Das schönste Schalker Weihnachten seitdem Jahren
Schalke 04 überwintert an der Tabellenspitze der zweiten Liga. Der Aufstiegs-Traum euphorisiert den Klub – vor allem deshalb, weil er zu Saisonbeginn komplett unrealistisch schien. Einen großen Anteil am Aufschwung hat dabei der Trainer.
Miron Muslic war nur für den Moment enttäuscht. „Wir sind natürlich nicht zufrieden, aber schon sehr, sehr stolz auf den Weg, den wir gemeinsam vor sechs Monaten begonnen haben“, sagte der Trainer von Schalke 04 nach dem 1:2 (0:0) bei Eintracht Braunschweig, mit dem sich die Königsblauen aus dem Fußballjahr 2025 verabschiedet hatten. „Denn ganz Fußball-Deutschland hat uns den bisherigen Weg so nicht zugetraut“, so Muslic.
Es zeige die Kraft des Vereins, dass Schalke zum Jahresende von der Tabellenspitze der zweiten Liga grüßt – allen Warnern, die dem chronisch klammen Traditionsklub eine schwere Saison prophezeit hatten, zum Trotz. Auch die Niederlage von Sonntag, bei der der Mannschaft die Strapazen der vergangenen Wochen anzumerken war, änderte nichts an der Stimmungslage: Es herrscht Genugtuung. So gut hat sich Schalke seit Jahren nicht mehr angefühlt.
Es war ein wilder Ritt, den Muslic und sein Team hingelegt haben. Die Voraussetzungen, die der Bosnier bei seinem Dienstantritt im Juli vorgefunden hatte, hätten schlechter kaum sein können. Zwei Spielzeiten in Folge musste darum gekämpft werden, nicht in den 3. Liga abzusteigen. Die Stimmung war fatalistisch. Denn nachdem klar war, dass wegen der anhaltenden wirtschaftlichen Probleme das Budget für die neue Saison abermals reduziert werden muss, schien klar zu sein: Mehr als Überlebenskampf dürfte auch 2025/26 nicht drin sein. Auch, weil dem neuen, in Deutschland weithin unbekannten Trainer kaum zugetraut wurde, neues Feuer zu entfachen: Miron wer?
Entschlossene, fast schon brachiale Auftritte
Das war die größte Fehleinschätzung. Muslic, ein selbstbewusster, junger Coach, der die Herausforderung und die Emotionalität suchte, schaffte es, eine Einheit zu formen und die Spieler hinter einer Philosophie zu vereinen, die sie nicht überforderte. Vor allem zu Saisonbeginn kämpften und rannten die Schalker eher Fußball, als dass sie ihn spielten.
Es waren entschlossene, fast schon brachiale Auftritte, mit denen die Gegner gebrochen wurden. Ob beim 2:1-Auftaktsieg gegen Hertha BSC, beim 2:1 gegen Bochum, als spät ein Rückstand aufgeholt wurde, oder beim 2:1 in Bielefeld. In keiner diese Partien war Schalke überlegen. Gerade deshalb waren es Schlüsselmomente: Die Fans spürten, dass ein neuer Spirit in der Mannschaft herrscht – und die Spieler holten sich durch Ergebnisse das Selbstvertrauen, das sie in den vergangenen zwei Jahren verloren hatten. Ein neues Wir-Gefühl entstand.
„Ich erlebe Schalke als sehr intensiv und sehr ehrlich. Die Fans haben mit der Zeit erkannt, dass ich mich sehr mit dem Verein identifiziere und die Spieler und ich hier jeden Tag alles reinhauen, um diesen Verein wieder nachhaltig erfolgreich zu machen“, sagt Muslic. Der Sohn einer bosnischen Flüchtlingsfamilie, der vom englischen Zweitligisten Plymouth Argyle kam, hat klare Vorstellungen, wie eine Mannschaft zu spielen hat – und er hat das Charisma, sie zu vermitteln.
Stück für Stück entwickelte er das Team weiter. Mit zunehmender Saisondauer wurden auch die spielerischen Leistungen besser – wie beim 3:0 in Hannover, als die Schalker erstmals die Tabellenführung eroberten oder beim 2:1 gegen Paderborn, als sie sie zurückgewannen. Es ist lange her, dass eine Knappen-Mannschaft so gut spielte.
Die Basis des Erfolgs blieb jedoch die Defensive: Nur zehn Gegentore kassierten die Königsblauen in 17 Spielen – ein für die zweite Liga auch auf Jahre gesehen extrem niedriger Wert. Das hängt auch mit guten Transfers, hauptsächlich mit dem neuen Abwehrchef Nikola Katic zusammen. Der Bosnier, den Muslic aus gemeinsamen Zeiten bei Plymouth Argyle kannte, hält die letzte Reihe zusammen. Er ist, neben Kapitän Kenan Karaman, der entscheidende Führungsspieler.
Kaum Möglichkeiten für Transfers
„Wir haben mit die beste Defensivstruktur, nicht nur in Deutschland, sondern europaweit. Das ist unser Fundament. Natürlich können wir nach vorn noch den einen oder anderen Entwicklungsschritt setzen“, sagt Muslic. Die Stabilität fußt aber darauf, dass die Offensivspieler mittlerweile ein gutes Gespür dafür entwickelt haben, wann sie sich fallen lassen müssen. Es stimme zwar, dass die eigene Torausbeute ist mit gerade mal 22 erzielten Treffern extrem dünn ist. Trotzdem dürften mögliche Verbesserungen in der Offensive auf keinen Fall zulasten der Kompaktheit gehen.
Zumal klar ist: Schalke wird aufgrund der anspannten Finanzlage – der Verein kämpft unverändert mit hohen Verbindlichkeiten und muss jedes Jahr darauf achten, sein negatives Eigenkapital zu reduzieren – kaum Möglichkeiten haben, um im Winter-Transferfenster nachzubessern. „Wir sind im Sommer schon ins Risiko gegangen, waren im siebenstelligen Bereich über dem Budget“, sagt Sportvorstand Frank Baumann. Der Verlockung, einen Stürmer zu holen, der die Aufstiegs-Wahrscheinlichkeit signifikant erhöhen könnte, soll widerstanden werden. Der ehemalige Manager von Werder Bremen, ebenfalls erst seit Sommer auf Schalke, ist dennoch zuversichtlich, dass der vorhandene Kader auch so stark genug ist. „Diese Mannschaft kann Spiele gewinnen, sie hat die Punktzahl trotz vieler Verletzungen erreicht“, erklärt er.
Der Aufstieg ist, so fern er im vergangenen Sommer auch schien, realistisch. Sollte die Rückkehr in die erste Liga erreicht werden, hätte Schalke wieder eine echte Chance, sich zu konsolidieren. „Jeder Schalker darf träumen, das verbieten wir keinem“, sagt Baumann. Wichtig sei nur, dass die Mannschaft auch 2026 nicht aufhört, ans Limit zu gehen. „Sonst wird es in dieser Liga ganz, ganz schwer.“
Source: welt.de