Goebbels‘ Sekretärin: Eine ziemlich pflichtbewusste Stenotypistin

Im Jahre 2017 verstarb Brunhilde Pomsel im Alter von 106 Jahren in einem Altersheim in München. Knapp ein Jahr zuvor erschien der österreichische Dokumentarfilm „Ein deutsches Leben“, bei dem Filmemacher Christian Krönes zusammen mit Olaf S. Müller, Roland Schrotthofer und Florian Weigensamer Regie führte. Aus dreißig Stunden Interviewmaterial wurden 113 Minuten einer Dokumentation, die, angereichert durch historische Filmausschnitte, etwa aus dem Warschauer Ghetto, die Erzählungen Frau Pomsels zu ihrem Leben dem Publikum näherbrachten.
Zwischen 1942 und dem 1. Mai 1945 war sie Sekretärin von Propagandaminister Joseph Goebbels gewesen, behauptete aber stets, während dieser und überhaupt während der ganzen Zeit seit 1933 nie etwas von den Maßnahmen zur Vernichtung der Juden, Roma, Sinti, der Jenischen und all der anderen vom NSDAP-Regime verfolgten, gefolterten und ermordeten Menschen mitbekommen zu haben.
Maggie Smith spielte die Rolle vor sechs Jahren
Zum Film erschien nach dem Tode Brunhilde Pomsels das Begleitbuch von Thore D. Hansen „Ein deutsches Leben: Was uns die Geschichte von Goebbels’ Sekretärin für die Gegenwart lehrt“. Basierend auf diesem Werk verfasste der britische Dramatiker, Übersetzer und Regisseur Christopher Hampton das Ein-Personen-Stück „A German Life“, das 2019 im Londoner Bridge Theatre mit Maggie Smith als Brunhilde Pomsel Weltpremiere hatte. Und nun brachte das Theater in der Josefstadt das Stück – Text in der Übersetzung von Sabine Pribil – in der ersten Zusammenarbeit mit Andrea Breth auf die Wiener Bühne.
Den beinahe zweistündigen Monolog hält in bewundernswerter Ausdauer Lore Stefanek. Wobei, Monolog trifft in Breths Inszenierung nicht wirklich zu. In der von Raimund Orfeo Voigt gestalteten Bühne sitzt Stefanek in ein schickes blaues Kleid und Jacke gekleidet (Kostüme: Jens Kilian) zwar auf einem Polstersessel mit Tischchen, darauf eine Flasche Sekt und Sektglas, aus dem sie bisweilen nippt, im Zentrum des hellen, ansonsten bis auf eine Stehlampe, ein Grammophon im Hintergrund und durch eine der drei Türrahmen ein manchmal zu sehendes Klavier im Nebenraum leeren Raumes.
Gruselige Lider aus deutschen Filmkomödien
Aber die biographische und garantiert geschönte Erzählung wird doch öfter unterbrochen. Etwa wenn sie behauptet, nichts von den Arisierungen mitbekommen zu haben, stapft ein Mann durch den Raum und erwähnt in leiser Stimme eine ganze Reihe von im Jargon des Berliner Amtsgerichtes der 1930er-Jahre „erloschenen“ jüdischen Firmen und Geschäften. Oder Grüppchen von Menschen ziehen singend und tanzend im Stile der Goldenen Zwanzigerjahre an der „Pomseline“, wie sich Pomsel offenbar selbst gerne genannt hat, vorbei.
Bald aber folgen in solchen Szenen nur mehr gruselig-fröhliche Lieder, meist aus deutschen Filmkomödien jener Zeit, etwa aus „Es leuchten die Sterne“ (1938), „Liebespremiere“ (1943) oder, weniger fröhlich, auch Lale Andersens berühmter Schlager „Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei“ (1941). Für die Musikauswahl zeichnet Adam Benzwi, der auch Klavier spielt, verantwortlich, gewiss in engster Übereinstimmung mit Andrea Breth.
Die Beschreibung „Sarkasmus“ scheint für diese Inszenierung, genauer gesagt, für den Umgang mit den eigenverharmlosten Erinnerungen Brunhilde Pomsels durchaus angebracht. Oder auch die Einschätzung, es handle sich eher um eine Dokumentation mit Musikbegleitung denn um ein Theaterstück. Jedenfalls ist das kein Abend zum Wohlfühlen, denn Brunhilde Pomsels recht oft wiederholte Phrase, dass sie von alldem nichts gewusst hätte, dröhnt noch lange nach.
Source: faz.net