Rolf Zuckowski: „Ich glaube, ‚At The Christmas Bakery‘ könnte noch ein Hit werden“
Alle feiern Christmas,
und niemand mehr Weihnachten. Jedenfalls entsteht dieser Eindruck, wenn man auf
die aktuellen Musikcharts guckt: Die ersten 19 Plätze werden von englischen
Weihnachtssongs belegt. Erst der 20. Platz geht an ein deutsches Lied: „In der
Weihnachtsbäckerei“ von Rolf Zuckowski. Seit knapp 40 Jahren behauptet er sich
gegen die amerikanische Konkurrenz.
Verändert es eigentlich unser Weihnachtsfest,
wenn wir es nur noch auf Englisch besingen? Und sollte man die kleckernden „Knilche“
heute nicht besser gendern?
Um diese Fragen zu beantworten, treffen wir uns in
einem gediegenen Club am Hamburger Hafen. Zuckowski, 78 Jahre alt, wirkt in
seinem blauen Jackett und seiner blauen Weste selbst sehr gediegen. Auf den
Lippen trägt er das gütigste Lächeln der Elbe. Wann immer es um eines seiner
Lieder geht, stimmt er sofort die erste Strophe an.
DIE ZEIT: Herr Zuckowski, ich war neulich auf einer Adventsfeier,
auf der gemeinsam Plätzchen gebacken wurden. Als In der Weihnachtsbäckerei
lief, konnten alle mitsingen: die kleinen Kinder, ich Endzwanziger und die
Eltern auch. Würden Sie sagen, dass der Song inzwischen ein Volkslied geworden
ist?
Rolf Zuckowski: Also, im musikwissenschaftlichen Sinne werden ja Volkslieder erst so
genannt, wenn der Autor nicht mehr lebt. Aber dass sich die Weihnachtsbäckerei
auf dem Weg dorthin befindet, kann man schon sagen. Das Lied wird meiner
Wahrnehmung nach jedes Jahr noch ein bisschen beliebter.
ZEIT: Dieser Erfolg ist in gewisser Hinsicht eine
Anomalie – ansonsten wird ja in Deutschland vor allem englischsprachige
Weihnachtsmusik aus den USA gehört. Wie haben Sie es als deutscher Liedermacher
geschafft, den Amerikanern etwas entgegenzusetzen?
Zuckowski: Das war überhaupt nicht meine Ambition. Ich wollte
damals einfach meine adventliche Stimmung musikalisch ausdrücken. Der riesige
Erfolg hat vielleicht damit zu tun, dass sich das Lied eben nicht nur an Kinder
richtet. Auch viele Erwachsene werden ja in der Adventszeit wieder ein bisschen
zum Kind.
ZEIT: Also ging es Ihnen nicht darum, an Weihnachten
auch mal ein deutsches Lied im Radio zu hören?
Zuckowski: Nein. Aber mein Geburtstagslied – Wie schön, dass du geboren
bist – habe ich komponiert, nachdem ich zum zweiten
Mal Vater geworden war und mich fragte, warum wir eigentlich unsere Kinder
immer auf Englisch mit Happy Birthday besingen.
ZEIT: Verändert es denn Feste wie Weihnachten oder
Geburtstage, wenn wir sie nicht mehr in unserer eigenen Sprache begehen?
Zuckowski: Ich glaube, die entscheidende Frage ist eine ganz
andere: Wie verändern sich unsere Feste dadurch, dass auf ihnen generell – egal
ob nun auf Englisch oder auf Deutsch – weniger gesungen wird? Das
gemeinschaftliche Singen ist ja ein Grundstein unserer Kultur, dabei entsteht
eine höhere Stimmung, die uns als Gesellschaft zusammenbringt. Schon Luther hat das hervorgehoben.
Dieses Ritual scheint mir nicht mehr so beliebt zu sein.
ZEIT: Ob wir nun singen oder mithören: Offenbar gibt es
in Deutschland ein großes Bedürfnis nach englischsprachiger Weihnachtsmusik.
Ansonsten ist das restliche Jahr über ja beispielsweise Deutsch-Rap prominenter
in den Charts vertreten.
Zuckowski: Zunächst einmal eignet sich die englische Sprache
vielleicht besser für populäre Musik, weil sie
weicher und geläufiger klingt. Vor allem aber glaube ich, dass wir englische
Weihnachtslieder so sehr mögen, weil sie ein wohliges Hintergrundklangbild
erzeugen, ohne dass man eine Botschaft vernehmen muss. Bei deutschen Texten
hört man dagegen unweigerlich intensiver zu, man muss sich mit ihren Inhalten
auseinandersetzen. Je christlicher die Botschaft ist, desto mehr wird man
herausgefordert, sich zu seinem Glauben Gedanken zu machen – und das kann
natürlich anstrengend sein. Es ist kein Zufall, dass meine beiden
erfolgreichsten „Weihnachtslieder“ – die Weihnachtsbäckerei
und Es schneit
– in Wahrheit gar keine Weihnachtslieder sind.
ZEIT: Was denn sonst?
Zuckowski: Das eine ist ein Back-, das andere ein Schneelied!
ZEIT: Das müssen sie mir erklären.
Zuckowski: Beide Lieder behandeln eine vorweihnachtliche,
ganz weltliche Euphorie. Ein Weihnachtslied hingegen erzählt von der Geburt
Christi und von der Hoffnung, die damit verbunden ist. Im Idealfall
verdeutlicht uns so ein Lied, dass es größere Dinge und Zeitbögen in der Welt gibt
als unser Menschenwerk.
ZEIT: In Ihren religiöseren Weihnachtsliedern wie Wär
uns der Himmel immer so nah oder Zeit
der Wunder spielt sich Ihr christlicher Optimismus vor dem Hintergrund
einer großen Wehmut ab: Sie singen von tauben Ohren, die sich endlich öffnen
und harten Herzen, die sich erweichen. Sind Sie insgeheim ein Melancholiker?
Zuckowski: Eine gewisse Melancholie steckt, glaube ich, in
vielen meiner Lieder. Ich komponiere zwar selten in Moll, aber meine Melodien
haben trotzdem häufig eine etwas dunklere Einfärbung. Vielleicht zeigt sich da das
musikalische Erbe meiner ungarischen Wurzeln mütterlicherseits;
dort hat die Volksmusik ja häufig eine emotionale Zweideutigkeit. Das Leben hat
es zwar bislang sehr gut mit mir und meiner Familie gemeint. Aber wenn ich
sehe, was andere Menschen beispielsweise im Ukrainekrieg
erleiden müssen, komme ich schon ins Grübeln.
ZEIT: Erschüttert solches Leid Ihren Glauben?
Zuckowski: Ich bin zweifellos Christ in dem Sinne, auf den
Spuren Christi zu wandeln. Ich orientiere mich daran, was Jesus bewirkt hat,
wie er gelebt hat, was von ihm bleibt: Fürsorge, Hoffnung, Nächstenliebe. Mit
Gott dagegen ist es schwieriger. Dazu gibt es eben zu viele Menschen, die, wie es scheint, von ihm verlassen wurden. Meinen ganz
persönlichen Gott habe ich jedenfalls noch nicht
gefunden.
ZEIT: Sie klingen viel differenzierter und
melancholischer, als man es von dem Kinderspaßmacher erwarten würde, als der
Sie gelten. Stört es Sie eigentlich, dass die Öffentlichkeit so ein oberflächliches
Bild von Ihnen hat?
Zuckowski: Nein. Der fröhlichere Teil meines Repertoires ist
ja nun einmal der bekanntere, das kann ich niemandem vorwerfen.