Britischer Autohersteller: Ein Horrorjahr z. Hd. Jaguar

Das Motto „Copy Nothing“ des Jaguar-Gründers Sir William Lyons soll das Unternehmen stolz machen: Niemanden nachmachen, einzigartig sein, das will der Autohersteller. Was Jaguar Land Rover (JLR) in den vergangenen zwölf Monaten widerfahren ist, ist gewiss einzigartig. Nachmachen will es bestimmt niemand.
Der Autokonzern aus Whitley nahe Coventry wurde in einem Maße von Unglück, Pleiten und Pech verfolgt wie kaum ein anderer: Donald Trumps Zölle, ein beispielloser Angriff von Hackern – und zusätzlich die Unsicherheit um den kommenden Elektro-Jaguar, dessen Marketingkampagne und Vorstellung für Wut und Spott bei vielen Jaguar-Fans sorgten. Nach Meinung vieler hat Jaguar hier selbst einiges falsch gemacht.
Nicht verantwortlich war das Unternehmen für Trumps Zollhammer. Der Export in die USA kam von April an zunächst fast komplett zum Erliegen. Die Gesamtverkäufe des Unternehmens brachen im zweiten Quartal um 15 Prozent ein. Neben den Zöllen lag das auch daran, dass JLR fast keine Jaguar-Benziner als Neuwagen mehr verkauft. Die Zollkrise währte nur knapp drei Monate.
Hackerangriff verursacht riesigen Schaden
Nachdem die Londoner Regierung mit Trump ein Handelsabkommen mit günstigeren Zollsätzen vereinbart hatte, sprang der Export im Juli wieder an. Doch die Freude bei JLR währte nur kurz. Ende August wurde das zum indischen Tata-Konzern gehörende Unternehmen Opfer eines verheerenden Cyberangriffs.
Unbekannte Hacker gelangten in das globale IT-System von JLR und legten es wochenlang komplett lahm. Schatzkanzlerin Rachel Reeves beklagte den „größten Cyberangriff, den dieses Land je erlebt hat“. Und die Attacke verursachte auch den größten wirtschaftlichen Schaden, den jemals Hacker in der englischen Geschichte bewirkten, wie das Cyber Monitoring Centre feststellte.
Mehr als sechs Wochen, bis Mitte Oktober, musste die Produktion in allen Werken von Jaguar Land Rover stillstehen, während die IT-Fachleute fieberhaft versuchten, den Schaden zu beheben. Ein Großteil der rund 40.000 Mitarbeiter des Konzerns und noch viele Tausende mehr bei Zulieferern wurden in Zwangsurlaub geschickt. Laut dem Cyber Monitoring Centre waren 5000 Unternehmen und Institutionen von dem Angriff auf JLR mitbetroffen.
Regierungsgarantien für einen Notkredit
Den volkswirtschaftlichen Schaden schätzte es auf etwa 1,9 Milliarden Pfund (2,2 Milliarden Euro). Durch die erzwungene Pause beim größten Automobilhersteller des Vereinigten Königreichs fiel die britische Autoproduktion auf das niedrigste Niveau seit 1952. Damit nicht reihenweise Zulieferer insolvent wurden, stellte die Regierung Garantien für einen Notkredit von 1,5 Milliarden Pfund zur Verfügung.
JLR selbst hat einen Verlust von fast 500 Millionen Pfund im dritten Quartal verbucht. Knapp 200 Millionen Pfund davon gingen auf „außergewöhnliche“ Belastungen zurück, die direkt mit der Hackerattacke zusammenhängen. Der Umsatz fiel um 24 Prozent auf noch knapp fünf Milliarden Pfund. Die Gewinnprognose wurde scharf gesenkt. JLR erwartet nun für das Gesamtjahr nur noch eine operative Marge von null bis zwei Prozent, zuvor waren sieben bis neun Prozent prognostiziert.
Der scheidende JLR-Vorstandschef Adrian Mardell wirkte Mitte November immerhin sichtlich erleichtert, dass nun die Bänder wieder laufen. „Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass die Produktion aller unserer Luxusmarken wieder aufgenommen wurde.“ Mardell ist nun aber selbst Geschichte.
Zum ersten Mal ist ein Tata-Manager Chef
Das Lenkrad bei JLR hat ein Inder, der Tata-Finanzvorstand P. B. Balaji, übernommen. Er wurde vom Tata-Verwaltungsratschef Natarajan Chandrasekaran persönlich ausgewählt. Es ist das erste Mal, seit der indischen Mischkonzern im Jahr 2008 Jaguar und Land Rover von Ford übernahm, dass ein Tata-Manager in Whitley bei Coventry direkt den Vorstandsvorsitz übernimmt. Balaji soll den britischen Traditionskonzern in einer schwierigen Phase wieder auf Kurs bringen.
Zwar ging es Jaguar Land Rover – gesamtgeschäftlich gesehen – bis voriges Jahr gar nicht so schlecht. Im vergangenen Geschäftsjahr (bis Ende März 2025) hat JLR mit 2,5 Milliarden Pfund Gewinn vor Steuern – ein Plus um 15 Prozent zum Vorjahr – sogar das beste Ergebnis seit einem Jahrzehnt erzielt. Fast 430.000 Fahrzeuge hat JLR im abgelaufenen Geschäftsjahr verkauft. Doch dazu trugen fast nur noch die Marken Range Rover und Land Rover bei. Die margenstarken SUV-Fahrzeuge von Land Rover und die beliebten Geländewagen-Modelle Defender und Discovery von Range Rover verkaufen sich gut.
Die einst so glänzende Marke Jaguar ist dagegen schon seit Längerem im Abwärtstrend. Im Rekordjahr 2018 hatte Jaguar 181.000 Wagen verkauft, im Geschäftsjahr 2024 waren es 33.000 und im Geschäftsjahr bis März 2025 nur noch knapp 27.000. Die alten Jaguar-Modelle laufen aus. Dieses Jahr produzierte Jaguar gar nichts mehr und verkauft praktisch gar keine Neuwagen mehr. Unter Autohändlern kursiert der Witz, JLR heiße eigentlich „Just Land Rover“.
Schwieriger Übergang zur Elektromobilität
Jaguar steckt mitten im schwierigen Übergang zu einer ausschließlich elektrischen Automarke, den Mardell angestoßen hat. Damit wagt die Traditionsmarke einiges. Unter dem Motto „Copy Nothing“, das der langjährige Chefdesigner Gerry McGovern wie eine Gebetsmühle bemühte, wollte man ein einzigartiges neues Fahrzeug schaffen.
Aber was dann folgte, haben Marketingfachleute als mittlere Katastrophe bezeichnet. Ein Werbevideo zum Markenrelaunch, vor gut einem Jahr veröffentlicht, erregte die Gemüter der Nation und erntete viel Spott. In dem 30-Sekunden-Video war kein einziges Auto zu sehen, dafür grell geschminkte und frisierte Models verschiedener Hautfarben und undefinierbarer Gender, die sich seltsam in einer Mondlandschaft bewegten. Die Botschaft: „Delete Ordinary“. Das Video wurde als Verbeugung vor einem „woken“ Zeitgeist interpretiert, der vielen traditionellen Jaguar-Kunden gegen den Strich geht.
Besonders die britische Boulevardpresse war voll mit wutschäumenden Kommentaren. Das Video erzielte auf Youtube rund 5,2 Millionen Ansichten, darunter sammelten sich fast 49.000 Kommentare, zu 90 Prozent negative. Sogar der US-Präsident Trump wetterte: „Totales Desaster“ (natürlich in Großbuchstaben).
Neues Design provoziert alte Fans
Als Adrian Mardell wenige Monate später seinen Rückzug von der Konzernspitze verkündete, kommentierte Trump ätzend: „Der CEO ist gerade unter Schimpf und Schande zurückgetreten, das Unternehmen befindet sich in einer absoluten Krise.“ Zwar weist die JLR-Spitze diese Interpretation zurück, doch war auffällig, dass kurz nach Mardells Abgang auch Chefdesigner McGovern seinen Hut nehmen musste.
Der von ihm entworfene Prototyp des neuen Elektro-Jaguars mit dem Namen „Type 00“, den sie auf der Miami Art Week präsentierten, traf nicht jedermanns Geschmack. Viele, die mit Jaguar elegante Sportwagen wie den legendären E-Type verbinden, kritisierten das neue Elektroauto als zu wuchtig, klobig und schwerfällig. Das neue Design empfanden viele alte Fans der Marke als Provokation. Marken-Chef Rawdon Glover sagte dazu in einem Interview: „Wir wollen nicht, dass alle sagen: ‚Das ist schön.‘ Ich denke, großartiges Design muss polarisieren.“ Auch er wiederholte den alten Satz von Gründer Sir William Lyons „Copy Nothing“.
Im 90. Jahr ihres Bestehens geht die Marke Jaguar damit komplett neue Wege: Auch preislich macht sie einen Sprung. Das neue Modell wird wohl mindestens doppelt so teuer wie die bisherigen Jaguar-Fahrzeuge. Mussten Kunden für diese durchschnittlich etwa 65.000 Euro zahlen, dürfte der neue wuchtige Elektro-Jaguar wohl beim Doppelten, also etwa 130.000 Euro, liegen. Marken-Chef Glover nannte kürzlich 130.000 Dollar als Orientierung für die viertürige Limousine.
Reichere Kunden, auch in Asien
Von einer „strategischen Neupositionierung von Jaguar im elektrischen Luxussegment“ ist die Rede. Jetzt zielt die Marke auf sehr viel reichere Kunden, auch in Asien. Derzeit sind 150 Prototypen des neuen Elektro-Jaguars weltweit im Einsatz. Die Batterien sollen maximal 770 Kilometer Reichweite garantieren. Für eine kleinere Reichweite von gut 300 Kilometern soll die Ladezeit nur eine Viertelstunde betragen.
JLR tüftelt noch an allen technischen Details und Finessen des Luxusfahrzeugs, das im Werk Solihull produziert werden wird. Finanzvorstand Richard Molyneux wollte vor Kurzem noch kein Datum für die Markteinführung nennen. „Wir werden ihn einführen, wenn er perfekt ist.“ Erwartet wurde, dass der neue wuchtige E-Jaguar im Sommer 2026 oder Herbst 2026 auf den Markt komme.
Aber auch das verzögert sich noch mal. Kurz vor Weihnachten teilte ein Sprecher der F.A.Z. auf Nachfrage mit, dass das neue Serienfahrzeug erst Anfang 2027 auf den Markt eingeführt werde. Die Jaguar-Durststrecke dauert also noch an.