„Dinner For One“-Prequel: Mit wem sitzt Miss Sophie wirklich am Tisch?
„Dinner For One“ am 31. Dezember im Dritten Programm, das ist für viele TV-Zuschauer Tradition. Mit dem Jahresende hatte das vom NDR produzierte Zwei-Personen-Stück „Der 90. Geburtstag oder Dinner For One“ allerdings ursprünglich so viel zu tun wie Butler James (Freddie Frinton) mit den Anonymen Alkoholikern. Einst eine Bühnenproduktion, die in London von 1948 an zu sehen war, lief der unverwüstliche Sketch zum ersten Mal am 8. März 1963 in der Unterhaltungsshow „Guten Abend, Peter Frankenfeld“. 1962 hatten Peter Frankenfeld und Regisseur Heinz Dunkhase den britischen Komiker Freddie Frinton in Blackpool aufgesucht, um ihn für die deutsche Fernsehversion zu gewinnen, erfährt man beim Sender.
Es heißt, dass Frinton zwar einwilligte, sich aber weigerte, Deutsch zu sprechen, und so auf Englisch aufgezeichnet werden musste. May Warden, die Miss Sophie, hatte anders als Frinton schon viele Male zuvor in dieser Rolle auf der Bühne gestanden, nun aber mit 71 Jahren ihren ersten Fernsehauftritt. In „Dinner For One“ des NDR kämpft sie sich mit jahrzehntelanger Routine durch Mulligatawny-Suppe, Fisch, Geflügel und Obst, während ihr ihr treuer Butler achtzehnmal in der Rolle vierer imaginärer Herren mit Sherry, Weißwein, Champagner und Port stellvertretend zuprosten muss und dabei immer betrunkener wird.
Von ihren Rollen berauscht
Das verstanden die Zuschauer auch ohne Fremdsprachenkenntnisse, nicht zuletzt durch das perfekte Spiel-Timing Frintons. Zum Erfolg trug bei, dass vor einem Livepublikum aufgezeichnet wurde, das je hemmungsloser lacht, je mehr des Butlers steife Manieren sich in Slapstick auflösen. Wer aber sind jene längst verstorbenen Sir Toby, Mr. Winterbottom, Admiral von Schneider und Mr. Pommeroy, für die in „Dinner for One“ gedeckt ist? Woher kommt die Tradition, dass sich alle an Miss Sophies Geburtstag versammeln und die Gratulantin mit rauen Mengen von Alkohol ins neue Lebensjahr geleiten? Die Amazon-Prime-Serie „Miss Sophie – Same Procedure As Every Year“ erfindet nun in sechs Folgen eine Vorgeschichte. Das Prequel basiert auf dem Buch „Dinner For One – Killer For Five“ von Michael Koglin (Drehbuch Tommy Wosch und Dominik Moser, Regie Markus Sehr und Daniel Rakete Siegel).
Man erwarte passenderweise keinen subtilen Humor, sondern Herrenwitze im Agatha-Christie-Landhauskrimi-Ambiente. Eine Sketchparade, die mit wachsendem eigenem Alkoholkonsum immer lustiger werden könnte, statt feiner Ironie. Wer an Fake-Akzenten Gefallen findet und die vermeintlichen Brüller und Zoten der ersten Folgen einigermaßen übersteht, könnte sich zum Schluss freilich unter Niveau gut unterhalten haben. Was an den Sottisen liegt, die spätere Folgen würzen, oder an unerwarteten Auftritten wie dem von Pablo Picasso, der von Miss Sophies freigeistiger Haltung bitter enttäuscht ist. Als seine Muse tauge sie gar nichts, so sein Fazit. Vor allem aber liegt der zu überschauende Unterhaltungswert an den begeisterten und von ihren Rollen berauschten Schauspielern, allen voran Alicia von Rittberg als junge Miss Sophie.
Sodom und Gomorrha
Wir schreiben das Jahr 1911. Die adelige Miss Sophie ist heimlich mit James (Kostja Ullmann) verbandelt, dem unstandesgemäßen Sohn des Butlers Mortimer (Ulrich Noethen). Die Nacht ihres 21. Geburtstags verbringt sie mit dem Geliebten, beide fliegen auf und der Domestike hochkant raus. Während Sophie zur Strafe ihre Eltern (Max von Pufendorf und Britta Hammelstein) nicht auf die Jungfernfahrt der Titanic begleiten darf, verschwindet James heimlich, zeichnet sich später im Ersten Weltkrieg aus und wird Kammerdiener des Königs (Wotan Wilke Möhring).
Fast forward in die Zwischenkriegszeit. Waise Miss Sophie ist pleite, wie ein Unglücksrabe steht Bankier Thinwhistle (Michael Kessler) vor der Tür und droht mit Pfändung. Sophies Plan: Reich heiraten. Bei einem Empfang bei Hof lädt sie Immobilienmogul Mr. Winterbottom (Frederick Lau), Admiral von Schneider (Christoph Schechinger), den Champagnererben Mr. Pommeroy (Moritz Bleibtreu), den US-Magnaten Sir Toby (Jacob Matschenz) und den feurig-schwermütigen ungarischen Grafen Szabos (Vladimir Korneev) auf ihren Landsitz ein. Was die Herren nicht ahnen: In diversen Wettbewerben sollen sie hier über mehrere Tage um Sophies Hand eifern.
James, den sie im Buckingham Palace wieder getroffen hat, reist als Butler mit aufs Land und verpasst so ein Duell mit dem Bruder des Königs (Sönke Möhring). Am englischen Hof spielt man derweil Sodom und Gomorrha, und die Königinmutter gibt nach dem zehnten Sherry versautes Liedgut zum besten. Alles Weitere entspinnt sich als albern-frivole Mischung aus „Downton Abbey“, „Sketch History“, der „Bachelorette“, beliebiger Whodunit-Krimis und dem reizend überspannten Bild der Jahrzehnte überdauernden, allen Unbilden des Lebens trotzenden, wahren Liebe zwischen Miss Sophie und Butler James. Am Ende steht die Erfindung des Silvester-Rituals, das seit 1963 im deutschen Fernsehen denselben Ablauf wie immer vollzieht. „Miss Sophie“ wird man entweder für gänzlich überflüssig halten oder für geeignet, die Zeit zwischen den Jahren ohne massive Anstrengung zu verbringen.
Miss Sophie – Same Procedure As Every Year läuft ab Montag, 22. Dezember, bei Prime Video.
Source: faz.net