbschein erteilt, der vom Eintritt der gesetzlichen Erb­folge ausging und den Kläger und seine Schwester zu gleichen Teilen als Erben auswies. Dieser Erbschein war Grund­lage eines im Jahr 1994 erlassenen Erbschaftsteuerbescheids.

Erst im Jahr 2003 wurde ein Testament der Tante gefunden, in dem sie ihren Neffen als Alleinerben eingesetzt hatte. Das Nachlassgericht kündigte im Jahr 2007 mit einem Vorbescheid an, dem Kläger einen Erbschein als Alleinerben er­teilen zu wollen. Die von der hierdurch enterbten Schwester des Klägers angestrengten Rechtsmittel blieben erfolglos, sodass im Oktober 2009 ein Erbschein erteilt wurde, der den Neffen als Alleinerben auswies.

Im Jahr 2010 erließ das Finanzamt einen geänderten Erbschaftsteuerbescheid zulasten des Neffen. Der Neffe war aber trotz dieses Bescheids weiter der Ansicht, die Festsetzungsfrist sei bereits abgelaufen, da er bereits im Jahr 1989 mit Erteilung des ersten Erbscheins die erforderliche Kenntnis seiner Erbenstellung erlangt habe.

Der Bundesfinanzhof folgte dieser Ansicht nicht und entschied, dass die Festsetzungsfrist nicht bereits mit der Kenntnis der gesetzlichen Erbfolge begann, sondern erst mit der sicheren Kenntnis vom tes­tamentarischen Erwerb. Diese liegt vor, wenn das Nachlassgericht im Erbscheinverfahren die Wirksamkeit des Testaments bestätigt, und der Erbe davon ausgehen kann, dass das Testament rechtsgültig ist.

Ein verworrener Streit

Die Anfechtung dieser Entscheidung durch enterbte Hinterbliebene ist unerheblich, sofern diese nicht erfolgreich ist. Im Streitfall war dies im Jahr 2007, als das Nachlassgericht den Vorbescheid erließ. Wird also nach dem Erlass eines Erbscheins ein (neueres) Testament aufgefunden, aus dem sich ei­ne abweichende Erbfolge ergibt, beginnt die Frist neu zu laufen.

Das Urteil des Bundesfinanzhofs zeigt, dass Änderungsbescheide auch viele Jahre nach dem Erbfall ergehen können, sofern die Kenntnis vom konkreten Rechtsgrund des Erwerbs erst später erlangt wird. Ein no­tarielles Testament löst diese Herausforderung nicht zwingend. Denn auch dieses kann durch ein späteres handschriftliches Testament ersetzt werden. Es ist daher grundsätzlich nie ausgeschlossen, dass ein neueres Testament aufgefunden wird.

Der Fund eines Testaments muss daher nicht nur zivilrechtlich, sondern auch steuerrechtlich umfassend gewürdigt werden. Denn ungeachtet der Festsetzungsfrist muss jede Erbschaft innerhalb von drei Monaten nach Kenntniserlangung dem Finanzamt gegenüber angezeigt werden.

Der Autor ist Rechtsanwalt, Steuerberater und Partner bei EY.

Source: faz.net