Dertour-Chef im Interview: „Reiseerlebnisse sind heute Statussymbole“
Immer mehr Urlauber beschäftigen sich vor Weihnachten mit dem nächsten Sommer. Frühbuchen liegt im Trend, seit der Corona-Pandemie werden Urlaube mit mehr Vorlauf gebucht. In Deutschland waren es zuletzt im Durchschnitt 135 Tage Vorlauf, nochmals sieben bis acht Tage mehr als ein Jahr zuvor. Bei Dertour liegt die Zahl der Frühbucher aus Deutschland derzeit 18 Prozent über dem Vorjahresniveau. In Osteuropa, Skandinavien und Großbritannien ist es ähnlich.
In diesem Jahr konnten Urlauber noch sehr gut im Juni buchen. Da gab es Last-Minute-Rabatte, manche Reise war sogar günstiger.
Das mag punktuell mal so sein. Wir haben das in einigen Fällen für die Türkei gesehen, aber keineswegs für alle Ziele. Wenn ein Urlauber sicher sein möchte, ein bestimmtes Ziel, ein bestimmtes Hotel oder eine Rundreise zum bestmöglichen Preis zu bekommen, ist Frühbuchen eindeutig der bessere Weg. Wer sich auf die letzte Minute verlässt, kann mal ein Schnäppchen machen. Aber er kann sich nicht darauf verlassen, genau seinen Wunschurlaub zu bekommen.
Frühbucherrabatte und Last-Minute-Nachlässe – wird Urlaub zur Rabattware?
Etwas ganz anderes ist der Fall. Wir entwickeln uns zu einer Erlebnisökonomie. Der Durchschnittsdeutsche verbringt etwa 70 Stunden in der Woche online. Das ist echt viel, zehn Stunden am Tag. Bei Jüngeren ist es noch mehr. In einer derart digitalen Zeit werden Erlebnisse wertvoller. Früher waren zum Beispiel Autos Statussymbole, heute sind es echte Erlebnisse. Die Trends hin zu All-Inclusive-Urlauben, Vier- und Fünfsternehotels oder hochwertigen Rundreisen sind ungebrochen. Diese wünscht der Urlauber aber zum bestmöglichen Preis-Leistungs-Verhältnis. Das kann dazu führen, dass ein Fünfsternehotel all inclusive in Tunesien gewählt wird anstelle eines Hotels mit weniger Sternen in Spanien. An der großen Reiselust ändert das nichts. Der europäische Reisemarkt wird bis 2030 jährlich um fünf bis sechs Prozent wachsen.
Aber gebucht wird, wenn es Rabatt gibt?
Wir haben es mit einigen Wettbewerbern zu tun, die mit lauten Kampagnen extrem aggressiv agieren . . .
Check 24 ist nicht nur Vertriebspartner für Dertour, sondern mit eigenen Reisen auch ein wachsender Wettbewerber.
Das stimmt. An den Hauptbuchungszeiten ändern Preisaktionen aber wenig. Der stärkste Monat ist der Januar, ziemlich konsistent in ganz Europa. Ich bin Ausdauersportler, ganzjähriges Training und Zwischensprints gehören dazu. Der Reiseverkauf ist genauso ein langer Prozess und findet nicht nur am „Black Friday“ statt.

In der Branche gibt es Mahnungen, dass Reisen zu teuer werden.
Wir sehen die Bereitschaft, für Reisen den privaten Geldbeutel zu öffnen. Es ist aber auch sehr wichtig, dass wir attraktive Preispunkte halten. Das gelingt, weil verschiedene Ziele im Wettbewerb stehen. Tunesien, Ägypten oder Bulgarien sind auf der Kurz- beziehungsweise Mittelstrecke preislich attraktiv und legen überproportional zu.
Was ist ein attraktiver Preispunkt? Gibt es einen kritischen Wert, zum Beispiel 1000 Euro je Person und Woche, ab dem Kunden verloren gehen?
Das lässt sich so nicht sagen. Für ein Ehepaar, Doppelverdiener und ohne Kinder, liegt die Schwelle höher als für einen jungen Erwachsenen. Für den können schon 1000 Euro zu viel sein kann. Wenn wir die Preissteigerung so moderat halten, dass wir im Einklang mit der Inflation sind, werden sich Leute auch künftig Reisen leisten.
Die deutsche Luftfahrt beklagt, dass der Flugverkehr hinter Vor-Corona-Werten zurückliegt.
Da lohnt der Blick ins Detail: Der innerdeutsche Verkehr ist eingebrochen, auch einige europäische Städteverbindungen liegen unter früheren Werten. Das Ferienflugsegment wächst hingegen. Deshalb bin ich überzeugt, dass sich das Wachstum der Reisebranche fortsetzt. Bei Dertour übertreffen wir die Vor-Corona-Zahlen.
Der Bund will die Luftverkehrsteuer senken. Profitiert davon der Urlauber?
Das hoffe ich stark. Die Steuersenkung soll zum 1. Juli, zur Urlaubszeit, kommen. Die Belastungen waren im internationalen Vergleich zu hoch.
Die Steuer auf einen Bulgarienflug sinkt wohl um drei Euro.
Für mittlere Strecken sind es sieben Euro, für Fernflüge 14 Euro. Über ein Jahr summiert sich das für eine Airline auf einen zweistelligen Millionenbetrag. Da die Margen in der Luftfahrt klein sind, bedeutet das einiges. Die Steuersenkung bleibt aber nur ein erster Schritt. Für Deutschland ist eine gute Anbindung und Vernetzung wichtig. Sie dient einem funktionierenden Wirtschaftsstandort. Sinken die Abgaben weiter, steuern Airlines Deutschland häufiger an, Flughäfen werden besser ausgelastet, die Fixkosten verteilen sich auf mehr Passagiere. Das belebt dann auch das Urlaubsgeschäft.
Gilt das auch für die Neufassung der EU-Pauschalreiserichtlinie?
Wir werden das Ergebnis der Trilog-Verhandlungen sorgfältig prüfen.
Also das Ergebnis von EU-Kommission, Parlament und Mitgliedstaaten.
Erste Einschätzungen zeigen, dass wichtige Anliegen der Branche berücksichtigt wurden – ein Schritt in die richtige Richtung. Entscheidend ist nun, die Richtlinie praxisnah und möglichst unbürokratisch in nationales Recht umzusetzen. Damit bleibt das bewährte Erfolgsmodell der Pauschalreise in Deutschland und Europa stark: Das Geld des Kunden ist gegen eine Insolvenz abgesichert. Und wir kümmern uns, wenn etwas schief geht. Reisende, die Urlaubsleistungen einzeln buchen, stranden, wenn Flüge ausfallen. Bei uns werden sie in Hotels untergebracht und können noch die Zeit am Urlaubsort genießen. Gute Regelungen dürfen nicht verschlimmbessert werden.
Droht das noch?
Es darf nicht zu viel reguliert werden. Derzeit wird viel diskutiert, in welchen Bereichen Deutschland noch führend ist. Was passiert mit der Autoindustrie, mit dem Maschinenbau? Haben wir noch eine Chance bei Künstlicher Intelligenz? Dabei ist vielen nicht klar: Die Nummer eins und zwei der Reisebranche sitzen in Deutschland. Darauf können wir stolz sein. TUI hat gute Jahreszahlen vorgelegt. Dertour ist kein börsennotiertes Unternehmen, unsere Zahlen fließen später in die der Rewe -Gruppe ein. Ich kann aber sagen, dass wir profitabel wachsen. Die Pauschalreise ist ein Erfolgsschlager. 47 Prozent der Deutschen buchen Pauschalreisen. Im Internet wird Kunden aber schon mal suggeriert, dass sie so etwas wie eine Pauschalreise erhielten, wenn sie über Click-Through-Buchungen Reisebestandteile nacheinander wählen. Am Ende erhalten sie nicht denselben Schutz. Darauf muss klar hingewiesen werden.
Dertour hat einiges zugekauft, zuletzt die Hotelplan-Gruppe mit dem deutschen Anbieter Vtours und diversen Spezialreisemarken. Wann wird die Markenvielfalt zu groß?
Die Dertour-Group ist ein faszinierendes Unternehmen mit rund 15.000 Beschäftigten und einer mittleren zweistelligen Zahl an Marken. Unter denen bieten wir Kunden aus 16 Ländern Urlaube an. Wir haben Onlineplattformen und Reisebüros, Reiseveranstalter für populäre Badeziele und Marken für spezielle Interessen. Die klare Leitmarke in unserem Veranstaltergeschäft ist Dertour, die werden wir über die Zeit stärken. Dazu kommen Hotelmarken wie Arosa und Aja an Nord- und Ostsee sowie im Alpenraum, wohin Urlauber meist mit dem Auto fahren, und Hotels an Flugzielen wie Aldiana, Ananea und Sentido.
Und werden es weniger Marken?
Nicht unbedingt. Wir haben 30 internationale Spezialreisemarken, zum Beispiel Kirker für grandiose Kultururlaube, Golf Plaisir für Sportreisen. Oder nehmen Sie Solmar und CV Villas für Ferien in Villen. Die setzen dort an, wo Airbnb aufhört. Zusammen erreichen die Spezialanbieter eine Milliarde Euro Umsatz. Sie sind aber noch sehr lokal geführt aus den Ländern, in denen sie gegründet wurden. Wir wollen sie auf eine paneuropäische Ebene heben und vorhandene Vertriebswege in anderen Ländern nutzen. Unsere Aufgabe ist es, Erlebnisse und im Idealfall bleibende Erinnerungen zu schaffen. Dafür ist viel Leidenschaft der Mitarbeitenden nötig. Eine gemeinsame Marke ist nicht der primäre Treiber.
Wann kommt der nächste Zukauf?
Wir ziehen nicht einfach durch die Länder, um irgendwas zu kaufen. Aber wenn uns etwas sinnvoll erscheint, um die Dertour-Gruppe zu stärken, sind wir bereit, zuzugreifen.
Dazu muss ihr Eigentümer Rewe bereit sein.
Zu unserer Strategie gehört, dass wir zum Erfolg der Rewe-Gruppe beitragen und profitabel wachsen. Damit verdienen wir uns das Recht, etwas zuzukaufen, wenn es Sinn ergibt. Oberster Anspruch ist aber, organisch zu wachsen. Dafür stärken wir neben Strandurlauben das Geschäft mit Spezialreisen und unsere Hotelsparte.
Wo fehlen Ihnen noch Unterkünfte?
Im Moment haben wir 120 Hotels. Insbesondere die Clubmarke Aldiana und das Slow-Glamour-Konzept Ananea wollen wir ausbauen. Das Sporthotelkonzept Playitas, das wir unter anderem auf Fuerteventura betreiben, wollen wir auf weitere Ziele ausdehnen. Im deutschsprachigen Raum sind wir mit Arosa- und Aja-Hotels an der Ostsee gut positioniert. An der Nordsee sind wir auch vertreten, aber die Nordseeküste ist noch ein bisschen länger. Da sehe ich noch viel Potential.
In welchen Ländern gewinnen Sie besonders viele Neukunden?
Derzeit legen wir fast überall zu. In Osteuropa ist die Dynamik aber hoch. In Westeuropa gibt man noch doppelt so viel für Reisen aus wie in Osteuropa. Diese Länder, beispielsweise Rumänien, holen nun auf.
Und wie wird gebucht? Im Reisebüro oder online?
Den einen Hauptweg gibt es nicht mehr. Die Suche über Social-Media-Kanäle ist eher der Weg für jüngere Generationen. Ich selbst habe, schon bevor ich im Frühjahr zu Dertour gekommen bin, privat die KI-gestützte Dertour-Website zur Inspiration genutzt. Insgesamt beobachten wir, dass Kunden viel selbst recherchieren, aber weiter das Bedürfnis haben, sich Rat zu holen. Deutsche buchen viel im Reisebüro. Osteuropäer lassen sich online inspirieren. Skandinavier buchen stark online und melden sich später im Call-Center, wenn sie noch Fragen haben. Urlauber sind verschieden. Im Hotel geht der eine auch lieber ans Buffet, der andere möchte sein A-la-carte-Essen serviert bekommen.
Welche Veränderungen bringt die Künstliche Intelligenz, KI?
Außer neuer Technik und künstlicher Intelligenz darf nicht vergessen werden, dass ein Urlaub ein sehr emotionales Produkt ist. Gute Reisen sind mehr als etwas, was irgendwie digital zusammengestellt wird. Es sind Produkte von Menschen für Menschen. Auf Social Media müssen wir sehr gute Bilder, Videos und Beschreibungen zeigen. Gleichzeitig verbessern wir die technischen Hilfen für unsere Reisebüros, damit die nicht lange suchen müssen und zielgerichteter beraten können, wenn ein Kunde mit einer sehr speziellen Anfrage kommt. Reisebüromitarbeiter müssen quasi prompten können: Hilf mir, die idealen Angebote zu finden, damit ich den Kunden perfekt beraten kann.
Urlaubskunden können auch selbst prompten.
Das machen viele auch. Für uns ist es wichtig, auf allen Wegen KI zu nutzen, um den Kunden zu unterstützen. Trotz KI können die Auswahlmöglichkeiten aber verwirrend groß bleiben. Meistens erhält man auch nicht direkt Preise und Informationen über freie Kapazitäten. Dann ist es wichtig, Profis zu haben, die helfen.
Wohin verreist der Dertour-Chef?
Ich bin Rundreise-Fan. Als Familie waren wir zuletzt in Japan und haben das sehr genossen. Im kommenden Sommer werden für die Deutschen wieder Griechenland, Türkei und Spanien die typischen Renner sein. Oder nehmen Sie eines unserer Ananea-Hotels. In Japan haben wir zwar noch keines, aber unser schönstes steht auf den Malediven.
Manager auf Reisen
Um das Unterwegssein ging es schon an vielen Stationen von Christoph Debus. Nach einer Tätigkeit für Roland Berger wechselte der Wirtschaftsingenieur 2005 als Finanzchef zur Urlaubsfluggesellschaft Condor . Danach gehörte Debus dem Vorstand der Fluggesellschaft Air Berlin an. Zweifel an deren Zukunftskurs führten ihn 2012 zurück in das Condor-Umfeld. Sieben Jahre lang leitete er die Flugsparte des damaligen Condor-Mutterkonzerns Thomas Cook , anschließend gestaltete er den Neustart von Condor ohne den insolventen Konzern mit. 2022 wechselte Debus von der Luftfahrt auf die Straße und arbeitete als Finanzchef der Fernbusplattform Flixbus , dessen Aufsichtsrat er bis heute angehört. Seit April dieses Jahres führt der 54 Jahre alte Debus mit der Dertour Group aus dem Rewe -Konzern den nach TUI zweitgrößten Reiseanbieter Europas.